Goldene Bar:Das Haus des Kitschs

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Im Haus der Kunst wird eine lieblich bemalte Weinstube in den Zustand von 1937 versetzt - ein offener Umgang mit der NS-Vergangenheit.

Wolfgang Görl

(SZ vom 1.7.2003) — "Mauern tragen keine Schuld", soll Christoph Vitali, der ehemalige Direktor des Hauses der Kunst, gesagt haben, als er zu Beginn seiner Amtszeit bei Nacht durch die Säle schlich, darüber grübelnd, ob es richtig war, im einstigen Kunsttempel der Nazis ein Amt zu übernehmen.

So gesehen ist die Wand, die Volker Jutzi gerade bearbeitet, eine wie jede andere. Und doch stellt sich Unbehagen ein, hier im Haus der Kunst, in der einstigen Weinstube, die auch "Goldene Bar" genannt wird. Warum bloß? Liegt es an den Bildern, die großflächig die Wände zieren? Sind da Hakenkreuze, Blut-und- Boden-Malereien, finster blickende, arische Krieger? Nichts davon.

Raum für bacchantische Gefühle

Was da an den Wänden prangt, mit feinem Pinselstrich auf Blattgold gemalt, müsste eigentlich bacchantische Gefühle auslösen. Die Landkarte der Champagne etwa, kenntnisreich ergänzt durch Szenen aus der Champagner-Produktion.

Skizzenhafte Bilder schottischer Destillerien feiern die Kunst der Whiskey-Herstellung, und auch der Rum erfährt eine Hommage in Gestalt karibischer Plantagen-Arbeiter. Portugal, die Pfalz, der Rhein — die Welt aus Sicht eines Genießers, in aller Unschuld, so scheint es, gestaltet.

Auf einem der Wandbilder hat der Künstler seine Signatur hinterlassen: "K.H. Dallinger 1937". Jener Professor Karl-Heinz Dallinger, erzählt Anton Köttl, der technische Direktor des Museums, hatte seinerzeit den Wettbewerb um die Gestaltung der Weinstube gewonnen und zudem getönt, Hitler selbst habe sich um die Sache gekümmert. Verbürgt ist das freilich nicht.

Überhaupt die Bar: Natürlich war sie ein unbedeutendes Detail im Masterplan der nationalsozialistischen Kulturpolitik, demzufolge München als "Hauptstadt der deutschen Kunst" zu fungieren hatte. In diesem Kontext war das "Haus der Deutschen Kunst" das Schaufenster, in dem das Regime sein künstlerisches Programm auszustellen gedachte.

Mit größtem Pomp hatte Hitler am 18.Juli 1937 das Museum eröffnet, und die Besucher der jährlich dort stattfindenden "Großen Deutschen Kunstausstellung" erwartete ein schwülstig-biederer Bilderbogen aus Stillleben, Landschaften, Bauernporträts und nackten Gretchen, dessen ästhetisches Konzept nichts anderes war als eine Kriegserklärung an die Moderne.

Kitsch nach nationalsozialistischem Geschmack

Man schwelgte im Kitsch nach nationalsozialistischem Geschmack, und wer genug gesehen hatte, trank auf der großen Terrasse vor dem Englischen Garten einen Kaffee oder aber er wagte ein Tänzchen in der Weinstube, wo eine Combo spielte.

Restaurator Jutzi und seine Kollegin Barbara Staudacher kratzen mit dem Messer ein paar Quadratzentimeter große Farbfelder aus der Holzwand, die Dallingers Bilder umrahmt. Sie wollen herausfinden, wie der Originalanstrich aussah. "Vermutlich grün", sagt Jutzi, aber ganz sicher ist er sich nicht.

Zwei Farbschichten bedecken das Holz, wobei die oberste vor acht Jahren aufgetragen wurde. Es ist eine Art Lachsrot, das dem Raum den Charme einer Bonbontüte verleiht. Darunter ein düsteres Dunkelgrün, das Volker Jutzi für die ursprüngliche Farbe hält. Möglich ist aber auch, dass die Holzwände der Weinstube ganz ohne Anstrich waren.

Weil die zeitgenössischen Fotos schwarz- weiß sind, liefern sie keine zweifelsfreien Erkenntnisse über die Farbgebung. Doch die Restauratoren möchten es schon genau wissen, denn der Raum soll wieder so werden, wie er bei der Eröffnung 1937 aussah. Eine Hoffnung hat Jutzi noch: Dass es Zeitzeugen gibt, die sich an den Originalzustand erinnern können.

Vielleicht melden sich welche (Telefon 089/21127115).

Warum das alles? Warum will man ein Haus, das als steingewordenes Monument der nationalsozialistischen Kulturpropaganda gilt, wieder so herstellen, wie es der Architekt Paul Ludwig Troost — er hatte auch das "Braune Haus" gestaltet — geplant hatte? Weil es, sagt Anton Köttl, um Architekturgeschichte geht.

Weil Troost insofern ein moderner Baumeister war, als er mit den fortgeschrittensten Techniken seiner Zeit arbeitete. Hinter dem klassizistischen Erscheinungsbild verbarg sich eine technische Ausstattung, die damals ihresgleichen suchte. Und die große, bis unters Dach reichende "Ehrenhalle" (so hieß sie zur Nazi-Zeit) hat die zeitgenössischen Besucher zweifellos in Erstaunen versetzt, vielleicht auch eingeschüchtert ob ihrer steinernen Monumentalität.

"Kritischer Rückbau"

Heute ist sie mit allerlei Zwischenwänden verstellt, die rote Marmorverkleidung der Säulen ist weiß übertüncht. Auch dieser Teil des Gebäudes soll sich nach dem Willen des neuen Direktors Chris Dercon peu à peu dem Urzustand annähern. Ein, wie es heißt, "kritischer Rückbau" (so Anton Köttl) ist geplant, der eine historische Dokumentation über das Haus einschließt.

Letztendlich geht es dabei nicht nur um Architekturgeschichte, sondern um Geschichte überhaupt. Was ist der bessere Weg, mit der NS-Vergangenheit Münchens umzugehen? Das, was von der Nazi-Architektur geblieben ist, zu kaschieren, oder sich offen mit ihr auseinander zu setzen? In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg hat man gleichsam einen Teppich über die Relikte des NS-Staates gelegt.

Für die "Goldene Bar" gilt das beinahe buchstäblich. Dienstbare Geister haben in den fünfziger Jahren Sperrholzplatten über Danningers Malereien geschraubt, auf die der Chiemseemaler Gyorgy Stefula beschauliche Szenen aus dem Nymphenburger Park malte — schon war die anrüchige Vergangenheit wie weggezaubert.

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