Soldaten mit Empathie:Ein Glücksfall für den Warteraum

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Seit Eröffnung des Camps am Fliegerhorst Erding waren dort 1300 Gebirgsjäger im Einsatz. Bald zieht die Brigade ab, weil sie sich auf Auslandseinsätze vorbereiten muss. Wer sie ersetzen soll, ist unklar

Von Florian Tempel, Erding

Viele hundert Mitarbeiter unterschiedlicher Organisationen haben beim Aufbau des Warteraums Asyl am Fliegerhorst Erding angepackt oder sind dort noch immer sieben Tage in der Woche rund um die Uhr im Einsatz: haupt- und ehrenamtliche Angehörige des Technischen Hilfswerks, Ärzte und Helfer des Roten Kreuzes aus dem In- und Ausland, Angestellte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Mitglieder der Flüchtlingshilfe Erding, im Landkreis untergebrachte Flüchtlinge, die als Dolmetscher tätig sind, und zahlreiche Bundeswehrsoldaten als "helfende Hände" bei Bauarbeiten und in der Erstregistrierung. Eine Einheit der Bundeswehr ist im besonderen Maß im Warteraum aktiv: Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23. Seit der Eröffnung des Camps waren etwa 1300 Mann in Erding im Einsatz. Da sich die Gebirgsjäger jedoch auf Auslandseinsätze in Mali sowie im Irak zur Ausbildung der kurdischen Peschmerga vorbereiten müssen, endet die "technische Amtshilfe" in wenigen Monaten.

Ersatz für die Gebirgsjäger zu finden, stellt Camp-Leiter Volker Grönhagen, der bereits mit der Arbeitsagentur Erding-Freising nach einer Lösung sucht, vor eine große Herausforderung: "Das wird nicht einfach." Etwa 150 Soldaten wechseln sich in zwei Zwölf-Stunden-Schichten ab. In der Flughafenregion, in der Vollbeschäftigung herrscht, wird es schwierig werden, auf dem normalen Arbeitsmarkt zivile Nachfolger zu finden. Nicht nur weil man sehr viele Mitarbeiter braucht und die Arbeitszeiten wohl anders strukturieren müsste. Die Soldaten bringen auch Qualitäten mit, die sie im Umgang mit Flüchtlingen so wertvoll machen, sagt der Rot Kreuz-Chef im Camp, Stefan Sturm: "Sie haben sehr viel Empathie und interkulturelle Kompetenz." Und: Die Soldaten sind ein Team, eine Mannschaft, keine zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Arbeitnehmern.

Die Gebirgsjäger sind nicht nur ein gut funktionierendes Team, sie bringen auch viel Empathie und interkulturelle Kompetenz mit. Das macht sie zu wertvollen Helfern im Warteraum Asyl. (Foto: Peter Bauersachs)

Oberfeldwebel Felix Riekert, 28, arbeitet seit sechs Tagen in der Tagschicht im Warteraum. Er koordiniert in Abstimmung mit zwei Rot Kreuz-Mitarbeitern den Check-In der ankommenden Flüchtlinge. Acht bis zehn Kameraden sitzen im Welcome-Zelt des Roten Kreuzes an einer aus Biertischgarnituren aufgebauten, großen quadratischen Rezeption. Jeder Soldat hat ein Laptop, einen Drucker und Büromaterial vor sich. Die Flüchtlinge, die mit Bussen von der Grenze nach Erding gebracht worden sind und die Erstregistrierung mit der Erfassung ihrer Personaldaten und Fingerabdrücke hinter sich haben, bekommen hier ihre Schlafplätze zugewiesen und erhalten einen Chip-Karte für Essen und Getränke im Camp. Das dauert nur wenige Minuten. "Ein eher ruhiger Job" sei das, sagt Riekert, "verglichen mit unserem Aufgabenspektrum als Infanteristen".

Eine Beschreibung, wofür Gebirgsjäger ausgebildet sind, findet sich auf der Internet-Seite der Gebirgsjägerbrigade 23. Die etwa 5300 Soldaten der an mehreren bayerischen Standorten stationierte Brigade sind "auf den infanteristischen Kampf im schwierigen bis extremen Gelände, einschließlich großer Höhen und unter extremen Klima- und Wetterbedingungen spezialisiert", ob im "urbanen Gelände", in "Fels und Eis", im Dschungel oder der Wüste. Die Gebirgsjäger sind eine der einsatzerfahrensten Einheiten der Bundeswehr. Nach der ersten Auslandsmission 1993 in Somalia folgten Einsätze in nahezu allen Einsatzgebieten. Im vorigen Jahr waren Angehörige der Brigade im Irak, Afghanistan, Kosovo, Mali und Somalia. Und natürlich haben die Gebirgsjäger auch viel Erfahrung bei der Katastrophenhilfe in Bayern, beim Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall 2006, beim Juni-Hochwasser 2013, bei Waldbränden oder der Rettungsaktion in der Riesending-Höhle im Juni 2014.

Damit sich die Flüchtlinge leichter zurechtfinden, gibt es Lagepläne des Warteraums mit Erläuterungen auch in arabischer Sprache. (Foto: Peter Bauersachs)

Dass sie seit Oktober bei der Aufnahme von Flüchtlingen mitarbeiten, ist wie eine Selbstverständlichkeit. Doch es geht nicht auf Dauer, sagt der stellvertretende Brigadekommandeur Stefan Leonhard: "Wir springen gerne als Helfer in der Not ein." Doch die Gebirgsjäger müssen sich wieder auf ihren eigentlichen Auftrag konzentrieren. Die 2017 anstehenden Auslandsmission müssen intensiv vorbereitet werde. Spätestens im Juni wird der Einsatz im Flüchtlingscamp in Erding enden.

Sicher könnte das, was die Gebirgsjäger im Camp tun, auch andere tun. Nach dem Check-In gehen die Flüchtlinge im Welcome-Zelt weiter an eine Ausgabetheke. Hier steht der Obergefreite Leon Hindelang, 18, der mit anderen Soldaten an die Flüchtlinge ein eingeschweißtes Paket mit Kissen, Decke und Bettbezug, Hygieneartikel und eine Flasche Mineralwasser ausgibt. Die Verständigung mit den Flüchtlingen läuft "meistens auf Englisch", sagt Hindelang, "und wenn es wirklich nicht geht, nehmen wir eben Hände und Füße dazu".

Andere Kameraden bringen die Flüchtlinge nach der Ausgabe zu ihren Unterkunftsplätzen, zeigen ihnen das Verpflegungszelt und die sanitären Anlagen. Wieder andere werden sie später, nach ihrem Aufenthalt von meist nicht mehr als 24 Stunden, zu den Bussen begleiten, mit denen sie Erding wieder verlassen. Gerade hierbei, so das große Lob der Camp-Leitung, bewiesen sich die Gebirgsjäger als Glücksfall. Weil sie - die Spezialisten für Einsätze unter extremsten Bedingungen - so ruhig, so korrekt und so sensibel im Umgang mit Menschen seien.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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