Erding:Zerrüttete Verhältnisse

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Der wegen Totschlags an seiner zweite Frau angeklagte Erdinger Gynäkologe hat vier leibliche und zwei adoptierte Kinder. Sohn und Tochter aus zweiter Ehe sind im Prozess Nebenkläger

Von Florian Tempel, Erding

Zum Auftakt des Verfahrens gegen den Erdinger Gynäkologen Michael B. sind bislang unbekannte Details des außergewöhnlichen Falls zur Sprache gekommen: Dass die Polizei zunächst gar nicht von einem Gewaltverbrechen ausging, sondern glaubte, die Ehefrau des Angeklagten sei durch einen Unfall ums Leben gekommen. Auch, dass das Opfer offenbar ein gravierendes Alkoholproblem hatte, war eine Neuigkeit. Am ersten Prozesstag stand jedoch vor allem der 55-jährige Medizinprofessor selbst im Mittelpunkt. Mehr als vier Stunden sprach er über sein Leben, seine familiäre Situation, legte seine Sicht der Dinge dar und beantwortete eloquent und in aller Ruhe die an ihn gestellten Fragen.

Wer glaubte, ein Angeklagter, der die ihm zur Last gelegte Tat bestreitet, werde dies dem Gericht wohl direkt ins Gesicht sagen, sah sich getäuscht. Michael B. verzichtete auf jede Unschuldsbeteuerung und ging die Sache viel subtiler an. Er nahm die Position eines Zeugen ein und brachte auf diese Weise zum Ausdruck, dass er mit dem Tod seiner Ehefrau nichts zu tun habe. Eine wohlüberlegte Haltung. Denn für ihn gilt, wie für jeden Angeklagten, die Unschuldsvermutung. Und das muss man dem Gericht nicht sagen.

Da er dennoch nicht Zeuge in seinem eigenen Prozess, sondern der Angeklagte ist, ließ ihn das Gericht ausführlich über seine persönlichen Verhältnisse berichten. Michael B. begann, obwohl die Vorsitzende Richterin Gisela Geppert ihn wissen ließ, er müsse nicht bei seiner Kindheit beginnen, eben dort. Seine Eltern seien beide Lehrer gewesen. Er habe "eine behütete Kindheit" gehabt und sei ganz und gar gewaltlos erzogen worden - "und ich war Messdiener". Während seines Medizinstudiums lernte er in Lübeck seine erste Ehefrau kennen, die er 1986 heiratete und mit der er einen Sohn und drei Töchter hat. Sie sind heute zwischen 19 und 26 Jahre alt. Vor zehn Jahren habe ihn seine erste Ehefrau vor die Tür gesetzt. In den vier Jahren bis zur Scheidung 2008 habe sie dann "einen unerträglichen Rosenkrieg" gegen ihn geführt und alles daran gesetzt, ihm auch beruflich zu schaden.

Die Beziehung zu seinen vier leiblichen Kindern ist seitdem problematisch. Die Vorsitzende Richterin hielt ihm dazu einen Brief aus dem Jahr 2007 vor. In diesem Schreiben "haben Sie alle ihre vier Kinder übel beschimpft - als ich das gelesen habe, hat es mich geschüttelt". Michael B. erklärte, ihm tue der Brief heute leid. Eine Tochter habe 2011 wieder Kontakt mit ihm aufgenommen. Eine andere Tochter hat ihn nach vielen Jahren erstmals wieder in der Untersuchungshaft besucht und war auch zum Prozessauftakt erschienen. Sein leiblicher Sohn will hingegen als Zeuge aussagen. Er hat offenbar mit seinem Vater gänzlich gebrochen. "Das muss ja eine ganz schlimme Geschichte sein", sagte Richterin Geppert, "der hat Sie ja in seiner polizeilichen Vernehmung ganz übel beschimpft".

Seine zweite Ehefrau Brigitte, die er 2008 heiratete, hatte wie er bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich und brachte zwei Kinder mit in die Ehe. Michael B. hat sie vor Jahren mit Zustimmung ihres leiblichen Vaters adoptiert. Sie sind beide mittlerweile erwachsen.

Im seinem Prozess sind seine adoptierten Kinder nun Nebenkläger. Ihre Rechtsanwälte sitzen gleich neben dem Staatsanwalt. Seit der Anklageerhebung im Juli haben sie den Kontakt zu ihm abgebrochen. Zuvor hatten sie ihn noch im Gefängnis besucht und ihm Briefe geschrieben. Michael B. klagte, dass seine beiden adoptierten Kinder nicht einmal mehr bereit seien, die Miete für das Reihenhaus, in dem ihre Mutter getötet wurde, weiter zu zahlen. Dabei verfügten sie nun über das Vermögen seiner zweiten Ehefrau, das auch aus etwa 900 000 Euro bestehe, die er ihr im Laufe der Jahre geschenkt habe.

Die Vorsitzende Richterin erläuterte am ersten Prozesstag auch, warum der Angeklagte neben drei selbst gewählten Anwälten noch einen Pflichtverteidiger an seiner Seite hat. Einer der Wahlverteidiger habe ihr erklärt, sagte Geppert, "man habe zwar Geld erhalten, aber die Wahlverteidigung sei nicht über den ganzen Prozesszeitraum gesichert".

© SZ vom 08.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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