Günther Beckstein:Bedrohung durch eine "Braune Armee Fraktion"

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Zwei Tage nach dem ungeheuerlichen Sprengstoff-Fund bei Mitgliedern der Neonazi-Szene hat die Münchner Polizei weitere Festnahmen angekündigt. Bayerns Innenminister Beckstein über die "Neue Dimension der Gefahr" durch Rechtsradikale.

(SZ vom 13.9.2003) - Der bayerische Innenminister Günther Beckstein schließt inzwischen nicht mehr aus, dass es sich um eine terroristische Zelle handelt, eine Art "Braune Armee Fraktion". Er will deshalb jüdische und israelische Einrichtungen in besonderer Weise schützen lassen. Auch für die Wiesn kündigte er "höchstes Sicherheitsniveau" an.

SZ: Im letzten Verfassungsbericht steht: "Terroristische Ansätze sind in Bayern nicht erkennbar." Haben Sie die Neonazi-Szene unterschätzt?

Beckstein: Ganz offensichtlich nicht, sonst hätten wir den Fall nicht aufdecken können. Noch vor einem halben Jahr waren bei der damaligen Momentaufnahme derartige Entwicklungen noch nicht absehbar. Im Gegenteil: Es war übereinstimmende Auffassung aller Sicherheitsbehörden, dass es in Deutschland keine "Braune Armee Fraktion" gibt.

Die Tendenzen haben sich in dieser Szene erst in den letzten Monaten deutlich verschärft. Der TNT- und Waffenfund zeigt eine völlig neue Dimension. Wir müssen alle Möglichkeiten, die uns das Recht gibt, weiter vollständig ausschöpfen. Hätten wir das bisher nicht gemacht, hätten wir den Fall Martin Wiese nie aufgedeckt.

SZ: Martin Wiese ist als Rechtsradikaler einschlägig bekannt. Dennoch sind Sie nur per Zufall seinen Plänen auf die Spur gekommen.

Beckstein: Es ist sicher falsch, zu glauben, es sei Kommissar Zufall gewesen, der zu den gebunkerten Waffen und dem Sprengstoff geführt hat. Es waren intensivste, beharrliche und massivste polizeiliche Maßnahmen erforderlich. Die "Kameradschaft Süd" hatten wir auch schon früher im Auge.

SZ: Werden Sie die Szene nun genauer beobachten?

Beckstein: In ganz Deutschland muss man die Beobachtung nochmals intensivieren, völlig klar, schon weil sich eine neue Dimension ergeben hat. Wobei ich hervorhebe, dass es gerade Bayern gewesen ist, das in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen hat, dass sich Neonazis und Skinheads zusammengetan haben.

Das ist ja ein Element der besonderen Gefährlichkeit, übrigens auch im Zusammenhang mit der NPD. Ich habe immer wieder betont, dass es beim Kampf um die Straße um gewaltbereite Neonazis und Skinheads geht. Deswegen ist die militante "Kameradschaft Süd" ja auch im Verfassungsschutzbericht ausdrücklich aufgeführt.

Das zeigt, dass wir die Gruppen sehr wohl schon im Visier hatten. Außerdem kann man schlichtweg zum gegenwärtigen Zeitpunkt einfach noch nicht alles wissen. Zumal die Ermittlung die Generalbundesanwaltschaft führt.

SZ: 14 Kilogramm Sprengstoff, darunter 1,7 Kilogramm TNT - das ist mehr als beim Wiesnattentat in die Luft gesprengt wurde. Zeigt das nicht, wie sich Neonazis zur Terrorgruppe formieren?

Beckstein: Das ist im Fall Martin Wiese sicherlich die exakte Bewertung. Ob es auch auf andere Gruppen in Deutschland zutrifft, muss im Moment sorgfältig geprüft werden. Ich halte es für unabdingbar, dass wir auch in anderen Bereichen der Rechtsextremisten sorgfältigste Maßnahmen durchführen. Und zwar nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch zur Gefahrenabwehr. Da zeigt sich übrigens auch, wie notwendig es ist, dass wir auch rechtlich Möglichkeiten haben, und nicht erst abwarten müssen, bis eine Straftat begangen worden ist.

SZ: Sie fordern also schärfere Regelungen bei der Verbrechensbekämpfung?

Beckstein: Ich spreche jetzt abstrakt von der Möglichkeit des Lauschangriffs bis hin zum telefonischen Abhören, um Gefahren abzuwenden. Gerade der Fall Martin Wiese zeigt, wie dringend wir gesetzliche Befugnisse benötigen, um nicht nur nach der Aufdeckung einer schweren Straftat die Möglichkeiten des Rechtsstaats voll auszuschöpfen, sondern auch präventiv polizeilich vorzugehen.

Wenn man das Umfeld der Kameradschaften anschaut, dann können wir vielen Extremisten keine Straftat beweisen. Aber wir haben natürlich eine massive Gefährdung. Und wir müssen die entsprechenden Möglichkeiten umfassend ausnutzen, soweit es uns das Recht erlaubt.

SZ: Aber wäre nicht eine Sonderkommission notwendig, die Neonazis regelmäßig und permanent beobachtet?

Beckstein: Im Fall Martin Wiese haben wir 30 Beamte eingesetzt, die allen Verästelungen nachgehen, und dafür sorgen, dass sämtliche Bereiche überprüft werden. Das ist schon ein massiver Einsatz, zumal die Sonderkommission, die übrigens den Namen "TNT" hat, schon seit etlichen Wochen arbeitet.

SZ: Wird sie auch weiterhin die Rechtsradikalen-Szene im Auge haben?

Beckstein: Alle polizeilichen Dienststellen vor Ort werden, so wie hier, entsprechende Gefährdungen ernst nehmen. Dazu brauchen wir auch unseren sehr starken Verfassungsschutz, der jetzt neben den islamistischen Extremisten auch das rechtsextreme Umfeld in besonderer Weise erneut überprüfen wird. Gerade weil wir eine neue Dimension der Gefährlichkeit erreicht haben.

SZ: Sie rechnen also mit Terroranschlägen von Neonazis, wie man sie bislang nicht kannte.

Beckstein: Das ist nicht ausschließbar.

© Interview: Christine Burtscheidt - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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