Mitten im Büro:Eine Spur aus Stiften

Es gibt Paralleluniversen. Wirklich, es gibt sie wirklich

Von CLAUDIA KOESTLER

Schwups, weg war er. Einfach so. Dabei hatte man ihn gerade noch griffbereit platziert, den Kugelschreiber. Dachte man wenigstens. Sicher, im Alltag haben Computer und Tablet dem Schreibgerät längst den Rang abgelaufen. Aber das ist doch kein Grund, einfach stiften zu gehen! Und das auch noch justament, als der lange erwartete Rückruf eines Konzerns kam. Folglich saß man in der Tinte: Mit maximal kompliziert formulierten Fragen, schwitzend aus dem Ärmel geschüttelt, galt es, Zeit zu gewinnen, um parallel mit zwei Augen, einer Hand und einer Gehirnhälfte nach dem Schreibgerät zu suchen. Auf dem Tisch: nichts. Auch nicht in den Schubladen. Vielleicht heruntergefallen? Auch nicht. In der Not musste ein dicker Textmarker als Ersatz herhalten, was einen kompletten Block verbrauchte. Die Frage aber blieb, wo der Kuli hingeraten war. Zumal er nicht alleine war: Wie viele Stifte man im Journalistenalltag bereits überall und nirgends verloren hat, wäre eine Variante zur Kinderliederfrage, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt. Jeder möchte gerne Spuren hinterlassen. Im konkreten Fall dürfte es allerdings eine verwerfliche, weil unökologische Spur von Plastikkugelschreibern sein, die man seit Jahren wie einen Ariadnefaden unwillentlich überall hinterlässt.

Plötzlich aber war er wieder da. Einfach so, im Konferenzraum, fast schon demonstrativ. Vielleicht hatte er sich eine Auszeit gegönnt, ein Stift-Sabbatical quasi. Und fröhliche Urständ in einem Paralleluniversum mit all den verlorenen Socken aus der Waschmaschine gefeiert. Wie auch immer, wenigstens ließ sich so die Geschichte vom verlorenen Stift schreiben. Zur Strafe allerdings per Computertastatur.

© SZ vom 12.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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