Urteil:Peinliche Blamage

Lesezeit: 2 min

Erdinger Stadtverwaltung versucht Linken-Politiker mit Bußgeldern zu kujonieren - und unterliegt mit ihrer Rechtsauffassung vor dem Amtsgericht

Von Florian Tempel, Erding

Am Tag vor dem internationalen Frauentag am 8. März wollten Walter Koppe und Herta Hertel-Stockinger auf dem Schrannenplatz Blumen verteilen und dazu Handzettel mit politischen Forderungen nach mehr Gleichberechtigung. Koppe ist Kreisvorsitzender der Partei Die Linke, Hertel-Stockinger seine Stellvertreterin. Zwei Tage zuvor hatte Koppe im Erdinger Rathaus die geplante Aktion bekannt gegeben. Was dazu führte, dass Rathausmitarbeiter gegen die Linken-Aktion einschritten und einen Monat später Koppe und Hertel-Stockinger je 400 Euro Bußgeld plus 28,50 Euro Bearbeitungsgebühr aufbrummten. An diesem Donnerstag traf man sich am Amtsgericht, wo Richter Michael Lefkaditis die Bußgeldbescheide einkassierte: Die Blumen- und Handzettelaktion sei nicht zu beanstanden gewesen.

Richter Lefkaditis hatte höchstrichterliche Urteile studiert und legte den drei Vertretern aus dem Rechts- und dem Ordnungsamt der Stadt die Rechtslage dar: Das Bundesverfassungsgericht habe bereits 1991 festgestellt, dass "wegen der grundlegenden Bedeutung der freien Meinungsäußerung" das Verteilen von Handzetteln "zu nicht gewerblichen Zwecken" nicht erst von irgendeiner Behörde genehmigt werden müsse. Das Bundesverfassungsgericht habe auch festgestellt, dass nicht zu erkennen sei, wie das Verteilen von Flugblättern in Fußgängerbereichen die Sicherheit von Passanten eventuell gefährden oder beeinträchtigen sollte.

Letzteres war die von der Stadtverwaltung vertretene Ansicht. Koppe sei "in zudringlicher Art und Weise" auf Passanten zugegangen. Zum Beweis legte die Stadt-Vertreter eine "Bilderfolge" vor: Auf den Fotos sei zu erkennen, wie Koppe eine Passantin "angepeilt" habe, wie er schräg über den Platz gelaufen sei, um ihr "den Weg abzuschneiden" und wie sich die Frau offensichtlich erschrocken "zurück gebeugt" habe, als Koppe plötzlich vor ihr stand.

Richter Lefkaditis wies diese Argumentation zurück. Wie stelle sich die Stadt denn ein angeblich korrektes Verteilen von Handzetteln und Blumen vor? Etwa so: "Nur wer stumm da steht und sich nicht bewegt, ist unaufdringlich?" Tatsächlich war das wohl die Meinung der städtischen Angestellten. Sie verwiesen auf die Zeugen Jehovas, die ihre Publikationen still vor sich hinhalten. Richter Lefkaditis hielt von dem Vergleich nichts. Zur Meinungsäußerung dürfe ein Ansprechen dazugehören - "alles andere wäre ja nicht Kommunikation."

Koppes Rechtsanwalt Yunus Ziyla war mit der Einschätzung des Richters vollkommen zufrieden, betonte aber eines: "Mein Mandant hat den Eindruck, dass alles etwas mit seiner parteipolitischen Ausrichtung zu tun hat." Was die Stadt-Vertreter mit empörten Schnauben von sich wiesen.

Es war allerdings nicht das erste Mal, dass Koppe Ärger mit der Erdinger Stadtverwaltung hatte. Im Oktober 2014 hatte er ebenfalls auf dem Schrannenplatz Flyer verteilt und bekam 228,50 Euro Bußgeld aufgebrummt. Die Begründung: Er habe die fahrbare Gehilfe seiner Stellvertreterin Hertel-Stockinger als illegalen Infostand benutzt. Am Rollator war ein Schirm mit dem Partei-Schriftzug montiert und im Korb lagerten die Flugblätter. Wer aber einen Infostand aufstellen will, der braucht dazu eine Genehmigung. Und die hatten die Linken nicht. Beim Prozess im Februar gab Richter Lefkaditis der Stadt weitgehend recht, reduzierte aber das verhängte Bußgeld auf die Hälfte.

Ein weiteres Bußgeldverfahren ist noch am Laufen. Im Juli hatten die Linken in der Erdinger Innenstadt auf die ihrer Ansicht nach miserable Gesundheitspolitik aufmerksam gemacht. Sie hatten drei Krankenhausbetten dabei, die sie diesmal als Quasi-Infostand angemeldet hatten. Das Rathaus informierte jedoch das Landratsamt, dass das Ganze kein Infostand, sondern diesmal eine unangemeldete Kundgebung gewesen sei. Das Landratsamt stellte zwei Bußgeldbescheide über je 250 Euro gegen Koppe und Hertel-Stockinger aus.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: