Langenpreising:Vergessen und verkannt

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Es gab eine Zeit, da war mit Langenpreising Staat zu machen - es existierte ein Ortskern mit Wirtschaft und Kirche, Maibaum und Schmiede und einem schönen Bauernhof. Helmut Lahr hat die Geschichte seines Heimatdorfes erforscht. Er hadert mit der Gegenwart und bangt um die Zukunft

Wolfgang Schmidt

Auch die wenigsten Einheimischen werden sich noch daran erinnern: Langenpreising hatte tatsächlich einmal einen Ortskern - mit Wirtschaft, Kirche, Maibaum und Schmiede und einem richtig großen, schönen Bauernhof. Sieht man von der Kirche einmal ab, ist vom einstigen Glanz nicht mehr viel übrig geblieben: Der Unterwirt ist inzwischen eine denkmalgeschützte Ruine mit immerhin neuem Dach, der Bauernhof steht nicht mehr und der Maibaum wurde verpflanzt. Der Schmiede wiederum sieht man ihre einstige Funktion nicht an - und schon gar nicht, dass sie einst über ein Mühlenrad betrieben wurde.

Historisch gesehen handelt es sich beim umstrittenen "Unterwirtsgrundstück" im Schatten der Kirche um das Areal des abgerissenen Martmayrhofs.  (Foto: Renate Schmidt)

Angesichts dieser betrüblichen Entwicklung kann Helmut Lahr richtig sauer werden. Lahr ist Langenpreisinger mit Leib und Seele, auch wenn er die ersten vier Tage seines Lebens bei einer Hebamme im Wartenberger Exil zubringen musste und inzwischen nach Garching gezogen ist. Der Mann ist im normalen Leben Diplom-Ingenieur, kann aber mit Fug und Recht behaupten, Langenpreising richtig gut zu kennen und zwar von den Anfängen des Ortes - die erste nachzuweisende Urkunde stammt vom 1. Oktober 767 - bis hin zur Gegenwart. Seine profunde Kenntnis der Gegebenheiten wurzelt in familiengeschichtlichen Forschungen, die zur Grundlage eines 2008 erschienenen Buches über die Pfarrei und die Kirchen Langenpreisings wurden. Der knapp 57-Jährige sammelt weiter Fakten um Fakten und archiviert Dokumente.

Dabei kommen ziemlich verblüffende Sachen heraus, etwa dass Langenpreising lange vor den Wartenberger Nachbarn Marktrecht hatte. Ja: Streng genommen hätten die Wartenberger heute noch keines, wenn es den Dorfadel der Preysinger nicht gegeben hätte. Josef Sturm hat in seinem Buch "Die Anfänge des Hauses Preysing" diese Entwicklung detailliert aufgezeichnet. Hier ist natürlich nur ein ganz kurzer Abriss möglich: Im Bereich des Landgerichtes Erding gab es um 1230 acht Ämter, Langenpreising war eines davon und aus dieser Tatsache schließt Sturm, dass es da, wo ein Amt war, es auch einen Markt gegeben haben muss.

Diesseits der Strogen haben 1116/17 die Wittelsbacher die Burg Wartenberg gebaut. Ansonsten gab es dort zwei, drei Höfe, etwas, was den Namen Ort verdient hätte, existierte nicht. Als sich Wartenberg am Fuße der Burg so langsam zu etwas Besserem entwickelt hat, haben sich die Preysinger in die Wittelsbacher Ministerialität begeben und, wenn man so will, dann auch die Burg besetzt - zumindest stammten die ersten Burghauptmänner aus dem Preysinger Ortsadel. Mitgebracht haben sie dafür das Marktrecht. Schließlich musste die Burg ja auch versorgt werden - heute würde man das mit dem Begriff Infrastruktur bezeichnen. Das geschah spätestens 1326/29, vermutlich aber schon früher. Doch die jüngere Geschichte ist nicht minder spannend.

Lahr steht vor dem derzeit in Langenpreising umstrittensten Grundstück, das im Volksmund das "Unterwirtsgrundstück" heißt und das Auslöser für ein eventuelles Bürgerbegehren sein kann. "Das ist das, was mich immer ärgert." In Lahr bricht der Historiker durch, weil das angebliche Unterwirtsgrundstück in Wirklichkeit der frühere Martmayrhof war; gekennzeichnet durch die alte Hausnummer 7, seit im Jahr 1811 die Langenpreisinger Straßen durchnummeriert wurden. Der gegenüberliegende Unterwirt trug die Nummer 6. Der eine habe den anderen aufgekauft und dann über der Straße Stallungen errichtet. "Mich hat der Schlag getroffen, wie ich das erste Mal gehört hab', der Unterwirt wird abgerissen," sagt Lahr.

Was heute "auch schon kein Mensch mehr weiß": Das neben dem Unterwirt stehende schmucklose Häuschen ist das drittälteste Gebäude in Langenpreising - es handelt sich dabei um den einstigen Kirchenschmied. Das frühere Holztor gibt es nicht mehr, die seitliche Eingangstür ist zugemauert, natürlich sind andere Fenster im Gebäude, der Kamin ist verschwunden. Als 1960 die Esse weg kam, hat man ihn nicht mehr gebraucht und beim Dachdecken hat man den Schlot einfach abgerissen. Genau hier habe sich das Langenpreisinger Leben abgespielt, sagt Lahr. Die Schmiede war früher die "Ratschbörse".

Der Schmied selbst der wichtigste Handwerker, seit die Menschen den Wert des Metalls entdeckt hatten. Er war für das Überleben notwendig, hat Waffen gemacht und die Handwerksgeräte - kurzum: er war der Angesehenste im Dorf und deshalb mitten im Zentrum angesiedelt. Derzeit lagert die Gemeinde einiges Gerümpel im Haus und die Wasserwacht hat einen überdachten und abschließbaren Raum für ihr Einsatzfahrzeug gefunden. Damit nicht genug: Zu allem Überfluss könnte das historische Gebäude dem Erdboden gleich gemacht werden. An seiner statt entstünden fünf bis sechs Parkplätze.

Fast ganz in Vergessenheit geraten ist das Langenpreisinger Mühlenrad. Die Pläne, die Lahr zeigt, stammen aus dem Jahr 1821. Ein gewisser Josef Würz beantragt darin am 1. Januar 1820 bei der Gemeinde den Bau einer Hammer- und Schleifmühle mit der dazu notwendigen Wasserschwellung. Die Nachbarn hatten nichts dagegen, also wurde das Projekt genehmigt, das grob vereinfacht so aussah: zwei Schleifsteine, zwei Hämmer, Zacken, ein Prinzip wie bei mechanischen Uhren. Zur Begründung hatte Würz unter anderem angegeben, er könne sich so einen Gesellen einsparen. "Rationalisierung um 1820", sagt Lahr und schmunzelt.

Überhaupt scheint der damalige Kirchenschmied ein rechtes Schlitzohr gewesen zu sein. 1829 ist die Schmiede gebaut worden, aber schon 1830/31 ist die Gemeinde gerichtlich gegen Josef Würz vorgegangen, "wegen Wasserschwellung". Der Schlaumeier hatte auf den genehmigten Staubalken noch einmal ein 20 bayerische Zoll starkes Brettl draufgenagelt. Dann ist es den Nachbarn höchstwahrscheinlich zu feucht geworden. Der Fall kam vor das königliche Appellationsgericht nach Landshut, seinerzeit das höchste Berufungsgericht. Die Klage gegen das Brett wurde abgeschmettert.

Das Mühlenrad würde heute nicht mehr funktionieren. Die Strogen war früher viel höher und breiter, wie die Gemälde von Landschaftsmalern aus dem 19. Jahrhundert belegen. Der Bach hatte damals im Ort noch eine große Schleife gezogen und kam so in seinem Bett bis auf ein paar Meter an den Kirchenschmied wieder heran. Die Idylle dauerte bis 1927 an. Dann wurde Langenpreising kanalisiert, die Mäander aus der Strogen wurden herausgenommen und am Ortsausgang eine Schleuse gebaut. Bis dahin hatte der Ort drei- bis viermal im Jahr unter Hochwasser gestanden. Heute stehen auf der abgegrabenen Schleife einige Häuser.

Warum, so fragt Lahr und nennt seine Gedanken "ein bisserl eine Spinnerei", könne aus der Kirchenschmiede denn keine Kulturschmiede im Wortsinn werden? Langenpreising habe "null öffentlichen Raum": Das Rathaus steht in Wartenberg und ein Bürgerhaus gibt es sowieso nicht. Wenn man in der Gemeinde also etwas auf die Beine stellen wolle, müsse man wohl oder übel zum Wirt gehen. Eine Ausstellung, eine Präsentationsfläche für heimische Künstler, wie es andere Orte reihenweise vormachten? "Die haben null." Lahr spinnt den Gedanken fort. Vielleicht könne man sogar ein Mühlenrad noch einmal hinstellen. Garching, das weiß er ja aus eigener Anschauung, habe auch zwei Mühlenräder, die wirtschaftlich keinen Sinn machten.

Und es ist nicht so, dass sich nicht in Langenpreising selbst ein schönes Beispiel finden ließe, wie aus historischen Mauern bleibende Werte wachsen können - schließlich gibt es ein paar Meter weiter den Theaterstadl. Das jetzt schmucke Haus ist der Rest des alten Zanklhofs aus dem 13. Jahrhundert, 800 Jahre lang einer der größten Höfe im Ort, wie Lahr weiß. Den habe die Gemeinde gekauft und nun residiert in der einen Hälfte der Theaterverein, die andere Hälfte nutzt der Obst- und Gartenbauverein - die Eigenleistung der Nutzer zahlt sich jetzt aus. Der Theaterverein hat bei seinen Aufführungen übrigens aus gutem Grund genau 99 Sitzplätze. Denn wenn man hundert und mehr hat, sind in Bayern allein die Brandschutzvorschriften schon sehr viel strenger. Der Zanklstadl, davon ist Lahr überzeugt, das wäre so ein Modell, wenn sich für "da drüben auch irgendwer finden würde".

Da drüben" liegt die alte Ortsmitte mit dem Kirchenschmied. Und im Historiker gewinnt vorübergehend der Realist die Oberhand. Es nutze gar nichts, "wild-romantisch traditionalistisch zu sein", wenn sich kein Investor oder Träger fände oder sich einige Bürger einspreizten. Bei der Schmiede habe sich keiner überlegt, wie alt die ist - "und schon sollen fünf Parkplätze herkommen". Lahr vermisst die Ideen innerhalb der Gemeinde. Es müsse ja nicht unbedingt eine Kulturschmiede sein, ein Café zum Beispiel wäre zur Not auch nicht schlecht.

In fünf Jahren ist 1250-Jahr-Feier in Langenpreising. Und für diesen großen Tag wäre Lahr gerüstet - der sammelt und sammelt. Nicht nur von der Kirche bis zur Entwässerung hat er die Geschichte des Ortes durchpflügt - Langenpreising hatte in seiner Historie einiges mehr zu bieten. Schon 1230 gab es den Oberwirt, damals die Obere Taverne. Die war herzoglich. Das Gegenstück dazu war der die Untere Taverne - der Unterwirt war preysingerisch. Aber eigentlich, sagt Lahr, ist die Sache mit den Wirtschaften auch schon wieder eine eigene Geschichte. Wie weiland die Herzöge mit ihren 200 Leuten im Anhang von Hof zu Hof zogen, wie die Heuschrecken innerhalb von ein bis zwei Wochen alles abgrasten und dann den nächsten heimsuchten, bis nichts mehr zu holen war, ganz bestimmt auch.

© SZ vom 24.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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