Mitten in der Region:Morgendliches Pendlerleiden

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Wer jeden Tag mit der Bahn in die Arbeit fährt, der hat was zu berichten, auch, wenn er oft gerne darauf verzichten würde

Kolumne von Clara Lipkowski

Das Pendlerleben kann ein beschwerliches sein. Gerade, wenn ein Sturmtief angekündigt ist, sorgt sich der Bahnfahrer von München in die Region schon am Morgen, wie er denn am Abend heimkommt. Muss er vielleicht im Büro übernachten, da wo es "alles gibt außer Duschen" oder in eines dieser Arbeiterübernachtungshäuser, Boardinghäuser genannt? Es geht dann doch alles gut, der Sturm verschont den Bahnfahrer der Rushhour, es kann geduscht werden und das Boardinghaus bleibt unbesucht. Aber abgesehen von den äußeren Faktoren, die eine Bahnfahrt beeinträchtigen können, sind auch die inneren nicht zu unterschätzen, also die im Zuginnern.

Nimmt man Tag für Tag die immer gleiche Verbindung, kennt man ja irgendwann die Gesichter. Da unterhalten sich die Studenten laut über einen Professor, dessen Humor doch so trocken sei, ach, der Italiener ist auch wieder da, heute schreit er etwas in sein Handy, man versteht nur cinque und casa, vielleicht teilt er jemandem mit, dass er um fünf Uhr wieder zu Hause anzutreffen ist. Neu ist der junge Mann, der zur Kopfhörermusik wild vor und zurück wippt.

Das ist ja alles schön und gut. Aber eigentlich will man ja nur zur Arbeit, es ist deutlich zu früh für so viele Informationen von so vielen Menschen. Hinzukommt, dass die schwarzhaarige Frau mit der schwarzen Brille dem Kollegen erzählt, sooo viel habe sie am Wochenende gar nicht gemacht, nur zwei Vorträge vorbereitet, ach, noch Freunde zum Kaffee getroffen, Sport gemacht, ein bisschen eingekauft, aber das sei ja nicht viel. Sie sagt das, klappt den Laptop auf und beginnt geflissentlich zu tippen, es sind schließlich genau 23 Minuten, bis sie ihn wieder zuklappen muss. Also muss man am Morgen nicht nur Informationen verarbeiten, sondern auch noch das schlechte Gewissen, man selbst hat am Wochenende vor allem gefaulenzt und der Laptop blieb bis dato unangetastet!

Wie sich die Fahrt gestaltet, hängt also von der eigenen Verfassung ab. Hat man morgens, noch schlaftrunken, den Deckel auf den Kaffeebecher nur an-, statt festgedrückt, wundert es einen, wenn sich das milchige Heißgetränk bei einer falschen Handbewegung über die Schuhe und den Boden im Gang ergießt, man wundert sich wirklich. So viel Getränk in so wenig Becher? Hilft ja nichts, schnell aufgewischt sucht man schuldbewusst den Augenkontakt mit dem Sitznachbarn, der zuckt nur mit den Schultern, will sagen "passiert" und widmet sich wieder dem Sportteil. Wie schön. Er ist ein Verbündeter im Schweigen gegen die ganzen mitteilungsbedürftigen Maschinenmenschen, die jetzt, nur kurz unterbrochen vom Kaffee, wieder losrattern.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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