Grauzone:Anonyme Samenspende: Eltern verklagen Arzt

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Wer ist der leibliche Vater? Das fragte ein Paar den Arzt, der ihm per Insemination zum Kind verholfen hatte. Der Mediziner verwies auf die Schweigepflicht, die Parteien landeten vor dem Münchner Landgericht. Ein juristisch einmaliger Prozess.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Ihren Kinderwunsch mit Hilfe der so genannten donogenen Insemination - der Behandlung mit dem Samen eines anonymen Samenspenders - zu erfüllen, ist für zahllose Paare in Deutschland längst Realität geworden. Ein solches Paar hat jetzt im Namen seiner Tochter seinen Facharzt verklagt.

Es verlangte von dem Doktor zunächst, dass er die Identität des Spenders preisgebe. Als er das gestern in der mündlichen Verhandlung nicht konnte, änderten die Eltern ihren Klageantrag dahin ab, dass durch das Gericht schon jetzt festgestellt werden solle, dass der Mediziner wegen der "Nichtnennung" dem Kind zu Schadenersatz verpflichtet wäre.

Denn eines Tages würde es erfahren, dass sein vermeintlicher Vater nicht der leibliche Erzeuger ist und dadurch einen schweren seelischen Schaden erleiden. Beispielsweise, so die Argumentation, könnte der junge Mensch psychisch so sehr darunter leiden, dass er fortan arbeitsunfähig wäre.

Würde diese Klage Erfolg haben, könnte eine unkalkulierbare Schadenersatzwelle auf praktisch alle Samenspender und die relativ wenigen Fachärzte zurollen. Die erfolgreiche künstliche Befruchtung einer Patientin mit anonym gespendetem Sperma würde damit quasi zum ärztlichen Kunstfehler erklärt werden - mit allen unabsehbaren Konsequenzen aus eventuellen Schadenersatzforderungen. Wolfgang Putz, Rechtsanwalt des betroffenen bayerischen Arztes: "Wir stehen in diesem Verfahren vor einer Fülle rechtlich ungeklärter Fragen."

Im konkreten Fall basiert die Angst der Eltern auf einem schweren Leiden des Ehemannes. Er hat eine bis heute unheilbare angeborene Stoffwechselkrankheit. Der leibliche Sohn, der auch das Krankheits-Gen in sich trägt, wird folglich eines Tages erfahren müssen, dass er bei der Wahl einer Partnerin eine genetische Auslese treffen müsse, um die Weitervererbung der Krankheit zu vermeiden. Und dann, so sehen die Eltern voraus, werde die mit der Samenspende gezeugte Tochter fragen, warum sie dieses Problem-Gen nicht geerbt habe - so werde die Wahrheit an den Tag kommen und könne das Kind womöglich in schwerste seelische Konflikte mit heute unabsehbaren Folgen stürzen.

Alle Spender des betroffenen Arztes sind Studenten, denen Anonymität zugesichert wurde. Ihrerseits haben sie darauf verzichtet, Auskunft über die mit ihrem Samen erzeugten Kinder zu verlangen. Spender und Empfänger schlossen Verträge, dass beide künftige Eltern das Kind als eheliches Kind annehmen wollen, dass der Samenspender anonym bleiben soll und gegen ihn keine Ansprüche erhoben werden.

Die Richter der 9.Kammer stellten gestern aber fest, dass diese Ausschlussklausel unwirksam sei und das Kind auf Grund eines Bundesverfassungsgerichts-Urteils Anspruch auf Kenntnis des genetischen Vaters habe. Hier musste der Doktor, wie gesagt, passen, weil er seine Praxis bewusst so organisiert hat, dass die Spender-Anonymität gewährleistet ist. Deshalb soll nun er selbst in Regress genommen werden.

Nach ausführlicher Verhandlung, die auf Antrag des Klägeranwalts unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, vertagte sich das Gericht. Vor allem muss geklärt werden, ob der Arzt schuldhaft gegen Vorschriften oder standesrechtliche Richtlinien verstoßen hat.

Es ist damit zu rechnen, dass dieser Rechtsstreit bis vor den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht gelangen dürfte. Experten sind sich auch einig, dass angesichts der Vielzahl offener Rechtsfragen eine gesetzliche Regelung längst überfällig ist.

© SZ vom 24.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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