Rechengenie:Wenn sich im Fünfeck die Diagonalen schneiden

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Klaus Kühn aus Biburg besitzt nicht nur solche alten Bücher, sondern 1000 Rechenschieber, unter anderem ein Exemplar, wie es Lehrer verwendeten. (Foto: Günther Reger)

Klaus Kühn kann alles berechnen und das ohne elektrisches Hilfsmittel. Der 67 Jahre alter Biburger sammelt Rechenschieber aller Art und veranstaltet Treffen der weltweiten verschworenen Sammlergemeinschaft.

Von Karl-Wilhelm Götte, Biburg

Die Erinnerungen an die Zeit ohne Taschenrechner verblasst. Doch es gab diese Zeit, in der nur mit Kopf, Hand und Hilfsmitteln ohne Strom gerechnet wurde. Das ist noch gar nicht so lange her. Menschen, die heute um die 60 sind, erinnern sich noch an ihre Schulzeit, in der in Mathematik oder Physik der berühmte Aristo-Rechenschieber benutzt wurde. Oder der von Faber-Castell. Klaus Kühn aus Biburg hat nicht einen, sondern etwa tausend verschiedene Rechenschieber. So genau weiß er das auf Anhieb selbst nicht. Der Biburger sammelt seit 34 Jahren Rechenschieber.

Vor wenigen Tagen hat Klaus Kühn einen Abakus-Kugelschreiber erstanden, der gleichzeitig über Skalen eines Rechenschiebers verfügt. Auch ein solches Exemplar sucht, findet und erwirbt der Sammler. "Mit tausend bin ich nicht Spitzenreiter, da gibt es Sammler mit 3000 verschiedenen Exemplaren." In unzähligen grünen Schubladen befinden sich die Rechenschieber. In der Ecke steht ein großer Schieber, den früher Lehrer benutzten, um die Funktionsweise zu demonstrieren. Kühn selbst ist nicht Mathematiker geworden, sondern Chemiker. Das Sammlerfieber packte ihn rein zufällig, als er 1981 mit einem Schulfreund über den Flohmarkt ging und nicht so recht wusste, was er kaufen sollte. Der Freund deutete damals auf drei Rechenschieber, die auf einem Tisch lagen und meinte: "Du hast doch in der Schule immer Spaß an Rechenschiebern gehabt." Kühn kaufte einen "aus Holz, einen kleinen und einen gelben", wie er sich erinnert. "Die wollte niemand haben und ich habe sie sogar geschenkt bekommen." Heute ist Kühn ein anerkanntes Mitglied der Oughtred Society, wie die weltweite Sammlerorganisation heißt. 400 Mitglieder hat die Vereinigung. William Oughtred war ein englischer Pfarrer, der 1620 den ersten Rechenschieber erfunden hatte.

Aus Büchern mit Logarithmentafeln wurden Ergebnisse ermittelt, um komplizierte Berechnungen erledigen zu können. (Foto: Günther Reger)

Ein einfacher Rechenschieber hat an die 20 Skalen. Alles kann man ihm berechnen. X zum Quadrat oder x hoch drei - alles kein Problem und ohne eine Taste drücken zu müssen. Genauso ist es mit Tangens X oder Sinus-Kurven. Klaus Kühn zeigt sich immer wieder fasziniert, wenn er von den Möglichkeiten eines Rechenschiebers spricht. Er sammelt jedoch nicht nur Rechenschieber. "Wir sammeln alle Rechenhilfsmittel, außer Taschenrechnern", sagt er. Zu den Hilfsmitteln gehören auch die Logarithmentafeln. Die sind in dicken Büchern gebunden. Davon hat der 67 Jahre alte Biburger auch geschätzte drei Meter in seinen Regalen. "Das ist sicherlich eine der größten Sammlungen in der Welt", meint Kühn nicht ohne Stolz.

Ein Rechenzylinder aus England. (Foto: Günther Reger)

Kühn nimmt ein altes Buch mit Logarithmentafeln des Georg Freiherr von Vega aus dem Regal und blättert es auf. Vega hatte 1794 als erster zehnstellige Logarithmen errechnet. Schüler würden heute nur vierstellige Tafeln benutzen. "Dieser dicke Band ist die Bibel der Logarithmentafeln", erläutert Kühn. In der UdSSR wurde das Buch 1952 und in den USA 1957 nachgedruckt und bei der Weltraumforschung eingesetzt. Der schottische Denker John Napier hatte 1614 die erste Logarithmentafel erstellt. Michael Stifel, ein deutscher Mönch, hat den Logarithmus sogar 60 Jahre früher erfunden. Das griechische Wort Logarithmus bedeutet Verhältniszahl. Bevor Rechenmaschinen erfunden wurden, gebrauchte man Logarithmen dazu, um mit großen Zahlen zu rechnen. Multiplikationen wurden zu Additionen und Divisionen zu Subtraktionen vereinfacht. Mit dem Logarithmus konnte man die Quadratwurzel mit einer einfachen Division durch zwei errechnen. Logarithmische Spiralen finden sich auch in der Natur, zum Beispiel beim Wachstum eines Schneckenhauses.

Klaus Kühn hat jeden Sammlerfund im Computer katalogisiert. Erneut nimmt er einige Rechenschieber aus einer Schublade. Es sind Schieber aus Mahagoni und Buxbaum. "Das sind die beständigsten Hölzer", sagt der Sammler. Faber Castell hat sie in den Dreißigerjahren hergestellt. Auch aus Ebenholz hat Kühn einen Rechenschieber. "Für den habe ich mal 300 Euro bezahlt", erzählt er. "Das ist ein ganz seltenes Exemplar." Allein die Firma Faber habe in hundert Jahren etwa tausend verschiedene Rechenschieber hergestellt. Produziert wurden sie nicht nur aus Holz, Kunststoff, Glas oder Blech, sondern auch, wie in der DDR geschehen, aus Stahl oder Bakelit, einem speziellen Kunststoff. Bei Kühn sind die verschiedenen Materialien in einer Demo-Vitrine zu besichtigen. Auch Rechenschieberuhren gibt es. Die haben am Kranz der Uhr entsprechende Skalen. Eine davon will Kühn in diesem Jahr beim Sammlertreffen in San Francisco verkaufen, um sich die Reise in die USA zu finanzieren.

Klaus Kühn behält sein Wissen nicht für sich. Er veranstaltet, wie zuletzt 2014 in Gröbenzell passiert, Fachtreffen der weltweiten Rechenschieberzunft. "Da kommt die Creme zusammen, die sich damit beschäftigt", sagt er zufrieden. Nächsten Montag, 23. März, ist es in Gröbenzell in der Rudolf-Steiner-Schule wieder so weit. Dann geht es um den "Goldenen Schnitt und seine Bedeutung in der Natur". "Im Fünfeck schneiden sich die Diagonalen im Verhältnis des 'Goldenen Schnitts'", erklärt Kühn. Bei einer Sonnenblume und der Nautilus-Muschel sei das genauso. Doch wie geht es mit der einmaligen Sammlung von Klaus Kühn weiter, wenn der heute 67 Jahre alte Biburger einmal nicht mehr sammeln kann? Seine erwachsenen Kinder haben mit seiner Leidenschaft wenig zu tun. Sein Sohn und seine Tochter haben seine Passion aber natürlich miterlebt. Kühn hofft deshalb, dass sie damit etwas anzufangen wissen: "Sie werden sie schon weiterführen." Ganz sicher ist er sich jedoch nicht.

© SZ vom 21.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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