Hochhaus-Frage:Immer mit Aussicht

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München und seine wenigen Hochhäuser - wie man in den oberen Etagen arbeitet

Felix Berth

(SZ vom 10.11.1999) - Wie riecht es im BMW-Hochhaus? Vielleicht nobel und dezent nach Holz und Leder? Oder ganz neutral, mit einem Hauch Fensterputzmittel? Möglicherweise auch ein bisschen nach Schmieröl, weil hinter dem Turm gleich das BMW-Werk liegt? Alle Vermutungen falsch, stellt man fest, wenn man die Drehtür im Erdgeschoss durchschreitet: Es riecht nach Kartoffelsuppe, zumindest heute. Denn dort drüben, neben dem Chromstahl-Empfangstresen, ist die Tür zur Kantine.

Auch in den zwanzig Stockwerken darüber wirkt der Zylinder nicht wesentlich moderner, obwohl wenn er von außen immer noch zeitgemäß aussieht: Immer wieder begegnet man knallgrünen Trennwänden, die aus den bunten siebziger Jahren stammen - gut, dass sie wenigstens kein großflächiges Blumenmuster haben.

Manche Drehstühle sind vermutlich Baujahr 1972 wie der Turm, bloß Telefone und Computer stammen aus jüngerer Zeit. Wie arbeitet sich's in einem solchen Hochhaus? Keine einfache Frage: Zweitausend Angestellte im BMW-Zylinder würden zweitausend unterschiedliche Antworten geben - und im Hypo-Hochhaus sähe die Bilanz ähnlich aus: Ob sich jemand hier wohl fühlt, hängt eben nicht nur von der guten Aussicht oder der rauschenden Klimaanlage ab.

Trotzdem könnten sich ein paar Besuche lohnen - schließlich steht ein neues Hochhaus-Projekt in München kurz vor dem Start, und vielleicht bemerkt man in drei markanten Gebäuden Münchens ein paar Ähnlichkeiten.

Windstärke schwankend

Werner Kalleder war einer der ersten, die in das Hypo-Hochhaus am Arabellapark einzogen. Damals, 1983, saß er noch im Großraumbüro. Heute hat der Abteilungsleiter ein eigenes Zimmer im 12. Stock mit Blick auf die Alpen - und er hat sich an das Haus gewöhnt. "Die ersten Jahre konnte ich nach jedem Urlaub eine Wette abschließen: Nach einer Woche im Büro hatte ich garantiert eine Erkältung. "

Heute hat sich sein Körper an die Klimaanlage angepasst, die Schreibtisch-Grippe bleibt aus, und das Zischen des Luftstrahls am Fenster hört Kalleder nur noch, wenn er darauf achtet. Auf seinem Schreibtisch steht ein digitales Thermometer, denn Wind und Wärme ändern sich immer wieder, wenn irgendwo Stellwände verschoben wurden. Dann fordert der "Kollege Hochhaus" Aufmerksamkeit, die in einem normalen Büro wohl nicht nötig wäre.

Natürlich sind der Turm der Hypo-Vereinsbank und der BMW-Zylinder inzwischen zu Symbolen für die beiden Unternehmen geworden - mit Auswirkungen auf die Menschen, die dort arbeiten: "Ich sehe unser Haus immer wieder im Fernsehen und denke: "Aha, die haben auch bei uns gedreht'", sagt Kalleder. Gleichzeitig scheinen solche eindrucksvollen Türme auch unter Bürokratie-Verdacht zu stehen: "Draußen, in den Filialen der Hypo-Vereinsbank, sehen uns sicher einige als Wasserkopf, der eine Menge Geld kostet".

Bei BMW ist das wohl kaum anders. Claudia Müller, die im 10. Stock an ihrem Schreibtisch sitzt, hat im Turm vor einiger Zeit Veranstaltungen für Mitarbeiter aus der Produktion organisiert: "Da kamen Meister aus dem Werk zum ersten Mal ins Hochhaus und waren erschrocken, wie eng und einfach wir hier arbeiten", sagt sie.

Die Vorstellung vom geräumigen, luxuriösen Arbeitsplatz im Wolkenkratzer ist vermutlich so verbreitet wie falsch: Auch in der Hypo-Bank stehen nur Möbel aus vergangenen Jahrzehnten, und geräumig wirken auch diese Büros nicht. Bilden sich denn Hierarchien in den Türmen ab? Sitzt der Ranghöhere automatisch im höheren Stockwerk? Vermutlich weniger als ein Außenstehender denkt - und mehr als viele Angestellte meinen.

Ganz oben, jenseits des 20. Stocks, arbeitet in beiden Türmen der Vorstand, darunter allerdings passt die Rangordnung nicht immer zu den Stockwerken: Manche BMW-Abteilungen sitzen höher als ihre Chefs; manchmal allerdings fragt man sich, ob die Büroverteilung wirklich zufällig ist: Werner Kalleder, im 12. Stock des Hypo-Turms, hat seine Mitarbeiter in Etage 12, Etage 9 und im Keller; sein Chef dagegen sitzt direkt über ihm.

Die Aussicht in Kalleders Büro ist grandios: Freier Blick nach Südwesten Richtung Stadt und Gebirge. "Mein früherer Chef hat immer gesagt, dafür müsste man mir tausend Mark vom Gehalt abziehen", sagt Kalleder und grinst. Eines freilich kriegt man hier oben nicht mit: städtisches Leben. Wie entrückt man in den Türmen von BMW und Hypo-Vereinsbank sitzt, bemerkt man erst bei einem Besuch in einem Hochhaus mitten in der Stadt: Dem roten Backstein-Block des Planungsreferats nahe dem Sendlinger Tor.

Michael Simon arbeitet hier im 7. Stockwerk; er hat den Autolärm im Ohr und die Hausdächer der City im Blick: "Die Stadt ist hier greifbar nah - für einen Stadtplaner der perfekte Arbeitsplatz."

Zwischen Müll und Museum

Auch Michael Simon erlebt immer wieder, dass das Hochhaus für Außenstehende zum Symbol geworden ist - bloß selten positiv besetzt wie die anderen beiden Türme im Münchner Norden, sondern negativ: "Man kennt unser Haus als Sitz der Lokalbaukommission, die oft Entscheidungen trifft, die für einzelne Bürger unangenehm sind. "

Trotzdem hat sich der Stadtplaner eine Begeisterung für den Turm aus den zwanziger Jahren bewahrt, und so sammelt er in seinem Büro die Eichenmöbel, die der Architekt des Hochhauses vor siebzig Jahren für das Gebäude entwarf. Ein schöner Messing-Türgriff von damals kann ihn freuen ("ein Handschmeichler", sagt Simon dann), und wenn er erfährt, dass ein Kollege ein altes Schränkchen rauswirft, schaut er nach, ob das Ding noch was taugt. Nostalgie in einem Hochhaus? Nicht ganz, sagt Simon und zieht eine Schreibtischschublade heraus: "Die funktioniert nach 70 Jahren noch."

Erstaunlicherweise wirkt sein Büro viel persönlicher als alle Räume in den Hochhäusern von BMW und Hypo-Vereinsbank. Vielleicht liegt es daran, dass Simon eine Tradition des Hauses bewahrt: "Es muss doch etwas geben zwischen Museum und Sperrmüll", sagt Simon und macht sich auf zu einem kleinen Spaziergang in den dritten Stock. Denn dort will wieder jemand ein altes Regal wegwerfen. Aber leider hat er dieses Modell schon in seinem Büro stehen.

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