Geothermie und Erdbeben:Die Menge macht's

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In Poing scheint die Geothermieanlage Erdbeben auszulösen - ist das auch in Erding möglich?

Von Veronika Wulf, Erding

Im Dezember hat in Poing im Landkreis Ebersberg bereits vier Mal die Erde vibriert - und das, obwohl das Münchner Umland tektonisch stabil ist. Experten sehen die Geothermieanlage als wahrscheinlichsten Auslöser, auch wenn deren Betreiber dies bestreiten. In Erding steht ebenfalls eine solche Anlage. Seit ihrer Inbetriebnahme 1998 sind hier jedoch keine Erdbeben aufgetreten. Warum?

"Ganz sicher sind wir nicht, warum manche Anlagen seismisch auffällig werden und andere nicht", sagt Joachim Wassermann, Leiter der Abteilung Seismologie des Geophysikalischen Observatoriums in Fürstenfeldbruck. "Doch die Höhe der Förderrate und die Temperatur des rückgeführten Thermalwassers scheinen eine Rolle zu spielen." In der Erdinger Anlage werden rund 40 Liter pro Sekunde gefördert, im Sommer, wenn der Energiebedarf niedriger ist, sind es nur etwa 20 Liter. Das warme Wasser wird aus 2 300 Meter Tiefe heraufgepumpt, oben durch die Nutzung entwärmt und in die gleiche Erdschicht zurückgegeben. "Es wird nicht durch Druck hineingepresst, sondern es läuft sozusagen von allein in den Berg hinein", erklärt Alois Gabauer vom Zweckverband Geowärme Erding.

Das ist auch bei der Poinger Anlage der Fall. "Im Gegensatz zum Fracking wird bei der Geothermie generell ohne zusätzlichen Druck gearbeitet", sagt Wassermann. "Doch manchmal reicht es bereits aus, Wasser in eine Erdschicht einfließen zu lassen, um ein kleines Erdbeben auszulösen." Den Hauptgrund für die unterschiedlichen Auswirkungen der Geothermie in Poing und Erding sieht er aber in der Wassermenge. Die Poinger Anlage fördert 80 bis 100 Liter pro Sekunde - mehr als doppelt so viel wie die Erdinger.

Ein weiterer Faktor ist die Temperatur. Der Sinn einer Geothermieanlage ist der Energiegewinn. Das Thermalwasser wird heiß an die Erdoberfläche transportiert und dort in den Fernwärmekreislauf eingespeist. Wenn es zurückfließt, ist es deutlich abgekühlt - in Erding von 65 auf rund 25 Grad Celsius und in Poing von 76 auf etwa 52 Grad. Unter der Malm-Schicht, in die das entwärmte Wasser geleitet wird, befindet sich Granit. "Wenn dieser durch kaltes Wasser abgeschreckt wird, dann entstehen Spannungen, die sich in kleinen Erschütterungen entladen können", sagt Wassermann. Dies habe allerdings keinen allzu großen Effekt - und erklärt auch nicht abschließend das Poing-Erding-Rätsel, wenngleich in Poing etwas tiefer gebohrt wird. "Es kommen wohl mehrere Faktoren zusammen", sagt Wassermann.

Das Bergamt Südbayern schreibt neuen Geothermieanlagen vor, dass sie ein Messgerät installieren, dass auch winzige Erdbeben im Umfeld der Anlage anzeigt. Sonst dürfen sie nicht in Betrieb genommen werden. Eine Vielzahl der vom Bergamt genehmigten Anlagen ist bereits mit dieser Technik ausgestattet. Bei älteren Anlagen werde im Einzelfall geprüft, inwieweit sie nachgerüstet werden müssen.

In Münchner Umland sind 20 Geothermieanlagen in Betrieb. Mit der Frage, warum es rund um manche dieser Anlagen zu Erdbeben gekommen ist, und ob tatsächlich die Geothermie dafür verantwortlich ist, beschäftigt sich nun auch das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik in Hannover. Grundlage für die Forschung seien die Beobachtungen in Poing, teilte eine Sprecherin der Regierung von Oberbayern mit.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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