Mitten in der Welt:An der Erdinger Nabelschnur

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Den Namen Erding kennt ein jeder, stammt er nun aus Halle an der Saale oder aus einem Winkel in der hinteren Mongolei

Von Wolfgang Schmidt

Wer auf Reisen geht, kann die dollsten Dinge erleben, weil er die tollsten Menschen trifft - oder wenigstens solche, die sich dafür halten. Da gibt es dann den Tischnachbarn, der Mailand für die Hauptstadt Andalusiens hält und den Ruhrpott für einen großen Suppentopf. Der Mensch aus dem Erdinger Land ist vor solcher Ignoranz gefeit. Denn den Namen Erding kennt ein jeder, stammt er nun aus Halle an der Saale oder aus einem Winkel in der hinteren Mongolei. Der Erdinger hängt gewissermaßen an einer Nabelschnur, die ihn mit dem Rest Deutschlands, Europas, wir sind geneigt zu sagen: der Welt verbindet.

Gibt sich der Erdinger als solcher zu erkennen, pappt ihm automatisch ein Weißbierwapperl auf der Stirn. Er wird zum Werbebotschafter des Herrn Brombach mit dem kleinen Unterschied, dass er im Gegensatz zu Greis und Neuner dafür keinen Cent einschiebt, ja noch nicht einmal ein isotonisches Freigetränk erhält. Auch auf einem ukrainischen Kreuzfahrtschiff gehört das Erdinger Weißbier so selbstverständlich zur Bordausstattung wie die kuhäugige Oksana zum täglichen Frühstücksbuffet, was wir dieser Tage feststellen konnten. Wenn sich dann der Mensch aus dem Erdinger Land erdreistet, statt des einheimischen Gebräus einen Zweigelt zum Fünf-Gänge-Menü zu bestellen, erntet er zumindest verständnislose Blicke. Bestellt er sich an der Bar aber gar ein Pilsener Urquell, gibt es verächtliche Kommentare bis hin zu Gehässigkeiten, die den Kostverächter als eine Art Vaterlandsverräter erscheinen lassen.

Die Kreuzfahrt war trotzdem schön. Auch wenn beim Landgang, ob in Wien, Budapest oder Bratislava, das Erdinger Weißbier wie zum Hohn auf der jeweiligen Getränkekarte ziemlich weit oben stand. Wieder zu Hause angekommen, haben wir als erstes den Kühlschrank aufgemacht und ein Grünbacher rausgeholt. Schon das Eingießen war ein Hochgenuss.

© SZ vom 07.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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