Mitten in der Bescherung:Von Wichteln und Trollen

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Vom Schenken und Beschenken und den manchmal irritierenden Ergebnissen

Kolumne von Thomas Daller

Wenn man mit einer großen Verwandtschaft gesegnet ist, kommt man gemeinsam irgendwann zur Erkenntnis, dass die traditionelle Bescherung in Stress ausartet, wenn jeder jedem etwas schenkt. Dann werden nur noch die jüngeren Kinder, Enkel und Neffen traditionell mit Päckchen und Paketen überhäuft, die Erwachsenen gehen zum Wichteln über. Alle Namen werden auf einzelne Zettel geschrieben und jeder darf dann denjenigen ziehen, den er beschenkt. Man selbst hat Glück und zieht die Schwiegermutter, denn da kennt man die Hobbys und Vorlieben und tut sich leicht mit einem Vorschlag: Sie liest gerne, hat aber noch keinen Kindle, der aus eigener Erfahrung ganz praktisch ist, gerade wenn man abends im Bett noch ein paar Kapitel lesen will. Die Bildschirmseite ist hell, man kann auf die Nachttischleuchte verzichten und der Ehepartner, der bereits eingeschlafen ist, wird nicht gestört. Schwiegermama findet die Idee gut und schon hat man etwas Sinnvolles gefunden.

Einer der Neffen hat dann unseren Namen gezogen. Der junge Mann wohnt mittlerweile mit seiner Freundin in Leverkusen, wo sie zu Hause ist. Seine zukünftige Verwandtschaft besteht aus lauter Bayer-o4-Fans, da frotzeln wir uns gern ein bisschen; als gebürtiger Münchener sind wir selbst Fan des FC Bayern. 1860-Fan wäre keine Option gewesen, denn das ist kein Fussballverein, sondern weist Merkmale einer Sekte auf. Aber wir schweifen ab. Was wir uns wünschen, will der Neffe wissen. Na ja, ein Schal wäre für die kommenden Wintermonate gut. Unseren alten haben wir mal falsch gewaschen, jetzt fühlt er sich an wie feines Schleifpapier. Und welche Farbe? Rot, das verzeiht einen Ketchupklecks aus der Bratwurstsemmel am Christkindlmarkt noch am ehesten.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist dann die ganze Verwandtschaft im Haus der Schwiegereltern zusammengekommen. Erst singen wir noch ein paar Weihnachtslieder und dann packen alle ihre Geschenke aus. Mit einem Lächeln überreicht der Neffe den neuen Schal: Er ist rot, aber auffällig bestickt - ein Fanschal von Bayer 04 Leverkusen. Das kam etwas unerwartet und offenbar haben wir auch etwas blöd aus der Wäsche geguckt. Da kann der Neffe nicht mehr ernst bleiben, lacht los und zieht hinter dem Rücken noch ein zweites Päckchen mit einem wunderschönen italienischen Schal hervor. "Dein Gesicht", sagt er prustend, "du hättest dein Gesicht sehen sollen." Und so ist es, wenn man beim Wichteln auch noch getrollt wird.

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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