Landkreis Erding:Angst vor Praxensterben auf dem Land

Lesezeit: 2 min

Düstere Prognosen: Ärzte im Landkreis warnen vor kommerziellen Versorgungszentren. Grund sind die Reformpläne von Gesundheitsminister Rösler.

M. Vogel

Christian Sulger ärgert sich. Die von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) geplante Kürzung der Sondervergütung für Hausärzte wäre die fünfte Abrechnungsreform, die er seit seiner Niederlassung als Facharzt für Allgemeinmedizin in Erding vor sechs Jahren mitmachen würde. Und sie träfe ihn hart. Sein Honorar pro Kassenpatient und Quartal würde um 30 Prozent sinken. Jammern will er nicht.

"Wir leben in einer Doppelhaushälfte und meine Kinder sind ordentlich angezogen", sagt er. Aber von seinem eigentlichen Ziel, eines Tages ein Haus kaufen zu können, muss er Abstand nehmen. 300.000 Euro hat er in die Praxis und in deren Modernisierung gesteckt. 15 Jahre lang muss er seine Schulden noch abtragen. Durch das Vorhaben der FDP fehle ihm jegliche finanzielle Planungssicherheit.

Sulger ist 46 Jahre alt, damit ein junger Vertreter seiner Zunft. Den statistischen Beleg dafür liefert Wolfgang Krombholz, niedergelassener Allgemeinarzt in Isen und Stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes: "Über 50 Prozent der etwa 70 Hausärzte im Landkreis Erding sind über 55 Jahre alt." Für den Verband sind das alarmierende Werte. In einigen Jahren gehen viele Ärzte in Rente.

Drücke Rösler die Kürzungen durch, werde es schwer sein, Nachfolger für sie zu finden. Ein Praxensterben sei zu befürchten. "Ältere Ärzte wie ich können vielleicht mit der Kürzung leben, jüngere nicht. Die Schulden müssen noch bezahlt werden, die Kinder sind noch nicht aus dem Haus", sagt Krombholz. Und Sulger bestätigt: "Stünde ich heute vor der Entscheidung, ich würde keine Praxis mehr eröffnen." Und das, obwohl seine Arztpraxis gut läuft. "Meine Kapazitätsgrenze ist erreicht, seit einem Jahr nehme ich keine Patienten mehr auf."

Die Kassen schließen seit 2007 Hausarztverträge mit den Hausarztverbänden ab. Als Lotsen im Gesundheitssystem sollen die Allgemeinmediziner die Verschreibung überflüssiger Medikamente, Facharztbesuche und Klinikeinweisungen verhindern. Jetzt soll wieder umgekrempelt werden. Durch die Kürzung der Vergütungen für künftige Verträge - existierende sollen Bestandsschutz erhalten - sieht der Verband außer der Ausdünnung der Versorgung besonders in ländlichen Regionen auch das Konzept der hausarztzentrierten Versorgung gefährdet.

Krombholz zeichnet ein düsteres Zukunftsbild: "Es gibt die Angst vor Privatisierung. Die medizinische Versorgung könnte in die Hände von Aktiengesellschaften gelangen, die in großen Häusern Ärzte anstellen. Dann entscheidet der Profit, medizinisch wird möglich, was die Börse so hergibt." Auch Sulger fürchtet, dass an die Stelle der nicht mehr zu besetzenden Praxen kommerzialisierte Versorgungszentren rücken. "Große Konzerne haben durchaus Interesse daran, landesweit die ambulante Versorgung in die Hand zu nehmen." Die Folgen wären seiner Ansicht nach fatal: "Dann können sie ein Callcenter anrufen und die sagen ihnen dann, wo sie für die Meniskusoperation hingehen sollen. Dann gibt es keine freie Arztwahl mehr."

Noch ist es nicht soweit. Die bayerischen Hausärzte werden am 26. und 27.August streiken. "Zwei Drittel der Praxen im Landkreis haben geschlossen", sagt Kromholz. Die Aktion soll einen Eindruck davon geben, wie knapp die Versorgung eines Tages sein könnte. Auch Christian Sulger hat an diesen Tagen seine Praxis geschlossen.

© SZ vom 18.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: