Fehlersuche:Knackpunkt "flügeln"

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Das Teilen der S1 ist längst als Pannen-Quelle erkannt.

Von Dominik Hutter

Eigentlich, so ist es oft bei Eisenbahn-Unfällen, konnte dies alles gar nicht passieren. Eigentlich hätte die elektronische Steuerung den richtigen Fahrweg aussuchen und den belegten Gleisabschnitt für Nachfolgende sperren müssen. Zuverlässig. Denn im Münchner S-Bahn-Netz sorgen Gleismagnete dafür, dass ein Zug bei Überfahren eines roten Signals automatisch gestoppt wird.

Bei dem Unfall in Neufahrn sind nun Dinge passiert, deren Ursache der Bundesgrenzschutz bislang nicht erklären kann. Möglicherweise müssen sogar Konsequenzen für die Sicherheitsvorschriften gezogen werden. Damit Ähnliches nicht nochmal passiert.

Knackpunkt ist die falsch gestellte Weiche nördlich des Neufahrner Bahnhofs, plus Signalisierung. Denn zum Fahrweg eines Zuges gehört neben der richtigen Gleisbelegung auch die Absicherung durch Signale. Der Fahrweg einer S-Bahn wird dem Stellwerk automatisch durch die so genannte Steuerziffer mitgeteilt, die einen Zug die ganze Tour über begleitet.

Für Neufahrn ist das neue elektronische Stellwerk an der Donnersbergerbrücke zuständig. Dessen Computer müssen für die korrekte Stellung von Weichen und Signalen sorgen.

Bei der S1 ist alles noch ein wenig komplizierter - schließlich wird der Zug in Neufahrn geteilt. Der vordere Zugteil rollt nach Freising, der hintere zwei Minuten später zum Flughafen. Funktioniert technisch so: So lange der Zug als Ganzes fährt, verfügt er über eine gemeinsame Steuerziffer Richtung Freising.

Bei der "Flügelung" behalten die vorderen Waggons diesen Code. Den hinteren wird eine neue Ziffer zugeteilt, es entsteht sicherheitstechnisch ein separater Zug.

Bei dem Unfall am Samstag, sagt BGS-Sprecher Kai Scholl, müssen wohl beide Zugteile mit derselben Steuerziffer ("Flughafen") ausgestattet gewesen sein. Warum, ist bislang unklar. Jedenfalls gab das Stellwerk zweimal freie Fahrt gen Airport. Theoretisch sind auch andere Varianten, etwa eine Pannen im Stellwerks-Computer, denkbar. Aber das müssen erst die Ermittlungen ergeben.

Bahn-Sprecherin Daniela Bals versichert jedenfalls, dass die S1 durchaus als zu teilender Zug registriert war. Einen Tag später wäre das Procedere ganz anders gewesen: Sonntags wird das zeitliche Pendant des verunglückten Zugs (Abfahrt 6.08 Uhr am Hauptbahnhof) nicht geteilt, sondern rollt komplett zum Flughafen. Ob dieser Aspekt eine Rolle spielt, ist aber bisher unklar.

Dennoch hätte der abgebremste erste Zugteil eigentlich allen Weichen und Signalen "mitteilen" müssen, dass die Trasse Richtung Flughafen belegt ist. Denn Bahnstrecken sind in so genannte Blockabschnitte unterteilt, die erst dann wieder freigegeben werden, wenn der vorherige Zug durchgefahren ist.

Bei der S-Bahn wird dies durch Achszähler im Gleisbereich gewährleistet - am Ende eines Blockabschnitts müssen ebenso viele Achsen gezählt werden wie bei der Einfahrt.

Das für die Flughafenstrecke zuständige Gerät befindet sich aber erst jenseits der Stelle, an der das erste Zugteil zum Stehen kam. Heißt: Für die Elektronik war noch niemand in den Blockabschnitt eingefahren. Das Signal am Neufahrner Bahnhof blieb grün, der 500-Hertz-Gleismagnet inaktiv. Dass es dann zum Crash kam, war laut BGS wegen des Nebels unvermeidbar. Denn der lange Bremsweg zählt zu den Schwachpunkten der Eisenbahntechnik.

Das "Flügeln" in Neufahrn gilt seit langem als Quell für Pannen und Verspätungen. Im Bayerischen Verkehrsministerium gibt es bereits Pläne, das Prinzip wieder abzuschaffen. Dies geht aber erst nach Einführung des Zehn-Minuten-Takts bei der S1.

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