G8-Frust:Mehr Stoff, mehr Stunden, mehr Stress

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Lehrer- und Elternverbände klagen über das verkürzte Gymnasium: G-8-Schüler kommen mit der höheren Arbeitsbelastung oft nicht zurecht - viele leiden unter Zeitdruck.

Anja Burkel

Die stärkere Belastung im achtjährigen Gymnasium verkraften Schüler ganz unterschiedlich. Schwierigkeiten bereitet vor allem die zweite Fremdsprache schon in der sechsten Klasse. Bei vielen Kindern fallen Hobbys wie Musik und Sport dem Zeitmangel zum Opfer. Ein besonderes Problem sehen Schüler wie Lehrer an der Nahtstelle zwischen G 8 und G 9. Fazit: mehr Stoff, mehr Stunden, mehr Stress.

Am Theodolinden-Gymnasium sind die Meinungen zur Arbeitsbelastung durch G 8 "sehr gemischt", wie Schulleiter Gerhard Becker erklärt. Eine Evaluation, die jüngst unter Eltern und Schülern durchgeführt wurde, zeigt: Ein Drittel beklagt sich, zwei Drittel kommen gut zurecht.

"Man muss unterscheiden", so Becker, "zwischen der Belastung durch das dichte Pensum und durch den anfallenden Nachmittagsunterricht." Mit der Stofffülle, glaubt er, kämen die Kinder gut zurecht, mit den Überstunden nach Eins nicht. "Gerade in den Sommermonaten, wenn es draußen schön ist, und sie zusehen müssen, wie die G-9-Schüler das Haus schon um 13.10 Uhr verlassen."

Musische Wahlfächer bleiben auf der Strecke

Raphaela Schweiger, Vorstandsmitglied der Bayerischen Landesschülervertretung und Elftklässlerin, sagt: "Durch das G 8 ist die Arbeitsbelastung auf jeden Fall gestiegen. Die Siebtklässler sind oft länger in der Schule als ich. Wie viel die lernen müssen, das ist schon enorm". Zum Beispiel in Latein: "Das neue Lateinbuch ist viel schwieriger und geht schneller voran als die G-9-Lateinbücher", sagt die 17-Jährige. "Sehr viele Schüler im G 8 haben deshalb Latein-Nachhilfe."

Wegen des G 8 sinken an ihrer eigenen Schule, dem musischen Pestalozzi-Gymnasium, die Anmeldezahlen für Orchester, Chor, Bigband und viele Ensembles. Problematisch sei die Situation aber auch für diejenigen Schüler, die die letzte Stufe des G 9 besuchten - die derzeitige achte Klasse. "Da haben alle eine Riesenangst, durchzufallen - und dann im G 8 nicht mehr mitzukommen."

Auswirkungen auf Schüler sind unterschiedlich

Bei der Städtischen Schul- und Bildungsberatung kennt man dieses Problem. Weil die zweite Fremdsprache im G 8 schon früher einsetzt als im G 9, finden Sitzengebliebene sich an der Stelle im Lehrplan wieder, an der sie im Vorjahr gescheitert sind. Wiederholung findet nicht statt. "Das ist sehr problematisch", weiß Berater Peter Maisenbacher. An der Nahtstelle zwischen G 8 und G 9 sei deshalb dringend mehr Beratung und Betreuung nötig.

Allgemein will Maisenbacher, der auch Lehrer am St.-Anna-Gymnasium ist, die neuen Stundenpläne aber "nicht mit hui oder pfui" bewerten. Sie wirkten sich auf Schüler ganz unterschiedlich aus. Doch auch der Bayerische Philologenverband (BPV) stellt eine höhere Belastung der Kinder fest.

BPV-Sprecher Hergen Kicker lehrt Deutsch am städtischen Elsa-Brändström-Gymnasium: "In der siebten Klasse müssen da schon am Schuljahresanfang Dinge beherrscht werden, die früher erst am Ende des Jahres dran kamen." Zwar werde vieles durch auch die Intensivierungsstunden aufgefangen - aber eben bei weitem nicht alles.

Keine Rücksicht auf die Pubertät

Bei der Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern hat man den Eindruck: Der Stoff wurde hauptsächlich auf Unter- und Mittelstufe verteilt - "ohne auf die schwierige Phase der Pubertät Rücksicht zu nehmen", wie der stellvertretende Vorsitzende der Landes-Eltern-Vereiningung, Ralph Bürklin, sagt. Das Resultat: "Die Kinder sind müde und gestresst."

Dabei spiegele sich auch der Stress der Lehrer - diese seien auf die Veränderungen durch das G 8 nicht vorbereitet worden und hätten sich stattdessen in einem "fürchterlichen Training in the Job" einlernen müssen. Auch eine Rhythmisierung des Unterrichts, mit der der Schultag entzerrt werden sollte, kann Bürklin nicht erkennen: "Die Kinder lernen ratzfatz durch bis 13.15 Uhr." Nach einer Dreiviertelstunde Pause gehe der Unterricht einfach weiter. "Aber man kann Kinder nicht einfach wie Arbeitnehmer behandeln."

Dass die Freizeit durch G 8 knapp wird, bemerkt man bereits beim Bayerischen Landes-Sportverband. "Gerade in Mannschaftssportarten wie Basket-, Hand- oder Volleyball", sagt Birgit Dethlefsen vom BLSV, "haben die Vereine bereits Mühe, ihre Jugendmannschaften voll zu kriegen."

© SZ vom 18.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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