Interview:"Jedes Leben ist naturtrüb"

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Der Historiker Hans Günter Hockerts spricht über Straßennamen, die man eigentlich ändern müsste, weil ihre Namensgeber Antisemiten waren.

Christian Mayer

Auch nach dem Stadtratsbeschluss, die Meiserstraße umzubenennen, gehen die Diskussionen weiter. Einen Gewinner gibt es nicht. Wie soll man es künftig halten mit umstrittenen Persönlichkeiten, die in der Erinnerungskultur der Stadt einen wichtigen Platz einnehmen? Der Zeithistoriker Hans Günter Hockerts, Professor an der LMU München, plädiert dafür, im Einzelfall genauer hinzuschauen.

Historiker Hockerts hält die Straßen-umbenennung für "die biligste Art" geschichtspolitischer Auseinander- setzung. (Foto: Foto: Catherina Hess)

SZ: Für viele Münchner war der Streit um die historische Rolle von Landesbischof Meiser überraschend - mehr als 60 Jahre nach Kriegsende.

Hockerts: Die Diskussion läuft ja schon seit 1999. Damals gab es den ersten Antrag der Grünen, die Straße umzubenennen. Dass das Thema so spät auf die Tagesordnung kam, hängt mit der fundamentalen Sensibilisierung gegenüber den NS-Verbrechen zusammen. Es hat ja auch erst im Jahr 2000 eine Entschädigung für Zwangsarbeiter gegeben: Die Einsicht, dass es sich bei der Zwangsarbeit nicht um eine Art Kriegsnotwendigkeit, sondern um menschenrechtswidrige Verschleppung handelte, hat sich spät durchgesetzt.

SZ: Meisers antisemitische Äußerungen aber waren lange bekannt. . .

Hockerts: In den fünfziger Jahren war eben noch vieles schonend verdeckt; viele Akteure aus der NS-Zeit lebten damals ja noch. Und es gab einen informellen Gesellschaftsvertrag: nicht zu genau hinschauen, um Konflikte zu vermeiden. Üblich waren ausweichende Formeln wie die, dass "im deutschen Namen" Unrecht geschehen sei.

Heute ist das anders. Man nennt Täter beim Namen, auch die Schuldzuweisungen sind schärfer formuliert, oft sehr zu Recht. Allerdings gibt es inzwischen die Tendenz, alles vom Standpunkt der Aufgeregtheit zu sehen und es mit dem geschichtspolitischen Reinigungswillen zu übertreiben.

SZ: Ist die Umbenennung der Meiserstraße ein Zeichen von Reife oder Ausdruck dieser Correctness?

Hockerts: Von beidem etwas. In einer pluralistischen Gesellschaft muss es Raum für verschiedene Erinnerungen und Gedächtnisorte geben. Die einzelnen Gruppen müssen das Recht haben, in der öffentlichen Erinnerungskultur präsent zu sein. Die Stadtratsmehrheit hat es sich etwas zu einfach gemacht, indem sie Meisers Vita nur unter dem Aspekt seiner Verfehlung, nicht auch unter dem Aspekt seiner Bedeutung für die Landeskirche gewürdigt hat.

SZ: Warum wehrt sich die Evangelische Landeskirche so stark gegen die Umbenennung?

Hockerts: Die Meiserstraße ist ein konkreter Gedächtnisort. Dort wurde 1934 eine wichtige Auseinandersetzung geführt: Die lutherische Landeskirche hat sich ja unter Bischof Hans Meiser sehr entschieden und nicht ohne Risiko dagegen gewehrt, von Hitlers brauner Reichskirche absorbiert zu werden. Durch den Namensentzug hat die Kirche nun einen Erinnerungsort verloren, der für ihre Identität wichtig war. Auf der anderen Seite kann man Meisers antisemitische Äußerungen, insbesondere seinen schlimmen Artikel von 1926 nicht wegreden.

Er lehnte jede gewaltsame Verfolgung ab, trug aber mit antijudaischen Denkmustern zu dem bei, was ich die örtliche Betäubung der deutschen Gesellschaft nennen möchte: Als die Nationalsozialisten die Juden verfolgten, kam keine Gegenwehr. Insofern gibt es eine Mitverantwortung Meisers, der sich nach 1933 für seine eigene Kirche einsetzte, aber nicht für die Juden. 1943, als er eine Denkschrift der Verleger Albert Lempp und Walter Classen erhielt - ein flammender Appell gegen die Judenverfolgung - reagierte er nur passiv. Er reichte sie intern weiter.

SZ: Wird der Fall Meiser dazu führen, dass andere Straßen umbenannt werden? Schließlich haben sich auch Richard Wagner oder Ludwig Thoma antisemitisch geäußert.

Hockerts: Eine kritische Diskussion gibt es außerdem über die Butenandt-Straße in Großhadern. Adolf Butenandt, der 1939 den Nobelpreis für Chemie erhielt, wird unter anderem vorgehalten, er habe Zwillings-Experimente in Auschwitz zu verantworten.

Das ist allerdings nicht klar nachweisbar - im Gegensatz zu den Äußerungen von Richard Wagner, Ludwig Thoma oder Treitschke. Man sollte die Lebensleistung im Ganzen betrachten - jedes Leben ist naturtrüb; manchmal sind die Menschen ja auch lernfähig. Sogar Thomas Mann könnte man hier nennen, von dem einige üble antisemitische Äußerungen überliefert sind.

SZ: Nehmen wir mal an, Sie säßen in einer historischen Kommission. Was würden Sie den Stadträten empfehlen?

Hockerts: Eine historische Straßenreinigung sollte nicht das oberste Ziel sein - jedenfalls nicht bei Zweifelsfällen. Meine Empfehlung: Benennen wir doch neue Straßen nach Vorbildern wie Hermann Diem, der als Mitglied der bekennenden Kirche wortgewaltig gegen die Judenverfolgung protestierte. Das wäre ein starkes Zeichen. Die Straßenreinigung ist im Grunde auch die billigste Art der geschichtspolitischen Auseinandersetzung.

Daher als zweite Empfehlung: Macht mal voran mit der NS-Dokumentationsstätte am Königsplatz! Die Eröffnung ist 62 Jahre nach Kriegsende noch immer nicht in greifbarer Nähe. Dabei könnte das Dokumentationszentrum eine lebhafte, inhaltliche Auseinandersetzung ermöglichen. Und vielleicht sogar eine kritische Ausstellung über Bischof Meiser.

© SZ vom 20.07.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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