Interview:Highway zum Himmel

Lesezeit: 5 min

Abtprimas Notker Wolf, Oberhaupt der Benediktiner, rockt heute aus Überzeugung im Theatron.

Jochen Temsch

Auf Welt-Tournee ist er sowieso: Als Abtprimas, oberster Benediktiner-Mönch, Chef von 8500 Mönchen und 16.500 Nonnen, fliegt Notker Wolf in den nächsten Tagen von seinem Amtssitz im Vatikan nach Israel, Spanien, Australien und Kanada - zu Talkshows, Vorträgen, Workshops.

Notker Wolf. (Foto: Foto: oh)

Zwischendurch fährt der 62-jährige Allgäuer aber noch nach München, um Gitarre zu spielen: mit der Band Feedback, die aus seinen ehemaligen Schülern des Kloster-Internats von St. Ottilien besteht. Heute rockt Notker Wolf beim Theatron-Musiksommer am Olympiasee. (Zuvor spielt die Band Bliss, Beginn 19 Uhr.)

SZ: War Jesus eine Art Rockstar? Wolf: Es gibt zwar dieses Musical "Jesus Christ Superstar", aber ich würde Jesus nicht als Rockstar bezeichnen. Mir ist auch nicht bekannt, dass er Musik gemacht hat.

SZ: Sie hören ja gerne Härteres als Musicals. Stimmt es, dass Sie "Highway to Hell" von AC/DC lieben? Wolf: Ja. Ich finde es von der Musik her fetzig, der Rhythmus ist einfach gut. Bam-bam-bam - ein tolles Riff. Ich sehe das ironisch. Mein Gott, wir singen doch auch hin und wieder über Ritter, Tod und Teufel, Lieder wie "Wir lagen vor Madagaskar" - das nimmt doch kein Mensch ernst sowas. Es ist einfach die Musik, wenn man mal beieinander ist.

SZ: Aber komischerweise würde zum Rock'n'Roll nicht passen, wenn es "Highway to Heaven" hieße. Wolf: Es gibt doch "Stairway to Heaven" von Led Zeppelin. Dazu passt auch das Evangelium: Zum Himmel geht es ein bisschen schwieriger, während eine breite Straße in die Hölle führt.

SZ: Kommt Mick Jagger trotzdem in den Himmel? Wolf: Ich würde dafür beten. Die Stones sind ja inzwischen auch frei. Die haben die alten Geschichten bitter bereut. Ich möchte, dass alle in den Himmel kommen. Aber das ist dem Herrgott seine Sachen, nicht meine.

SZ: Gibt es also eine Theologie des Rock'n'Roll? Wolf: Ich sehe eine Verbindung in der Protesthaltung, die in der Rockmusik immer da ist. Die Jugend protestiert gegen alles Institutionalisierte, bis sie selber institutionalisiert ist - wie man das auch bei den Größen in unserer Politik sieht. Das Evangelium ist und bleibt immer etwas Anti-Institutionelles. Es ist gegen das Establishment, gegen diese Festfahrerei in irgendwelchen Kategorien von Karriere, Geld, Positionen.

SZ: Aber ist nicht gerade die Kirche wichtiger Teil des Establishments? Wolf: Die Kirche gibt nicht unbedingt immer ein selbstkritische Bild nach außen ab. Aber als Ordensmann nehme ich mir die Narrenfreiheit, auch gegen diese Dinge zu reden. Es gibt im Evangelium ein Wort, das mich maßlos beeindruckt hat, das mir immer im Hinterkopf sitzt, über die Intrigenspiele der Herrscher dieser Welt - bei Euch aber, gemeint ist die Kirche, soll es nicht so sein. Die Gefahr ist allerdings da: Je stärker sich die Kirche in eine Zeit inkulturiert, desto mehr übernimmt sie von den Gesellschaftsformen.

SZ: Zum Beispiel? Wolf: Das Karrieredenken. Ich kann damit nichts anfangen, wenn es heißt, ich hätte Karriere gemacht. Ich leiste meinen Dienst jetzt acht Jahre lang, dann kehre ich in mein Kloster zurück und tue nichts lieber als zwei Stunden am Tag in der Küche Gemüse zu putzen. Man mag nicht glauben, wie ich immer wieder betitelt werde, damit sich die Leute in dieser Sonne glänzen können. Die Leute wollen Bücklinge machen. Das halte ich für so primitiv. Wir sind doch alle Brüder und Schwestern innerhalb der Kirche, es gibt nur einen Vater im Himmel. Der Titel macht doch nicht den Menschen aus. Der Titel bleibt einmal auf dem Grabstein stehen, während wir nach unten gehen und vermodern. SZ: Rock'n'Roll steht auch für "Sex and Drugs". Wie ist Ihre Haltung dazu? Wolf: Dass junge Leute alles ausprobieren wollen, verstehe ich. Das gehört zum jugendlichen Alter dazu. Aber man muss die Jungen absolut vor den Gefahren der Sucht bewahren, wenn es irgendwie geht. Man muss es nicht wie Kurt Cobain machen.

SZ: Was ist mit der Sexualität? Wolf: Natürlich sind die Leute nicht mehr so gesellschaftlich gebunden. Aber ich bin nicht der Überzeugung, dass die Menschen wirklich frei mit ihren sexuellen Schüben und Trieben umgehen können. Die Leute merken gar nicht, dass sie durch die so genannte sexuelle Befreiung in die Abhängigkeit der animalischen Triebe gelangen. Ich habe nicht den Eindruck, dass zum Beispiel die frühe Sexualität der jungen Leute sehr persönlichkeitsfördernd ist. Ein junger Mensch muss irgendwann lernen, sich eine Disziplin zuzulegen, auch im sexuellen Bereich.

SZ: Sie gingen mit 14 Jahren in die Klosterschule. Haben Sie das Flirten nie vermisst? Wolf: Ich hatte das Ideal des Missionars im benediktinischen Sinne vor mir. Da war mir klar, dass ich auf manches verzichten muss. Aber der Verzicht steht nicht als Verzicht im Vordergrund, sondern: Man hat ein Ziel, auf das man sich konzentriert.

SZ: Geht das zusammen - Rebellion und Selbstdisziplin? Wolf: Im jugendlichen Alter rebelliert man gegen alles, was einen einzuengen scheint. Aber ich brauche, um existieren zu können, ein Stück Selbstdisziplin. Im Gegensatz zur Fremddisziplin, die über Eltern und Lehrer kommt, ist Selbstdisziplin der eigentliche Befreiungs- und Reifungsprozess.

SZ: Wo bleibt da der Hedonismus des Rock'n'Roll? Wolf: Abgesehen von dem passt mir etliches nicht an der Szene. Zum Beispiel die ganzen Obszönitäten. Ich nehme das allerdings nicht allzu tragisch, es darf ja auch mal jemand ausflippen. Aber ganz schlimm ist die Ausnutzung und Entwürdigung der Frauen, Stichwort Groupies - wobei sich manche dieser Frauen ja auch bewusst unterwerfen. Oder Bands wie Rammstein. Deren Sound ist nicht schlecht, aber die Texte sind unmöglich, brutalster Kommerzialismus. Die versuchen, sämtliche Respekt-Tabus zu brechen, nur, um interessant zu sein und Geld zu machen. Oder die Statussymbole in den Videoclips, zum Beispiel die dicken Autos.

SZ: Was ist an denen so schlimm? Wolf: Ich kann doch keinen sozialen Protest aufbringen, der letzten Endes nur in Sozialneid mündet. Interessanterweise wird das von den Jugendlichen nie verurteilt: Zum einen sind die Rockstars gegen das Establishment, zum anderen wollen sie nur rasch dort hineinkommen. Da hat das Evangelium auch echtes Kritikpotenzial.

SZ: Ist Ihr Rock'n'Roll eine harsche Predigt? Wolf: Nein. Die Leute meinen immer, ich wolle missionieren. Dabei ist es einfach ein Stück Lebensfreude, mit den jungen Leuten Musik zu machen. Mir war es immer ein riesen Anliegen, in die Jugend zu investieren. Mir geht es nicht darum, alle in die Kirche zu bringen, das wäre doch Illusion. Ich will ein Stück Hoffnung für das Leben geben.

SZ: Sind Sie dabei auch ein guter Gitarrist? Wolf: Nein, aber ich gebe mein Bestes und übe regelmäßig. Mir fehlt die Zeit.

SZ: Was denkt der Papst über Pop? Wolf: In Bologna hat er Bob Dylan zugehört. Neulich war auf dem Petersplatz ein Rock-Konzert anlässlich der Vorbereitungen des Weltjugendtags. Hinterher war einer der Leibärzte stinkwütend auf den Papst, weil der im Regen sitzen geblieben ist. Außerdem hat der Papst bei Sony eine Pop-Platte herausgebracht, eine Compilation mit seinen Texten. Also: Er ist ein offener Mensch. Er interessiert sich dafür, was die jungen Leute interessiert, während andere nichts damit anfangen können. Aber ich habe den Eindruck, dass diese Seite des Papstes totgeschwiegen wird. Es gibt auch im Vatikan Dissense.

SZ: Mag der Papst Ihre Band? Wolf: Das weiß ich nicht. Ich habe mich in der Zwischenzeit nicht mit ihm unterhalten. Und das wäre sicher nicht das erste Thema, das ich ansprechen würde.

SZ: Rocken Sie immer in der Kutte? Wolf: Bei Feiern im Kloster bin ich im Habit aufgetreten, sonst, zum Beispiel in Kneipen, habe ich immer inkognito gespielt. Die Musik sollte gut sein, nicht, dass der Erzabt mitspielt. Der Habit ist unbequem zum Musizieren. Aber jetzt habe ich dieses Image, deshalb werde ich wohl auch im Theatron nicht in Zivil auftreten. Das sind dann auch so gesellschaftliche Zwänge, man kommt nie ganz ohne aus.

SZ: Wie geht Ihr wichtigster Refrain? Wolf: Gott ist nicht nur gerecht, sondern barmherzig. Das ist die Quintessenz des Evangeliums. Ich sage den jungen Leuten immer: Wenn euch alle verlassen, gibt es einen, der euch nicht verlässt. Ich glaube, das muss die Kirche heute einfach mal rüberbringen. Darum kämpfe ich.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: