Freising:Tödliche Sucht

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Im Landkreis gibt es in diesem Jahr schon zwei Drogentote. Experten kritisieren die schlechte ärztliche Versorgung der Abhängigen und fordern mehr Methadon-Abgabestellen

Thomas Radlmaier

Ärztlich verabreichte Ersatzstoffe können Drogensüchtigen helfen. (Foto: dpa)

Vor zwei Wochen ist eine 25-jährige Freisingerin an den Folgen einer Überdosis verstorben. Die junge Frau ist heuer schon das zweite Drogenopfer in Freising. Bereits Anfang März starb ein Suchtkranker an den Folgen seiner Heroinsucht. Josef Vogel von der Kriminalpolizei in Erding will in Anbetracht der beiden Vorfälle aber noch nicht von einer ungewöhnlichen Situation im Freisinger Gebiet zu sprechen. "Dafür ist es noch zu früh", sagte er. Viele Experten führen eine Häufung von Drogentoten - wie sie gegenwärtig in großen Städten wie München und Nürnberg zu bemerken ist - auf Problem bei der medizinischen Versorgung von Opiatabhängigen zurück. Auch im Landkreis Freising bietet nur eine einzige Praxis eine substitutionsgestützte Behandlung mit Methadon an, bei der die Ärzte den Patienten täglich den Ersatzstoff verabreichen. Im Jahr 2009 waren es immerhin noch vier.

Die Psychosoziale Suchtberatungsstelle Freising (Prop e.V.) registrierte vergangenes Jahr 36 Menschen mit einer Heroinabhängigkeit. Bärbel Würdinger ist die Leiterin von Prop. Sie weiß, dass sich das tägliche Leben eines Substitutionspatienten von dem eines Heroinabhängigen, der sich nicht in medizinischer Behandlung befindet, eklatant unterscheidet. "Ein Substitutionspatient hat einen geregelten Alltag. Er kann arbeiten und ist Teil des Gesundheitssystems", erklärt sie. Außerdem zählen saubere Spritzen und die Tatsache, dass medizinisch verschriebenes Methadon weniger schädlich ist, zu den Vorteilen der langfristigen Therapie. Die Substitution bedeute für einen Heroinabhängigen die erste medizinische Versorgung, beschreibt Würdinger. "Sie verleiht dem Betroffenen körperliche Stabilität". Die Verabreichung von Methadon ist zudem an eine Teilnahme in Beratungskursen bei Prop gekoppelt. Die Freisinger Beratungsstelle betreut insgesamt 21 Substitutionspatienten. Die einen würden den Sprung in ein drogenfreies Leben schaffen. "Andere dagegen werden rückfällig", bedauert Würdinger, "man kann den Therapieerfolg schlecht vorhersagen."

Bei einem chronisch Suchtkranken, der keine medizinische Unterstützung erhält, ist die Gefahr, sich Folgeerkrankungen wie Hepatitis einzufangen, erheblich größer. Ein Gramm des weißen Pulvers, das sich durch Erhitzung verflüssigt, kostet auf dem illegalen Markt zudem etwa 100 Euro. Viele können sich das nicht leisten und spritzen sich zum Ersatzstoffe wie Fentanyl. Spezielle Schmerzpflaster enthalten das synthetische Opioid, das eine ähnliche Wirkung wie Heroin hat.

Einige Suchtkranke, die nicht genügend Geld für Heroin aufbringen können, suchen deshalb in ihrer Not sogar die Mülltonnen vor Krankenhäusern und Arztpraxen nach gebrauchten Fentanylpflastern ab. Durch Auskochen der Pflaster erhalten sie den begehrten Ersatzstoff. "Wir wissen, dass das sehr viele machen", bestätigt auch der Erdinger Kommissariatschef Vogel. Die Gefahr, an einer Überdosis zu sterben, sei bei dieser Methode erheblich größer, warnt er. Die Zahlen des kürzlich veröffentlichten Drogenberichtes der Bundesregierung bestätigen die Angaben des Polizisten. Demnach sterben die meisten Drogenopfer an sogenannten Mischintoxikationen, wenn Heroin in Verbindung mit anderen Substanzen eingenommen wird. 2012 verunglückten an dem tödlichen Drogencocktail in Deutschland 250 Personen. Auf Platz zwei folgt der Tod durch reines Heroin mit 177 Toten. Zwar ist die Zahl der Heroinabhängigen über die Jahre zurückgegangen. Doch in Bayern gab es 2012 insgesamt 213 Drogentote. Zum Vergleich: 2011 waren es 177.

"Die Zahl der Drogentoten in Folge von Opiatmissbrauch steigt, weil immer weniger Ärzte eine substitutionsgestützte Behandlung anbieten", so die These von Prop-Leiterin Würdinger. Dabei spiele "die Phantasie einiger Mediziner" eine entscheidende Rolle. "Sie haben Angst, dass sich ihr Wartezimmerklientel verändert, wenn sie substituieren", weiß Würdinger. Außerdem würde ein drogensüchtiger Patient nur wenig Geld in die Kassen der Praxen spülen. Ein weiterer Grund, wieso immer weniger Ärzte Methadon verabreichen wollen, sind zweifelsohne die hohen bürokratischen Hürden. Die Ärzte müssen in mehreren Lehrgängen und Fortbildungen eine entsprechende Qualifikation aneignen. Hat der Mediziner eine offizielle Methadongenehmigung, kommen weitere Auflagen der Gesundheitsämter mit dazu.

Lorenz Weigl vom Freisinger Gesundheitsamt verrät, dass in diesem Zusammenhang "etwas im Fluss ist" und dass "der rechtliche Rahmen bald angepasst werden soll". Derzeit bewegen sich die Ärzte innerhalb der Vorschriften des Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV). Einer von zwei Ärzten im Landkreis Freising, die eine Genehmigung zur Abgabe von Methadon an Suchtkranke haben, hat die Behandlung mittlerweile aus seinem Angebot gestrichen. Seine Beweggründe für diese Entscheidung wollte er nicht nennen.

© SZ vom 03.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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