Gerichts-Reportage:Das schreckliche Quartett

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Wie sich der Neonazi Martin Wiese und drei weitere Mitglieder der "Kameradschaft Süd" vor Gericht präsentierten.

Von Stephan Handel

Nun sollte eigentlich irgendjemand Anja Seul fragen, ob sie das wirklich ernst meint. Ein Journalist hat der Verteidigerin von Martin Wiese die Frage gestellt, wie sie denn im Prozess die 1,2 Kilo Sprengstoff erklären will, die ihr Mandant mit seiner Neonazi-Truppe gesammelt hat.

Rädelsführer Wiese beim Prozessauftakt. (Foto: Foto: AP)

"Ach", sagt Anja Seul, und die Kameras würden surren, wenn Kameras heute noch surren würden, "es ist so und so viel TNT in der Bundesrepublik in Umlauf, ohne dass Anschläge geplant sind."

Entweder sie meint das wirklich ernst - oder sie kann sich furchtbar gut verstellen. Jedenfalls gut, dass überhaupt jemand zur Verfügung steht, um interviewt zu werden.

Denn der Beginn der Verhandlung gegen Martin Wiese und drei weitere Mitglieder der "Kameradschaft Süd" verzögert sich: Wegen eines Unfalls steckt der Gefangenentransport, der den Angeklagten David Sch. aus der JVA Ulm nach München bringen soll, auf der Autobahn im Stau.

Zeit rumbringen

Da werden die Mikrophone jedem unter die Nase gehalten, der irgend wie kompetent erscheint - irgendwie muss die Zeit ja rumgebracht werden.

Dann aber, mit einer guten halben Stunde Verspätung, öffnet sich die Tür vom Gefangenentrakt in den Gerichtssaal. Eintritt David Sch.: Schwarze Hose, schwarzer Pulli, die kurzen Haare ein wenig aufgegelt.

Eintritt Karl-Heinz S., Glatze, Bomberjacke, Oberlippenbärtchen. Eintritt Alexander S.: die Haare sind deutlich länger geworden seit seinem letzten Auftritt vor Gericht. Eintritt Martin Wiese: Massig, grinsend, Glatze, Backenbart. Ein Quartett, dem wohl niemand im Saal nachts gern alleine begegnen würde.

Bernd Steudl, der Bundesanwalt, verliest den Anklagesatz. Dann die Frage des Richters Bernd von Heintschel-Heinegg an die Angeklagten, ob sie Angaben machen wollten. Wiese: "Ich werde mich nicht äußern."

Die drei anderen wollen aussagen, Alexander M. beginnt - zäh, denn er versucht, seine Rolle in der "Kameradschaft Süd" herunterzuspielen, was jedoch im Widerspruch steht zu früheren Vernehmungen bei der Polizei.

"Ruhe und kein Rumgegröle"

Die Journalisten im Zuhörerraum haben schon lange aufgehört, jedes Wort mitzuschreiben und notieren nur noch Sätze, die sich eventuell gut machen würden in der zu schreibenden Geschichte. "Unter den Kameraden war Disziplin, Ruhe und kein Rumgegröle", sagt Alexander M., "politische Themen bei den Schulungen waren soziale Ungerechtigkeit und Wohnungsnot, zum Beispiel."

Ob sie sich denn auch mit "nationalsozialistischen Themen" beschäftigt hätten, will der Richter wissen. "Wenn man das so nennen möchte", sagt M., einmal habe Wiese einen Vortrag über das Programm der NSDAP gehalten, den Text habe er zu Hause in der Landsberger Straße an der Tür hängen gehabt.

Zehn Minuten Pause. Die Zuhörer hätten jetzt alle gerne einen Kaffee, aber dazu müssten sie den abgesperrten Bereich verlassen und hinterher die komplette Sicherheitsprozedur noch einmal über sich ergehen lassen.

70 Polizeibeamte sind zusätzlich im Einsatz, die Angeklagten werden von acht Beamten des Unterstützungskommandos in den Saal geführt, auf der Anklagebank sitzt jeweils ein Beamter zwischen ihnen - was die Verteidiger bemängeln, weil sie sich so nicht vertraulich mit ihren Mandanten beraten könnten. Nach Hinzuziehung eines Sicherheitsexperten werden die Beamten gebeten, hinter den Angeklagten Platz zu nehmen.

Decknamen und 1488 hinzuaddiert

Am Nachmittag geht die Vernehmung Alexander M.s weiter - genau so zäh und so widersprüchlich wie am Vormittag. Die Kugelschreiber der Journalisten kommen erst wieder richtig in Gang, als M. erzählt, welche Decknamen sie sich ausgedacht hatten für die Kameraden untereinander: Wiese hieß "Arwick", M. hieß "Sepp", David Sch. wurde "Harald" gerufen und Karl-Heinz S. "Rudi".

Wenn sie am Telefon eine Uhrzeit vereinbarten, dann addierten sie die Zahl 1488 hinzu, wobei die 14 für die "14 Words" des rechtsextremen Theoretikers David Lane steht, die 88 ist unter Rechtsextremen eine beliebte Zahl, weil das H der achte Buchstabe im Alphabet ist und 88 deshalb die Abkürzung von "Heil Hitler" sein könnte.

Martin Wiese sitzt den ganzen Prozesstag über auf seinem Sitz, schaut grimmig drein, macht sich Notizen und redet ab und zu leise mit Anja Seul, seiner Anwältin. Vielleicht hat er ihr erklärt, dass er und seine Kameraden 1,2 Kilogramm TNT nur aus Spaß aus der Freude gehortet haben. Vielleicht hat sie ihm ja geglaubt.

© SZ vom 25.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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