Landgericht München II:Die ahnungslosen Zöllner aus Hallbergmoos

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Von Bayern aus belieferte ein Iraner die Rüstungsindustrie seines Landes - im Prozess gegen ihn zeigt sich, wie lax deutsche Behörden prüften.

Paul-Anton Krüger

Ausweislich des Zettels an der Tür von Sitzungssaal B262 im Münchner Strafjustizzentrum verhandelt die Wirtschaftskammer des Landgerichts München II dieser Tage gegen Saeed S., einen Iraner, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe Chemikalien, Ersatzteile und technisches Gerät an die Rüstungsindustrie des international geächteten Regimes in Teheran geliefert und damit gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen. Er könnte zu einer "mehrjährigen Freiheitsstrafe" verurteilt werden, wie einer der Richter am Mittwoch während der Beweisaufnahme in Erinnerung ruft. Doch in der Verhandlung drängt sich fast der Eindruck auf, dass hier der Zoll unter Anklage steht - auch wenn die Beamten aus Hallbergmoos nur als Zeugen geladen sind.

Der deutsche Zoll hätte die Lieferungen an Iran entdecken müssen - doch die Fahnder fragten nicht nach. (Foto: dpa)

Die Nachlässigkeit der Zöllner bei der Abfertigung der Sendungen hatte es Saeed S. zwischen 2002 und 2006 leicht gemacht, die Ware an seine Abnehmer in Iran zu bringen. Die Masche war in den meisten Fällen die gleiche: S. kaufte, was seine Auftraggeber in der Islamischen Republik orderten. Seine Lieferanten erledigten den Papierkram für den Export und trugen als Zielland in der Ausfuhranmeldung die Schweiz ein, wo Saeed S. eine Briefkastenfirma unterhielt. Das zuständige Zollamt machte rechts oben seinen Stempel auf die Papiere - in die Eidgenossenschaft darf man ja exportieren, was nach Iran womöglich verboten ist.

Geliefert wurden die Güter dann nach Karlsfeld im Norden von München - an eine Spedition, "die bekanntlich nur nach Iran" liefert, wie freimütig einer der Zöllner bekennt, der einige der Sendungen auf dem Firmengelände abgefertigt hatte. Richtig zerknirscht wirken er und seine Kollegen nicht, als sie nacheinander Platz nehmen auf dem orange bezogenen Zeugenstuhl in der Mitte des Saals. Die Beamten hatten den Ermittlern schon gesagt, man habe die Paletten so gut wie nie kontrolliert, sondern nur "papiermäßig abgecheckt". Doch wird in der Siebziger-Jahre-Tristesse von Saal 262 an diesem Nachmittag drastisch klar: Nicht mal das ist geschehen.

"Wo haben Sie denn genau hingeschaut, wenn Sie die Ausfuhranmeldung geprüft haben?", bohrt der Vorsitzende Richter Martin Rieder ein ums andere Mal, wenn die Zeugen von "stichprobenartiger Prüfung" der Unterlagen erzählen oder davon, dass man "die Papiere durchgesehen habe". Als "Schönrederei" kanzelt einer der Beisitzer diese Aussagen ab: Auf den Formularen stand ja das Kürzel "CH" für Schweiz als Zielland - und die Beamten wussten, dass die Lkw aus Karlsfeld nach Iran gingen.

"Hauptsächlich rechts oben" - so oder so ähnlich lautet bei allen Zeugen am Ende die kleinlaute Antwort: Da, wo das andere Zollamt seinen Stempel auf das Dokument gedrückt hatte - im Glauben, die Ware sei für die Schweiz bestimmt. Die Richter bringt das fast aus der Fassung. "Vorher sollte man mal schauen, wo's hingeht. Das ist das, was wir nicht verstehen", sagt einer von ihnen zu einer Zeugin. Die nickt wortlos, um nach Sekunden der peinlichen Stille kaum vernehmbar nachzuschieben: "Hätte wahrscheinlich nicht passieren dürfen."

Ihr Kollege murmelt etwas von "versehentlich", als ihn die gleiche Frage ereilt. "Wohl kaum", kommt harsch die Replik von der Richterbank, "das ist ja mehr als einmal passiert." Genau genommen 28 Mal in vier Jahren.

Die Waren wurden einfach durchgewinkt. War ein Stempel rechts oben, setzten die Zöllner aus Hallbergmoos ihren auf die Rückseite - damit war die Fahrt automatisch frei bis nach Iran. Niemand schaute genau hin, niemand schöpfte Verdacht. Man kannte ja den Disponenten der Spedition, war "teilweise per du" mit ihm, wie einer der Beamten nach langem Winden bestätigt. Das hätte es gar nicht mehr gebraucht. Schon zuvor hatte der Vorsitzende resigniert festgestellt: "Es hat wenig Sinn, wenn die Regierung ein Embargo beschließt, und es dann keiner überwacht."

Für Saeed S. könnte es von entscheidender Bedeutung sein, wie das Gericht die "Missstände" beim Zollamt Hallbergmoos bewertet, denn die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, mit seinen Geschäften die "auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik erheblich gefährdet" zu haben. Im Strafmaß macht das einen großen Unterschied.

Der Bundesgerichtshof, der die Anklage in diesem Punkt ausdrücklich zugelassen hat, ist der Auffassung, "entscheidend" wirkten sich im Fall von Saeed S. "die massiven Kontrolldefizite aus, die die Ermittlungen bei den deutschen Zollbehörden aufgedeckt haben" - zu seinem Nachteil allerdings. Diese Versäumnisse seien "nicht unabhängig vom Verhalten des Angeklagten" zu betrachten. Nach Ansicht der Ermittler gibt es Hinweise darauf, dass Saeed S. von den laxen Kontrollen wusste. Zumindest habe er von der Spedition geschwärmt, die wisse, wie man "eine Frachtsendung abwickeln kann, damit der Hersteller nicht merkt, dass die Ware in den Iran gegangen ist".

Den Kontrolleuren des Zollamts Hallbergmoos war das wohl entgangen.

© SZ vom 08.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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