Frau mit Haarausfall:Eine Krankheit, die niemand sehen soll

Die 19-jährige Münchnerin Eva hat nach und nach all ihre Haare verloren. Dennoch versucht sie, normal weiterzuleben.

Marlies Portenlänger, SZ-Jugendseite

Der Text ist erschienen auf der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung. Die Autorin Marlies Portenlänger ist 25 Jahre alt. Weitere Texte der Jugendseite finden Sie unter www.sz-jugendseite.de.

Haarausfall

Mit Mützen und Tücher vor Blicken schützen: Eva, die an Haarausfall leidet, machte es wie diese Schaufensterpuppe.

(Foto: Foto: ddp)

Mehr als 1,5 Millionen Frauen in Deutschland tragen Perücke. Eine von ihnen ist Eva (19). Doch Eva trägt die falschen Haare nicht aus Eitelkeit, oder um anders zu wirken. Eva trägt Perücke, um sie selbst zu sein. Die junge Frau aus dem Süden Münchens verlor nach und nach alle ihre Körperhaare.

Angefangen hatte es im Oktober vergangenen Jahres. Nachdem ihr Friseur kleinere kahle Stellen an ihrem Hinterkopf entdeckt hatte, ging Eva sofort zu verschiedenen Ärzten. "Am Anfang habe ich mir keine Sorgen gemacht, weil alle meinten, der Haarausfall sei stressbedingt", erinnert sie sich.

Andere Mediziner führten ihn auf verschiedene Antibiotika zurück, die Eva im Sommer aufgrund einer Nieren- und einer Blasenentzündung verschrieben bekam. "Richtig realisiert habe ich das lange nicht und immer gedacht, das wird schon", sagt sie heute.

Doch der Haarausfall nahm zu. "Anfangs verlor ich sie nur beim Kämmen oder Anfassen, dann lagen plötzlich überall meine Haare, im Bad, im Bett und unter der Dusche war es besonders stark - ich habe mich schon richtig geekelt", gibt Eva offen zu. Die kreisrunden kahlen Stellen am Hinterkopf haben sich immer stärker ausgebreitet und auch am Körper wurden die Haare weniger.

Kein Arzt konnte die Ursache feststellen oder den Haarausfall stoppen. "Ich habe mir nicht mehr so oft die Haare gewaschen, aber das hat auch nichts geändert", erzählt Eva. Mit Mützen ihres Freundes versuchte sie, die kahlen Stellen an ihrem Kopf zu verstecken. Doch plötzlich hielt sie beim Duschen ganze Haarbüschel in ihrer Hand. "Ich war total aufgelöst und bin zusammengebrochen."

Sie musste erkennen, dass ihr Haarausfall immer stärker wurde. "Auch mein Umfeld war anfangs total schockiert. Niemand wusste wirklich, was er zu mir sagen soll. Ich selbst habe es lange Zeit nicht wahrhaben wollen."

Im Februar hatte Eva schließlich kein Kopfhaar mehr. Zwei Monate später war auch ihr Körper komplett haarfrei: Die Augenbrauen fielen aus, zuletzt verlor Eva ihre Wimpern. Bis heute haben die Ärzte nicht herausgefunden, ob der plötzliche Haarausfall durch psychischen Stress, die Antibiotika oder eine andere Ursache hervorgerufen wurde.

Klar ist nur, dass Eva an Alopecia areata leidet, einem kreisrunden Haarausfall, der an einzelnen Stellen bleibt oder sich nach und nach auf den ganzen Körper ausbreitet. Im Mai versuchte sie, den Ausfall ihrer Augenbrauen durch Cortison zu verhindern - als sie Herzprobleme bekam, musste sie es absetzen.

Eva kann den Haarausfall nicht aufhalten, diese Feststellung musste sie erst einmal verkraften. Dennoch hatte sie sich in den Kopf gesetzt, normal weiterzuleben, sich nicht unterkriegen zu lassen. "Ich bin einfach nicht der Typ, der zu Hause bleibt und sich versteckt", sagt sie.

Als es wärmer wurde, hat sie die Mützen gegen Tücher ausgetauscht, das sie am Hinterkopf zu einem Knoten band. "Damit bin ich praktisch überall herumgelaufen - in der Schule, in der Stadt und beim Ausgehen." Dabei hatte sie zu verschiedenen Outfits passende Tücher getragen. Nie habe sie sich mit ihrer Kopfbedeckung unwohl gefühlt. "Was die anderen Leute gedacht haben, war mir egal. Und meine Freunde wussten Bescheid."

Ihre Kraft hat sie sich dabei vorwiegend aus ihrer Beziehung geholt. "Hätte ich meinen Freund nicht gehabt, wäre es mir nicht so gut gegangen. Er hat mir immer das Gefühl gegeben, dass ich die Gleiche bin und genauso hübsch wie vorher, obwohl das Ganze auch für ihn ein großer Schock war."

Dabei war das Paar gerade einmal sechs Monate zusammen, als die Krankheit ausbrach. Auch ihre Familie und ihre Freunde haben Eva aufgefangen. Gestört habe sie einzig, sagt sie, dass fremde Menschen sie nie persönlich angesprochen haben, sondern stets ihren Freund oder ihre Schwester gefragt haben, was los ist: "Ich weiß nicht, warum man das nicht macht, aber anders wäre es mir lieber. Zu wissen, dass andere über dich und nicht mit dir reden und dich dabei nur komisch anschauen, ist kein angenehmes Gefühl."

"Erst im Juni habe ich die Perücke gekauft"

Natürlich gibt es bis heute Phasen, in denen Eva einbricht, das Haus nicht verlassen will, einfach niemanden mehr sehen will. Doch dann versucht sie stark zu bleiben. "Momentan muss ich alles so hinnehmen und kann eh nichts ändern", sagt sie und wirkt dabei sehr selbstbewusst, sehr taff. Nach außen hin will Eva ein normales Leben führen. Deshalb geht sie immer noch jeden Tag ins Büro, macht alles so wie vorher. Wie vor ihrer Krankheit. "Gerade wenn man so etwas hat, soll man sich nicht verstecken, sondern immer die Schritte machen, zu denen man bereit ist", sagt sie.

Professionelles Foto-Shooting

Schritt für Schritt setzt sich Eva mit ihrem Schicksal auseinander. Sie hat sich Augenbrauen und einen Kajalstrich mit Permanent- Make-up nachziehen lassen. Sie trägt jetzt eine dunkle Perücke. Viele ihrer Freunde hatten Eva gleich zu Beginn dazu geraten. "Aber damals habe ich alles abgewiegelt, weil ich es noch nicht wahrhaben wollte und auch nicht bereit dazu war", erinnert sie sich: "Erst im Juni habe ich die Perücke gekauft."

Oberste Kriterien waren, dass die Haare möglichst natürlich wirken und ihrer alten Frisur ähneln. "Ich will nicht zwischen blond, braun und rothaarig wechseln, weil ich mich unwohl und nicht wie ich selbst fühlen würde." Schließlich soll nicht auffallen, dass die Haare unecht sind. "Jetzt habe ich drei Perücken, aber ich hoffe nicht, dass ich sie mein Leben lang brauchen werde."

Trotz allem versucht sie der Situation etwas Gutes abzugewinnen. "Schließlich sehe ich jetzt jeden Tag aus wie vom Friseur", sagt sie. Am Körper stört sie ihre Haarlosigkeit weniger. "Ich bin das einzige Mädchen, das sich im Sommer nie die Beine rasieren musste." Sie brauche einfach ein bisschen Humor, um nicht verrückt zu werden und findet immer neue Möglichkeiten, ihr Schicksal zu verarbeiten. "Ich habe professionell Fotos machen lassen, um nicht krank auszusehen, sondern ästhetisch schön", sagt sie.

So will Eva ihre schwere Zeit als Übergangsphase festhalten. "Schließlich sind meine Haarwurzeln noch da, nur der Mechanismus des Wachsens muss wieder angeregt werden", sagt sie.

Gerade hat sie eine Reiztherapie an der Uniklinik begonnen, auf die sie große Hoffnungen setzt. "Vielleicht", sagt sie, "brauche ich in acht Wochen ja keine Perücke mehr."

Der Text ist erschienen auf der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung. Die Autorin Marlies Portenlänger ist 25 Jahre alt. Weitere Texte der Jugendseite finden Sie unter www.sz-jugendseite.de.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: