Hitparade der Münchner Kulturschaffenden:Unsere Besten - doch nur eine(r) kann gewinnen!

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Wer ist der beste, klügste, erfolgreichste Deutsche? Diese weitreichende Frage versuchte die Fernsehnation 2003 zu beantworten. Hier stehen die begnadetsten Kulturschaffenden Münchens zur Wahl: Hat Tanja Kinkel die Literatur am meisten nach vorne gebracht, wird Herbert Achternbusch unsterblich, ist Christian Ude der größte Strippenzieher? Stimmen Sie mit ab!

(SZ vom 27.12 2003) - Die zehn Kandidaten:

1) Sir Peter Jonas: Das Verkaufsgenie

August Everding kannte die drei Voraussetzungen für Kunst sehr genau: "Erstens: Geld. Zweitens: Geld. Drittens: Geld." Sir Peter Jonas steht ihm da in keiner Weise nach, sondern ergänzt nach Verinnerlichung der Everdingschen Maxime diese um den einzig wahren Zirkelschluss: Die drei Voraussetzungen für Geld sind Kunst, Kunst und Kunst.

Erst durch Sir Peter konnte die Hypo-Vereinsbank vor dem drohenden Ruin gerettet werden - in der Festspielnacht in den fünf Höfen manifestierte sich die Überwindung der Krise in operaler Größe. Erst durch Sir Peter finden illustre Vertreter der Münchner und der Welt-Wirtschaft in exklusiven Zirkeln zueinander und können darin die Einsamkeit der Macht überwinden und zu neuer Tatenkraft finden.

Erst durch Sir Peter hat Frau Weishäupl vom Münchner Fremdenverkehrsamt überhaupt einen Job, weil ohne den Sir keine Fremden in unsere schöne Stadt kämen und hier ihr Geld ausgäben. Erst durch Sir Peter gibt es München im eigentlichen Sinne überhaupt; denn alles, was davor München hieß, ließ sich nicht so recht verkaufen. Ach ja, jetzt hätten wir fast vergessen zu erwähnen, dass Sir Peter der Intendant der Bayerischen Staatsoper ist.

2) Rudolph Moshammer: Das unentdeckte Talent

Tapferes Schneiderlein, Nobel-Couturier, Schriftsteller, Engel der Armen, Salonlöwe, dreifacher Rolls-Royce-Besitzer, Parfum-Kreateur, Gaststättenbetreiber, Werbeträger für amerikanische Fleischklopse und nicht zuletzt Schauspieler und Sänger - von allem etwas und eigentlich doch viel mehr, das ist er: Unser "Mosi", wie ihn seine Fans nennen.

Der Sage nach - genaues weiß man nicht - irgendwann zwischen 27. September und 27. Dezember um das Jahr 1945 in München als Reinkarnation unseres geliebten bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. geboren, bewegt er seit mehr als 30 Jahren die Gemüter. Bislang wichtigstes Transportmittel seiner die Welt nicht bewegenden Botschaften: die Regenbogenpresse. Zu Unrecht. Mosi ist ein Kulturträger. Wer die Damen der Gesellschaft Woche für Woche, Jahr für Jahr derart souverän an die Wand spielt und damit auch noch richtig Geld macht, verdient höhere Weihen.

Der Mann ist ein Performance-Künstler, auch wenn er bislang nur als begnadeter Selbstdarsteller angesehen wird. Kostet den Not leidenden öffentlichen Kulturhaushalt keinen Pfennig. Die Zeiten sind hart. Und wenn Kunst schon unterhaltend sein soll, dann wenigstens Profis an die Front. Edith Welser-Ude, die Foto-begeisterte und neuerdings von Ausstellungserfolgen verwöhnte Oberbürgermeistersgattin kann sich künftig warm anziehen. Der Mosi steckt alle die neuen, vom Sparwunder geborenen Künstler in die Tasche.

3) No Angels: Die Super-Antistars

Man kann die No Angels nicht genug loben. Die von München aus zusammengecastete Hopstruppe hat Pionierarbeit geleistet beim letzten postmodernen Sturm auf die elitären Regeln der Kunst. Die fünf, dann vier Mädchen haben mitgeholfen, den überkommenen Genie-Begriff durch ein zeitgemäßes Fitness-Konzept zu ersetzen: Künstler ist demnach nicht mehr, wer kreativ aus sich selber schöpft, sondern wer hart genug an Stimmband, Bauch und Po arbeitet, damit vorgestanzte Tanzschritte bei der Verrichtung möglichst telegen aussehen.

Dieses Konzept, vom System No Angels erprobt, wurde dieses Jahr auf das Konstrukt "Superstar" ausgeweitet, indem eine Allianz aus Großkapital und Medienmacht, die sich "Deutschland" nannte, eine Suche vorgab und diese als eine Art Superturnfest der Selbstentblöder im Fernsehen inszenierte.

Die Botschaft an das junge Lumpenproletariat der Zeigefreudigen war: Jeder, der hart genug trainiert, kann es schaffen, höchstens ein Viertel so reich zu werden wie die Jungs, die im Hintergrund die Strippen ziehen. Logischer Nebeneffekt: Jede mediokre Null darf sich jetzt "Star" nennen. Die No Angels haben diese galoppierende Entwertung aller Qualitätsmaßstäbe konsequent zu Ende gedacht.

In einer Pop-Welt der Banalitäten und Austauschbarkeiten, in der Normalos "Stars" sind, sind "Stars" Normalos. Also ist es wurst, ob sie als Hopstruppe im Rampenlicht existieren oder nicht. Folgerichtig haben es die No Angels gemacht wie der Star-Begriff - sich aufgelöst. Dafür noch einmal: danke!

4) Herbert Achternbusch: Die Ambacher Diva

Von sich selbst behauptet er, der erfolgreichste Filmemacher erfolgloser Filme zu sein. Da könnte was dran sein. Zum 65. Geburtstag flimmerten unlängst seine gesammelten Werke über die Mattscheibe. Spät nachts, im Bayerischen Fernsehen: Sonderschicht für hart gesottene Cineasten. Das waren noch Zeiten als ihm der bayerische Innenminister Zimmermann den Gefallen erwies, einen seiner Filme zu verbieten. Eine Art Durchbruch.

Seitdem hat der gebürtige Ambacher Achternbusch seine Rolle als anerkannt, weltgeschmerzter Anarchist endgültig gefunden. Und wie er sie auslebt. Ohne Rücksicht auf Verluste und immer selbst ernannt. Ob als Malergenie, als verkannter Poet, als Theaterregisseur, als Stückeschreiber oder als Bier trinkendes Original in diversen Münchner Innenstadtlokalitäten. Ein Vollblut-kreativer eben. Und wer in seiner Gegenwart wagt, etwas anderes zu behaupten, dem schüttet der Meister durchaus gerne mal einen Krug Bier über den Kopf.

Aber so sind die Künstler eben: spontan, launig und allzeit zu Scherzen - auch mal derberer Natur - aufgelegt. Nein im Ernst: Was wäre München ohne Achternbusch? Ein Provinznest ohne Kultur. Ein Millionendorf ohne Dorfdiva. Die große Geste macht's. Wem sonst gelingt es so überzeugend, schlechte Laune als große Kunst zu verkaufen?

5) Tanja Kinkel: Die Historienkönigin

Millionen von Lesern können nicht irren. Mit Büchern wie "Mondlaub", "Unter dem Zwillingsstern" oder "Der König der Narren" hat sich Tanja Kinkel in die Herzen der Menschen geschrieben; mehr als zwei Millionen sind bisher in zwölf Sprachen mit ihr den Spuren von Eleonore von Aquitanien oder Lord Byron gefolgt. Die Münchner Schriftstellerin ist damit auf dem Weg zum Olymp des Historienromans schon ganz weit oben angelangt.

Sätze wie "Ein raunender Schrei aus Wut und Schmerz erhob sich" oder "Du musst dem See gestatten, das Innerste deines Herzens widerzuspiegeln" haben sich in das kollektive literarische Gedächtnis eingebrannt. Doch Tanja Kinkel beschränkt sich nicht darauf, als Erfinderin grausamer Geschichten im Mittelalter oder in Michael Endes Land Phantásien in die Literaturgeschichte einzugehen. Seit kurzem richtet sie ihren Blick auch auf die Gegenwart und analysiert im neuesten Thriller die Gefahren der Biotechnologie.

Damit ist die 34-Jährige für die Zukunft bestens gerüstet, und es wird ihr ganz sicher nicht so gehen wie einer ihrer Hauptfiguren: "Res konnte die Zukunft so deutlich vor sich sehen wie das Webschiffchen, das hin- und hereilte, hin und her, mit einem Faden an das Gewebe gefesselt wie die Weberinnen an ihre Webstühle, und die Aussicht würgte sie bisweilen in der Kehle."

6) Lisa Fitz: Der letzte Macho

Kritisch und frauenbewegt, wie sie nun einmal ist, wird sie jetzt denken, sie sei nur in die Auswahl gekommen, weil diese Hirschen von der SZ noch eine Quotenfrau gebraucht haben. Dem ist selbstverständlich nicht so. Lisa Fitz, Hochleistungskabarettistin seit vielen Jahren, hat nämlich noch ein Talent, das bisher viel zu wenig gewürdigt worden ist.

Und das fehlt in unserer Stadt, nachdem Bernd Eichinger fast bloß noch in L. A. rumhängt und Heiner Lauterbach unter die Haube gekommen und beinahe so etwas wie vernünftig geworden ist. Ist München nun also eine Stadt ohne richtige Machos? Nein, es gibt ja Lisa Fitz! Die hat das volle Macho-Programm perfekt drauf: immer einen blöden Spruch parat haben, wenn die Klatschreporter anfragen, und dabei bloß nicht lange nachdenken.

Hauptsache, der Mund wackelt. Des Weiteren: sich auf Promi-Events herumtreiben, vom Armbrustschützenzelt bis zum Harley-Festival, möglichst zusammen mit einem wesentlich jüngeren Vertreter des anderen Geschlechts. Wenn dann noch die Bunte in der Nähe ist, ist die Sache geritzt. Der schwärmt man dann vom "fantastischen Sex" mit dem Lover vor oder verrät: "Er braucht meinen Tritt in den Hintern."

Tja, Herrschaften, so wird's gemacht! Von "Ladyboss" Lisa kann der Münchner Macho noch was lernen.

7) Christian Ude: Der Marionettenspieler

Sein Ruf, ein Musenfreund zu sein, hat ja in letzter Zeit erheblich gelitten. Weil er neuerdings gerne unter seinen intellektuellen Fähigkeiten bleibt, wenn er über moderne Kunst spricht. Und weil er sich allzeit schützend vor seine Kulturreferentin wirft, wenn die mal wieder angegiftet wird. Man muss das freilich entschuldigen. Schließlich ist die Referentin die Busenfreundin der Frau Oberbürgermeister, und wer möchte schon nach einer anstrengenden Bürgerversammlung spätnachts nach Hause kommen und dann hören: "Du sag mal, Christian, wie springst du eigentlich mit der Lydia um?"

Der Not gehorchend, läuft Christian Ude zu großer Form auf, in einer seiner Lieblingsdisziplinen: dem Spiel mit Marionetten. Man muss das miterlebt haben, wie virtuos er an den Fäden zieht - ein Traum! Hat ein SPD-Kulturstadtrat blöderweise mal eine eigene Meinung, so bringt der Ude ganz flott einen Populistenkasperl mit der Haushalts-Pritsche ins Spiel, und schon hat der Stadtrat wieder seine, Udes Meinung.

Folgt er nicht, gibt's Watschen aus dem Hintergrund, bis das Publikum brüllt vor Lachen. Und die Kulturreferentin spielt den Wackeldackel, der brav nickt zu allem, was der Oberbürgermeister sagt. Manche mögen in diesem Spiel zwar richtige Figuren mit ein bisschen Eigenleben vermissen - aber das ist ja grad der Sinn der Sache!

8) Wolfgang Nöth: Der Schlägerzeilenmacher

"Einer muss ja den Prügel aus der Tasche ziehen, damit in München etwas passiert", hat Wolfgang Nöth kürzlich gesagt. Und mit der dritten Person natürlich den "Hallenmogul" in sich selbst gemeint. Der 60-jährige Unruheständler mit visionären Großbauplänen schwingt die Wortkeulen so grazil wie ein Jungbauer den Hau-den-Lukas-Hammer auf der Wiesn kurz vor Schankende.

Mal will Nöth seine Konzerthalle Zenith los werden, dann doch behalten - aber immer geradeheraus. Dafür gebührt Nöth Respekt - gerade in Zeiten einer verhartelten Kulturszene, in der sich die Fördergeld-Empfänger lieber einen Hammer auf den Zeh fallen lassen würden als öffentlich ein kritisches Wort, weil sie sonst die Gunst des Kulturreferats verlieren könnten. Nöth aber prügelt unangefochten von kleinlichen Detailfragen Sack und Esel, Eselstreiber und Stallknecht gleich mit. Der Kunstpark Nord in Fröttmaning ist sein Ziel. Sonst passiert hier ja nichts.

9) Reinhold Baumstark: Der Everding-Nachfolger

Bei der staatstragend inszenierten 150-Jahrfeier der Neuen Pinakothek im Herbst diesen Jahres ereilte ihn die Nobilitierung wie ein Lichtstrahl aus wolkenverhangenem Kulturhimmel. Reinhold Baumstark, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, wurde vom frisch inthronisierten Kultur- und Wissenschaftsminister in dessen Festansprache nicht nur immer wieder besonders lobend erwähnt, sondern darüber hinaus auch noch in eine Art Adelsstand erhoben.

Baumstark - so Goppel - sei der "neue Everding der bayerischen Kultur". Wir erinnern uns dunkel: August - "Hansdampf in allen Gassen", Jahrzehnte währender Generalintendant, Prinzregententheater-Retter, dem alle Politiker aus der Hand fraßen - Everding. 1999 hoch geehrt verstorben, unvergessen und nach wie vor vermisst.

Er scheint nun gleichsam wieder auferstanden. Diesmal in Gestalt eines Kunsthistorikers, der es wie kein anderer versteht, die Bilder seiner alten Meister in melodische Sprachkaskaden zu kleiden. Rubens, Dürer, Rembrandt und Co. hätten sich keinen beredteren Exegeten wünschen können. Da bleibt kein Auge trocken. Nicht einmal der sonst so hart gesottene Kultur-Sparminister Goppel konnte da offensichtlich widerstehen.

Um Bayerns Kultur muss einem also bei so viel inniglicher Verbundenheit nicht bange sein. Everding-Baumstark kann schließlich allzeit an oberster Stelle gute Worte einlegen. Das jahrelange Training beim Fürsten von Liechtenstein, als Direktor der dortigen Sammlungen, macht sich bezahlt.

10) Ludwig I.: Der Dichterfürst

Viel hat er für die Münchner Kultur getan, viel mehr, als der breiten Öffentlichkeit bewusst ist. Zwar weiß fast jedes Schulkind, dass LudwigI. ein großer Kunstmäzen war und München in seiner Regierungszeit zwischen 1825 und 1848 zu einem glanzvollen kulturellen Zentrum wurde.

Dass Ludwig I. jedoch auch ein Meister der Dichtkunst war, ist heute nur noch wenigen Kennern seines Schaffens präsent. Eine besonders intime Kennerin war Lola Montez, der er die fein ziselierten Zeilen widmete: "Heitern Sinnes, froh und helle / Lebend in der Anmuth hin, / Schlank und zart wie die Gazelle / Ist die Andalusierin." Zeilen, mit denen er sich gleichermaßen als versierter Poet und als begnadeter Frauenversteher erwies.

Der Liebestaumel endete jedoch jäh, als sowohl Frau als auch Regentschaft mit der Märzrevolution futsch waren: "Hätt' ich doch nie und nimmer dich gesehen! / Für die gegeben ich mein letztes Blut. / Durchdrangest mich mit namenlosen Wehen, / Du meines Lebens glühendste Liebesglut!"

Mit dieser schonungslosen Offenheit und tiefen analytischen Durchdringung seiner fatalen Lage zeigt sich Ludwig I. als wahrer Dichterfürst. Dass seine Reimkunst weder zu Lebzeiten noch von der Nachwelt gebührend gewürdigt wurde, ahnte er zwar: "Daß dich nicht täusche das reichliche Lob; / denn was Du gedichtest / Ungepriesen blieb's, / säßest Du nicht auf dem Thron." Höchste Zeit also, diesem unwürdigen Zustand ein Ende zu machen und den königlichen Lyriker endlich so zu preisen, wie er es verdient hat.

In der Vorjury saßen Franz Kotteder, Jochen Temsch, Egbert Tholl, Antje Weber, Christoph Wiedemann

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