Landkreis:Mitfühlen, aber nicht mitleiden

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Die Kriseninterventionsberater sind für Menschen da, die Schreckliches erlebt haben. Sie sind seit mehr als 18 Jahren in Freising und Erding im Einsatz

Von Viktoria Bolmer, Landkreis

Wenn bei einem Todesfall Polizei und Rettungsdienst mit organisatorischen Abläufen beschäftigt sind - dann sind die Kriseninterventionsberater der Landkreise Erding und Freising für diejenigen da, die gerade Schreckliches erlebt haben, aber äußerlich unversehrt geblieben sind: Für den Lokführer, vor dessen Zug sich ein Mensch geworfen hat, den Lastwagenfahrer, der im toten Winkel ein Kind nicht sah, oder für die Familienmitglieder, die einen geliebten Mensch auf natürlichem Wege verloren haben.

Die ehrenamtlichen Berater des Arbeitskreises Krisenintervention Erding-Freising, genannt KIT, sind seit mehr als 18 Jahren im Einsatz - auch außerhalb der beiden Landkreise, wenn es die Situation erfordert. Das war 2006 der Fall, als in Bad Reichenhall das Dach der Eissporthalle zusammenbrach. "Ein Einsatz, den man so schnell nicht vergisst", berichtet Klaus Hippe, der Vorsitzende des Arbeitskreises. Dass ihre Hilfe gebraucht wird, erfahren die ehrenamtlichen Berater über die Rettungsleitstelle. Sowohl in Erding als auch in Freising steht ein Fahrzeug bereit, mit dem der diensthabende Berater dann zur Einsatzstelle fahren kann. Ist der Umweg zu groß, wird auf ein Privatfahrzeug zurückgegriffen.

Am Ort des Geschehens kümmert sich der Kriseninterventionsberater um die Personen, die unter Schock stehen, oder unter seelischen Belastungen leiden, aber unverletzt sind. "Das kann nach einem schweren Verkehrsunfall bei Zeugen der Fall sein, aber wir haben auch schon jemanden betreut, dessen Pferd gestorben ist", berichtet Hippe. Manche Menschen wollen dagegen keine Betreuung - dann zieht sich der Berater zurück. "Wir helfen nur, wenn die Betroffenen es wünschen", sagt Hippe. Daher kann die Einsatzlänge zwischen fünf Minuten und acht Stunden variieren. "Jeder geht anders mit seiner Trauer um, das muss man akzeptieren. Wir sind in der konkreten Situation da für die Menschen und haben Zeit für sie", erklärt Hippe. Dabei sei es auch wichtig, die Distanz zu wahren. Man könne mitfühlen, aber nicht mitleiden. Es sei schon vorgekommen, dass sich die Berater nicht nur um Angehörige, Opfer oder Zeugen gekümmert hätten, sondern auch um Täter. "Das stellt sich aber meist erst später heraus, so dass wir während des Einsatzes gar nichts davon wissen", erklärt Hippe. "In der Situation ist das für die Person ganz schlimm - und darum kümmern wir uns. Wir nehmen keine Wertung vor."

Am häufigsten sind die Berater beim häuslichen Tod im Einsatz. In dem Fall werden sie auch von Privatleuten alarmiert. "Plötzlich verstirbt ein Angehöriger, und man merkt: Da ist jemand, dem geht es nicht gut", erklärt Hippe. Das KIT versucht bei fast jedem Todesfall eine Verabschiedung der Angehörigen vom Verstorbenen zu organisieren. In Absprache mit dem Bestatter sei fast immer ein Besuch in der Leichenhalle oder auf dem Friedhof möglich, sagt Hippe. "Das ist sehr wichtig, um überhaupt zu begreifen, was passiert ist." Die Berater vermitteln, wenn nötig, auch eine längerfristige Betreuung. Das KIT hilft nur im akuten Fall - danach übernehmen andere Beratungsstellen.

In Erding und Freising sind derzeit 15 Kriseninterventionsberater aktiv. Im vergangenen Jahr betreuten sie 180 Einsätze, in diesem Jahr bisher 104. Um die Fälle aufzuarbeiten, finden regelmäßige Supervisionen durch Psychologen statt. Aber auch untereinander besprechen die Krisenhelfer die Einsätze.

Hippe wünscht sich, dass mehr Menschen dieses Ehrenamt übernehmen würden. Er weiß aber auch, dass die Anforderungen hoch sind, wie er sagt: "Eine medizinische oder rettungstechnische Ausbildung ist sehr wichtig. Außerdem sollte man selbst keinen traumatisierten Hintergrund haben. Oft denken die Menschen, wenn sie selbst Schlimmes erlebt haben, wären sie besonders geeignet für diese Tätigkeit, das ist nicht so." Wer als Berater tätig sein will, wird zu einem längeren Gespräch mit dem Vorstand eingeladen, in dem geprüft wird, ob man zusammen passt. Die anschließende Ausbildung umfasst 160 Doppelstunden Unterricht, hinzu kommen fünf bis sechs praktische Einsätze, bei denen der Auszubildende die erfahrenen Berater bei ihrer Arbeit begleitet. Erst dann darf er selbst "Einsätze fahren", wie Hoppe sagt.

Die Ausgaben des KIT werden durch Spenden finanziert. "Unser Budget ist gering, aber unsere Ausgaben ebenso. Lediglich das Benzin für die Autos müssen wir erstatten, ansonsten arbeiten wir ehrenamtlich", sagt Hippe. Einen Engpass gebe es derzeit allerdings doch: "Eines der Fahrzeuge rostet uns weg, da brauchen wir sehr dringend ein Neues", berichtet Hippe.

© SZ vom 22.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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