Interview:"Wir sind in den Herzen angekommen"

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Für Charlotte Knobloch ist der Bau der Synagoge die Verwirklichung ihres großen Traums. Die Zentralrats-Präsidentin spricht über das Projekt und die politische Situation der Juden in Deutschland.

Joachim Käppner und Monika Maier-Albang

Am 9. November wird am Münchner St. Jakobsplatz die jüdische Synagoge feierlich eröffnet. Für die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Münchnerin Charlotte Knobloch, geht damit ein Traum in Erfüllung, der in mancher Phase wohl auch fast zum Albtraum geworden wäre. Doch dank des Engagements von Oberbürgermeister Christian Ude, vieler Geschäftsleute und der Münchner Bürger steht die Finanzierung bis auf einen kleinen Restbetrag. Grund genug, für Charlotte Knobloch Bilanz zu ziehen und einen Ausblick auf das Leben der Juden in München und Deutschland zu wagen.

Die Präsidentin des Zentralrats der Juden: Charlotte Knobloch (Foto: Foto: ddp)

SZ: Frau Knobloch, mit der Eröffnung der neuen Synagoge geht für Sie persönlich ein Traum in Erfüllung. Wie lange haben Sie daran gearbeitet?

Knobloch: Sie haben Recht: Es war ein Traum, ein Traum, dass einmal wieder so etwas möglich sein könnte wie das Zusammenleben der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung in München vor der Nazizeit. Dieser Traum hat mich nie verlassen. Ursprünglich wollte ich zum 50. Jahrestag der so genannten Reichskristallnacht den Grundstein legen, also 1988. Zwei Jahre vorher hatte ich die ersten Gespräche mit Behörden geführt. Die verliefen freundlich, aber reserviert. Der Tenor war: "Was wollt ihr denn, ihr habt kein Grundstück und kein Geld."

SZ: Irgendwann hat man Ihnen dann ein Grundstück am Stadtrand angeboten, das Sie dankend ablehnten.

Knobloch: Die Behörden haben uns sehr unterstützt bei der Suche, aber wir hätten nach Aubing oder Neubiberg gehen sollen. Dort waren die Grundstückspreise damals noch günstig. Aber ich wollte immer in die Mitte der Stadt. Dorthin, wo unsere Synagogen früher auch standen und wo die Gemeinde hingehört.

SZ: Wie kam der Durchbruch?

Knobloch: Als Christian Ude Oberbürgermeister wurde, das werde ich nie vergessen, hat er mich angehört und gesagt: Das mache ich zur Chefsache. Von dem Moment an sind die Dinge ins Laufen gekommen. Als wir dann die Informationen bekamen, wir sollen uns um den Jakobsplatz bemühen, war das für mich die Realisierung dieses Traums überhaupt. Und als wir dann nach einem Realisierungswettbewerb und einem städtebaulichen Wettbewerb einen Sieger und das Modell hatten, musste das Geld ja auch noch beschafft werden.

SZ: Hatten Sie in all den Jahren Momente, in denen Sie aufgeben wollten?

Knobloch: Die Phase hatte ich, als das Grundstück und ein Teil der Finanzierung da war, aber eben: nur ein Teil. Uns fehlte das Geld. Damals, vor fünf Jahren, bin ich nach Frankfurt zu einer Sitzung des Zentralrats gefahren und traf dort Michel Friedman, der noch Präsidiumsmitglied war. Als er mich fragte, was die Pläne machen und ich antwortete, dass ich vorhabe aufzugeben, hat er mich eine halbe Stunde bearbeitet. Er hat mir ins Gewissen geredet und mir gesagt, dass ich bis zur letzten Minute kämpfen muss. Das Resultat sehen Sie ja.

SZ: Sie waren die letzten Jahre, wie Sie einmal sagten, ständig "auf Schnorrertour". Wie viel fehlt noch zu den veranschlagten 57 Millionen Euro?

Knobloch: Ich rechne damit, dass noch knapp drei Millionen fehlen, um keine Fremdfinanzierung in Anspruch nehmen zu müssen. Aber der exakte Betrag ist momentan schwer abzuschätzen.

SZ: Sind Sie denn zufrieden mit dem Spendenaufkommen?

Knobloch: Ja und nein. Ich hätte mir von den Großfirmen und Großbanken in München mehr Unterstützung erwartet, da bin ich enttäuscht, das muss ich ehrlich bekennen. Die Münchner Geschäftsleute möchte ich aber ausdrücklich loben. Die haben uns sehr unterstützt.

Ebenso die Bürger. Nach den ersten Spendenaufrufen kamen Summen hinein, die bei fünf Euro anfingen und bei 100 Euro endeten. Das freut mich wirklich enorm. Daran sehe ich, dass die Menschen uns in der Stadt willkommen heißen. Es freut mich, dass wir in den Herzen angekommen sind. Viele Menschen freuen sich einfach, dass die jüdische Gemeinde nicht länger im Verborgenen lebt.

SZ: Es ist ja auch eine symbolische Rückkehr in das Herz der Stadt.

Knobloch: Ja, genau. Das kann ich mir noch gar nicht richtig vorstellen. Ich habe ja als Kind ganz andere Erfahrungen mit Deutschland gemacht. Da war ich alles andere als willkommen. Wenn der Jakobsplatz einmal so aussieht und so begehbar ist, wie ich mir das vorstelle, wird er ein Platz der Begegnungen sein, des Dialogs mit der jüdischen Religion.

SZ: Es ist ja in der Gemeinde um bestimmte Details gerungen worden. Warum wollten Sie keinen Davidstern auf der Tür?

Knobloch: Der Stern ist für mich mit sehr unguten Erinnerungen verknüpft. Mit diesem Stern hat man uns stigmatisiert. Darum wollte ich ihn nicht am Eingang. Er ist jetzt im Innenraum der Synagoge vorhanden, und die Tür zieren die Anfangsbuchstaben der Zehn Gebote.

SZ: Warum liegt die Gedenkstätte für die ermordeten Juden eigentlich im Kellerbereich? Ist das nicht etwas versteckt?

Knobloch: Nein, versteckt ist sie nicht. Sie liegt im Verbindungsgang von der Synagoge in das Gemeindezentrum. Da gehen Besucher durch, Schulklassen, Führungen, jeder, der möchte, kann dort stehenbleiben und sich die Namen der ermordeten Münchner Juden durchlesen, die sich auf der einen Seite befinden. Auf der anderen Seite des Ganges wird der sechs Millionen gedacht. Ich wollte die Gedenkstätte dort und genau für diesen Zweck haben. Es ist mir sehr wichtig, dass wir den ermordeten Menschen einen Namen geben. Das ist aber unmöglich in der Öffentlichkeit.

SZ: Wieso?

Knobloch: Weil das Risiko, dass das Denkmal und damit die Namen der Ermordeten beschmutzt und geschändet würden, einfach zu groß ist. Um das zu verhindern, müsste man ein öffentlich zugängliches Denkmal aber rund um die Uhr von der Polizei bewachen lassen.

SZ: Die Gemeinde ist ja erfreulicherweise in den letzten Jahren durch den Zuzug aus der ehemaligen Sowjetunion sehr viel größer geworden. Wie lebt es sich denn inzwischen miteinander?

Knobloch: Dass aus dem momentanen Nebeneinander noch ein Miteinander wird, ist die große Aufgabe, die wir zu bewältigen haben. Wir wollen die Neuzuwanderer ja nicht nur in die religiöse Gemeinschaft einbinden, sondern auch in die deutsche Gesellschaft. Andernfalls besteht die Gefahr eines Ghettosystems, wenn die Zuwanderer in ihren eigenen Welt bleiben und die deutsche Sprache nicht beherrschen. Ich möchte, dass zumindest die nächste Generation hier ganz normal lebt und sich vollkommen eingelebt hat. Da gibt es sehr positive Ansätze. Im Kindergarten, in unserer Grundschule und im Jugendzentrum sind die Sprachprobleme schon viel kleiner.

SZ: Viele Zuwanderer wollen mit der Religion aber nichts zu tun haben.

Knobloch: Wir üben natürlich keinen Zwang aus. Doch ich erinnere solche Leute schon immer daran, dass sie aufgrund der Religion hierher gekommen sind. Aber natürlich ist es nicht leicht, einen Zugang zur Religion zu finden, wenn man in einem System aufgewachsen ist, in dem die Religion verpönt war.

SZ: Zuletzt haben die deutschen Innenminister die Kriterien für die Neuaufnahme von Zuwanderern aus der Ex-UdSSR verschärft. Ist dass das Ende einer Ära der Freizügigkeit?

Knobloch: Darüber kann ich mir noch kein Urteil erlauben, solange diese neuen Regelungen noch nicht umgesetzt sind. Wir als Kultusgemeinde jedenfalls müssen unseren neuen Mitgliedern helfen, Schwierigkeiten zu überwinden. Viele fühlen natürlich eine gewisse Abwehr in der deutschen Gesellschaft. Sie haben das Gefühl, man werfe ihnen täglich vor, dass sie Arbeitsplätze wegnehmen, dass sie dem Staat zur Last fallen. Dabei sind diese hochintelligenten Menschen für uns eine Bereicherung.

SZ: Sie sind seit Juni auch Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Wie kommen Sie zurecht mit der neuen Funktion?

Knobloch: .Ich war ja schon die Vertretung von Ignatz Bubis und von Paul Spiegel und habe die Aufgaben, die da auf mich zugekommen sind, kennen gelernt. Nur für meine Familie habe ich heute leider nicht mehr die Zeit, die ich früher zur Verfügung hatte.

SZ: Paul Spiegel ist ja, ohne es richtig zu wollen, eine moralische Instanz geworden. Erleben Sie das ähnlich?

Knobloch: Diesen Titel moralische Instanz bekommt man zugesprochen. Er hängt nicht am Titel oder der Funktion, den muss man sich folglich erarbeiten. Da bin ich erst am Anfang.

SZ: Sie scheinen das Amt politischer zu definieren als Ihre Vorgänger, jedenfalls beziehen Sie sehr oft Stellung, fordern ein NPD-Verbot oder die Solidarität der Deutschen mit Israel während des Libanon-Krieges.

Knobloch: Ich denke, ich folge dem Weg, den Ignatz Bubis und Paul Spiegel eingeschlagen haben. Aber selbstverständlich hat jeder seine persönlichen Richtlinien. Ich hätte mir sogar gewünscht, dass man in politischen Dingen nicht so stark agieren muss. Aber ich vertrete nun einmal die jüdische Gemeinschaft in Deutschland.

SZ: Ignatz Bubis wirkte am Ende seines Lebens sehr resigniert. Nach der von so vielen beklatschten Rede Martin Walsers über eine "Instrumentalisierung des Holocaust" gegen die Deutschen sagte er sinngemäß, eigentlich habe er nichts erreicht.

Knobloch: Walsers Rede war peinlich, aber nicht repräsentativ für das heutige Deutschland. Bubis' Reaktion war menschlich verständlich. Ich glaube aber, dass das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden, zwischen der deutschen Gesellschaft und ihrer jüdischen Gemeinde heute wesentlich besser ist als jemals seit 1945 - nicht zuletzt unsere neue Synagoge symbolisiert das ja. Meine Sicht auf die gemeinsame Zukunft ist daher optimistisch.

SZ: Sie haben während des Libanonkriegs von den Deutschen Solidarität mit den Israelis gefordert. Kann man das verlangen, wenn gleichzeitig die israelische Gesellschaft den Krieg sehr kritisch betrachtet hat?

Knobloch: Ich habe das getan, weil in der deutschen Öffentlichkeit und in den Medien ein Bild des Krieges entstanden ist, das nicht den Tatsachen entsprochen hat, nämlich von Israel als Aggressor, der wahllos ein Nachbarland bombardiert. Wenn Deutschland von seinen Nachbarn dauernd mit Raketen beschossen würde, wie würde hier die Regierung reagieren? Dieser Krieg war ein Verzweiflungsschlag der israelischen Regierung, nur ist das hier nie so begriffen worden.

SZ: Was halten Sie vom Bundeswehreinsatz im Libanon?

Knobloch: Damit wird ein neues Kapitel der Geschichte aufgeschlagen. Es ist gewöhnungsbedürftig, dass heute deutsche Soldaten jüdische Menschen beschützen. Aber es ist wirklich lobenswert, sogar herausragend. Und dass die deutsche Bevölkerung positiv darauf reagiert, freut mich auch. Dennoch gibt es viele Dinge in Deutschland, die ich sehr kritisch sehe.

SZ: Zum Beispiel?

Knobloch: Zum Beispiel den Umgang mit Rechtsextremisten - da könnte, da müsste der Staat mehr tun. Wenn bei uns Neonazis ein Plakat zeigen, auf dem es heißt: "Juden sind Kindermörder!", muss der Staat eingreifen. Alle Freiheit hat ihre Grenzen. Da tut die Gesetzgebung zu wenig. Denn die Gerichte entscheiden immer auf Grund der Gesetzeslage, und die erlaubt den Rechtsextremen gerade bei Versammlungen zu viel. Außerdem scheint es mir, dass Polizei und Justiz in den neuen Bundesländern noch immer nicht energisch genug gegen Neonazis vorgehen. Ich habe vor einigen Tagen mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten gesprochen und ihnen deutlich gesagt: Ihr müsst mehr tun! Wenn es nicht von selbst geht, muss die Initiative bei Polizei und Gerichten eben von den Landesregierungen kommen. Allgemeine Betroffenheit genügt nicht, auch wenn sie noch so ehrlich ist.

© SZ vom 2.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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