Letzte Videothek im Landkreis Erding:The End

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Gut sortiert sei ihre Videothek immer gewesen, sagt Inhaberin Jasmin Casagranda, und viel Stammkundschaft habe sie immer gehabt. Nur die Erotikabteilung, die lief in Erding nie so richtig gut. (Foto: Renate Schmidt)

"Ach, traurig bin ich schon": Jasmin Casagranda schließt im September ihre Videothek in Erding - die letzte im Landkreis.

Von Regina Bluhme, Erding

Seit ein paar Tagen fühlt sich Jasmin Casagranda wie im falschen Film. Die Betreiberin des Monte Video an der Max-Planck-Straße in Erding kann sich vor Kundschaft kaum retten, seit sie im Internet das Aus für die Videothek angekündigt hat. Doch der Andrang kommt zu spät: Die Schließung ist beschlossene Sache, denn das Geschäft mit den Leihvideos hatte sich zuletzt einfach nicht mehr rentiert. Jetzt läuft der Abverkauf der DVDs. Mitte/Ende September ist endgültig Schluss. Dann verschwindet die Videothek - die letzte im Landkreis Erding.

"Es geht einfach nicht mehr", sagt Jasmin Casagranda. Die Geschäftsfrau steht hinter der Theke und bietet erst mal einen Kaffee an. Links neben ihr blickt ein Stormtrooper aus Star Wars auf die Kunden und die vollen Regale herab. "Ach, traurig bin ich schon", seufzt sie. Aber die Zeit des Monte Video sei vorbei, "eigentlich ist es hier schon seit vier Jahren vorbei." Vor allem illegale Downloads aus dem Internet hätten ihr zu schaffen gemacht. "Amazon ist mein größter Konkurrent", berichtet Casagranda. Sicher, eine treue Stammkundschaft habe sie über all die Jahre halten können, aber das reiche eben nicht, "und die Jungen bringe ich nicht mehr in den Laden rein."

Dabei hatte alles so gut begonnen. Vor 24 Jahren wurde das Monte Video in Erding eröffnet, seit 15 Jahren betreibt Jasmin Casagranda die Videothek in Eigenregie. "Es gab Zeiten, da waren wir zu dritt, um dem Ansturm Herr zu werden", erinnert sich die 48-Jährige. Aber jetzt gingen schon seit Jahren die Umsätze zurück. Noch im April habe sie Hinweisschilder anfertigen lassen und 30 000 Flyer verteilt. Als zweites Standbein gab es eine Verkaufsecke mit außergewöhnlichen Schuhen. Alles vergebens. Zuletzt habe sie immer mehr Geld in den Laden stecken müssen, "irgendwann war der Punkt da, wo es einfach nicht mehr ging".

"Ich finde es sehr, sehr schade"

Im September soll nun endgültig Schluss sein. Damit verschwindet die letzte Videothek im Landkreis Erding. Der Rückgang ist bayernweit rasant, das belegen die Zahlen des Interessensverbandes Video- und Medienfachhandel. Bayernweit gab es zum Jahreswechsel noch 178 Videotheken, berichtet der geschäftsführende Vorstand Jörg Weirich. Zum Vergleich: 2010 waren es noch 470.

Ein jüngerer Mann kommt ins Monte Video und sucht "den Westernfilm mit dem Moretti". Jasmin Casagranda kennt sich aus: "Sie meinen den Thomas Moretti, gell?", sagt sie und gibt den Namen in ihren Computer ein. Leider habe sie den Film nicht da, teilt sie dem Kunden mit. Aber es hätte leicht sein können, "denn das Schöne an der Videothek ist ja, dass wir auch ältere Filme im Angebot haben, die sie woanders nicht mehr kriegen". Darunter auch mal Independent-Filme, "die ihren Weg nicht ins Kino oder Fernsehen geschafft haben", sagt Casagrande.

"Ich finde es sehr, sehr schade, dass das Monte Video schließt", sagt Stammkunde Roman Voglar, der sich gerade eine DVD ausgeliehen hat. Er will sie am selben Tag noch zurückbringen, das kostet einen Euro. Zwei bis drei Mal die Woche komme er in die Erdinger Videothek, sagt er. Er arbeite in der IT-Branche und deswegen versuche er, so wenig wie möglich von seinen privaten Daten preiszugeben. Daher: kein Facebook und keine Videofilme aus dem Internet.

"Man kommt rein, schaut sich um und redet ein bisschen", das gefällt wiederum Michael David am Monte Video. Auch er ist seit Jahren Stammkunde. Vor Neuanschaffungen leihe er sich den Film erst mal aus, "um zu sehen, ob er mir überhaupt gefällt", berichtet er. "Es ist einfach schade, dass wieder so ein Felsen in der Brandung aufgeben muss."

Am Angebot habe es auf jeden Fall nicht gelegen, davon ist Jasmin Casagranda beim Gang durch die verschiedenen Abteilungen überzeugt. Action, Abenteuer, Komödien, Thriller, Bollywood, "auch die Kinderabteilung ist super sortiert." Neben aktuellen Hits habe sie auch alle Disney-Klassiker, sämtliche "Fünf Freunde" und Harry Potter in den Regalen, sagt Casagranda. "Meistens sieht man sich einen Film nur einmal an, da muss ich ihn mir nicht gleich kaufen." Drei Monate nach dem Kinostart habe sie die Filme im Laden gehabt, die 24 Stunden Ausleihe für 3,40 Euro. "Berechnen Sie mal einen Kinobesuch mit der Familie, Popcorn und Getränken, da sind Sie schnell bei 50 Euro."

Das Monte Video hat, wie viele Videotheken früher, noch einen zweiten Eingang - nur für Erwachsene. Hier geht es zur Erotikabteilung, die ebenfalls gut sortiert sei, wie Casagrande sagt. Auch bei Sexfilmen gäbe es regelrechte Klassiker, und die habe sie im Angebot. Als Beispiele nennt sie die Streifen mit Dolly Buster oder der Münchnerin Sibylle Rauch. Alles da. Auch Raritäten mit Sylvester Stallone als Hauptdarsteller liegen im Monte Video im Regal. "Allerdings sind die Erotikfilme in Erding nie so richtig gelaufen", sagt sie. Woran das wohl lag? "Vielleicht war hier doch die Angst zu groß, vom Nachbarn gesehen zu werden", vermutet die Videothekarin.

Die vergangenen Tage musste sich Jasmin Casagrande über mangelnde Kundschaft im Monte Video keine Gedanken machen. Seit sie Anfang August auf Facebook die Aufgabe des Ladens bekannt gegeben habe, könne sie sich vor Kunden kaum retten. "Bis zur Tür geht manchmal die Schlange." Alle wollen jetzt beim Abverkauf der vielen DVDs und BluRays zuschlagen, die zwischen zwei und 5,90 Euro kosten. Die Eisenblechregale gibt es laut Casagranda "gratis bei Selbstabholung."

Nach dem Ende der Videothek muss sie sich auf die Suche nach einem Nachmieter für die Räume im Gewerbegebiet Südwest machen. "Und einen neuen Job brauche ich auch." In welche Richtung es da gehen soll, weiß sie noch nicht. Eins sei aber klar: "Es wird sicher nichts sein mit Videos oder Kleidung", sagt sie. "Ich will auf keinen Fall etwas machen, was mir das Internet wegnehmen kann".

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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