Erding:"Wir müssen aufstocken"

Lesezeit: 8 min

Jedem verfolgten Menschen gesteht Landrat Martin Bayerstorfer ein Asylrecht zu. Flüchtlinge aus dem West-Balkan müssten zurückgeschobene werden. (Foto: Renate Schmidt)

CSU-Landrat Martin Bayerstorfer spricht im SZ-Interview über die angespannte Flüchtlingslage

interview Von Wolfgang Schmidt und Sebastian Fischer

Der Landkreis Erding will seinen Teil zur Aufnahme von Flüchtlingen beitragen. Es wird aber für das Landratsamt immer schwieriger, geeigneten Wohnraum zu beschaffen. Deshalb hat CSU-Landrat Martin Bayerstorfer die Initiative ergriffen und den Bürgermeistern schon einmal ins Gewissen geredet, auch selbst mehr zu tun, sonst drohe eine Quotenregelung für die Gemeinden. Im SZ-Interview lobt Bayerstorfer das deutsche Asylrecht und seine Behördenmitarbeiter.

SZ: Sie haben vor drei Wochen die Zahl von 2000 Flüchtlingen genannt, die bis Januar im Landkreis sein werden. Muss diese Zahl nicht nach oben korrigiert werden?

Martin Bayerstorfer: Wir können uns nur an das halten, was uns die Regierung von Oberbayern mitgeteilt hat. Demnach werden uns 50 Personen pro Woche überstellt. Diese Zahl würde bedeuten, dass wir nächstes Jahr die Zahl 2000 erreichen werden.

Der Landkreis greift jetzt zur Quotenregelung für die bei der Unterkunft säumigen Gemeinden.

Nein.

Die Zahlen, die den Bürgermeistern in einem Rundschreiben aus dem Landratsamt genannt wurden, kommen einer Quote von 1,5 Prozent der Bevölkerung aber verdächtig nahe.

Wir haben nur ausgerechnet, wie viele Asylbewerber das pro Gemeinde wären. Aber Quote heißt ja, ich halte mich strikt an das, was pro Gemeinde untergebracht werden muss. Die Akquise von Wohnraum haben wir im Landratsamt erfolgreich bewerkstelligen können. Und solange wir auch diese 50 Personen pro Woche unterbringen können, so lange wird es die Quote so nicht geben. Aber ein Engpass wird vorübergehend in 14 Tagen oder in drei Wochen auftreten. Und deshalb habe ich im Vorfeld zur Bürgermeisterdienstbesprechung allen Gemeinden die Mitteilung gegeben, wie viel die Quote ausmachen würde.

Das sind aber diese 1,5 Prozent.

Ganz genau. Ich habe den Bürgermeistern gesagt, bitte überlegt euch, wo bringt ihr die Leute unter. Jede Gemeinde, die bisher noch keine Flüchtlinge oder sehr, sehr wenige hat - und das sind viele - hat jetzt sozusagen drei Wochen Vorlaufzeit. Danach müssen sie damit rechnen, die Zuweisung zu bekommen.

Es gibt nach diesen drei Wochen also keine Ausrede mehr?

Es war eine eindringliche Bitte, uns zu helfen. Zu sagen, wir haben alles versucht, aber vergebens, nutzt dann nichts mehr. Dann muss halt eine Turnhalle belegt werden, wenn wir es vom Landkreis nicht mehr schaffen. Dann wäre die Quote eingeführt. Wir werden allerdings versuchen, die Unterbringung auch in Zukunft noch selbst hinzubekommen. Ich kann es aber leider nicht mehr garantieren.

Wie viele Flüchtlinge kann das Landratsamt selbst bei Privatleuten unterbringen?

Wir hätten jetzt fix Wohnraum für 1161 Personen. 929 sind schon eingezogen, beziehungsweise sind als Freiplätze an die Regierung gemeldet worden und damit verplant. Nimmt man also 150 in drei Wochen dazu, reicht das schon nicht mehr aus. Dazu kommen noch die Fehlbeleger.

Versprechen Sie sich von den Aufrufen in den Gemeindeblättern etwas? Vor einem Jahr war die gleiche Aktion ja nicht gerade erfolgreich.

Kurzfristig wird es schwierig, tatsächlich noch einige Wohnungen in der erforderlichen Größe herzubekommen. Sehr schwierig sogar, ich will aber nicht sagen, dass es ausgeschlossen ist. In manchen Fällen, wo die Bereitschaft grundsätzlich schon da war, kann die Gemeinde vielleicht den letzten Anstoß geben.

Man könnte aber mit den Zahlen, die auf die einzelnen Gemeinden an Flüchtlingen zukommen, offensiver umgehen?

Meine Sorge ist - und das hat sich bewahrheitet, dass die Gemeinden, die überproportional viel aufnehmen, Druck von der eigenen Bevölkerung und aus dem Gemeinderat bekommen. So lange es keine Zahlen gibt, wie viel man tatsächlich nehmen muss und wie viel die anderen haben, handhabt sich das leichter. Dann wird auch die ehrenamtliche Betreuung nicht in Frage gestellt.

Sie haben die Ehrenamtlichen angesprochen. Könnte das Landratsamt diese nicht mehr entlasten?

Was sollen wir konkret machen bei den Ehrenamtlichen? Die Sozialarbeiter kommen von uns. Im Gegensatz zu allen anderen Landkreisen machen wir Asylsozialarbeit. Und wir bezahlen sie auch selber. Wir stocken in diesem Bereich sogar permanent auf. Wir haben nur das Problem, dass wir die Leute nicht kriegen. Sozialpädagogen sind überhaupt Mangelware und im Asylbewerberbereich muss man auch mit anderen Kulturen vertraut sein.

Wie viele Sozialarbeiter vom Landratsamt kümmern sich um Asylarbeit?

Wir haben derzeit drei, müssen aber deutlich aufstocken. Wir werden sofort zwei Kräfte einstellen. Schauen Sie nur mal auf unsere Homepage. Für das Haushaltsjahr 2016 sind im Bereich Asyl Mittel für 17 neue Stellen eingestellt - von der Ausländerbehörde bis zum Hausmeister. Bei der Fortbildung in den jeweiligen Arbeitskreisen und beim runden Tisch betreuen wir die Ehrenamtlichen schon intensiv. Mehr geht nicht mehr.

Sie sagen, es ist so schwer, qualifizierte Kräfte zu bekommen. Könnte man da nicht mit den ehrenamtlichen Arbeitskreisen mehr zusammenarbeiten?

Gerne und sofort. Die Caritas oder andere karitative Organisationen können schon morgen einsteigen. Ehrenamtlich bedeutet aber auch unentgeltlich.

Wie läuft die Betreuung in den einzelnen Kommunen ab? Wo endet die Zuständigkeit des Landratsamtes, wo beginnt der Anteil der Gemeinden?

Wir sind für die Einrichtung zuständig und dafür, dass die Flüchtlinge Bekleidung sowie Lebensmittel bekommen, dass Krankenhilfe gewährt wird und dass das Taschengeld ausbezahlt wird. Vom Hausmeister bis zur Verwaltung ist das Landratsamt zuständig. Alles was darüber hinaus geht, also die Willkommenskultur, ist auch Aufgabe der Gemeinden. Da bitten wir darum, dass aus jeder Gemeinde ein Ansprechpartner für diese Aufgabe zur Verfügung steht. Das kann ein Ehrenamtlicher sein, das kann ein Hauptamtlicher in der Verwaltung sein. Da mischen wir uns nicht ein.

Nehmen wir an, dass die Leute, die kommen, Syrer etwa, beste Aussichten haben, hier bleiben zu können. Wie sieht es aus mit Kindergarten und Schule? Ist man da darauf vorbereitet?

Selbstverständlich. Hier kommen die Gemeinden sehr stark ins Spiel. Kindergarten und Schulpflicht ist Sache der Gemeinden, für weiterführende Schulen ist der Landkreis zuständig. Wer da ist, wird rechtlich genauso beurteilt wie ein deutscher Staatsangehöriger. Aber es gibt auch einen nicht unerheblichen Anteil von Flüchtlingen aus dem West-Balkan. Da muss was passieren und zwar dringend. Die müssen sofort wieder in den Zug gesetzt und zurückgeschoben werden.

Ohne Verfahren?

Wenn es ein sicherer Drittstaat ist, lohnt sich doch keine Diskussion darüber. Es gibt die neue Koalitionsvereinbarung in Berlin. Kosovo, Albanien und Montenegro werden durch eine Gesetzesänderung zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt. Die einzige Antwort darauf kann nur lauten: keine Diskussion. Wenn wir das anfangen, dann funktioniert es nicht mehr.

Dann sind Sie bestimmt auch gegen ein Einwanderungsgesetz?

Da bin ich absolut dagegen, weil das ein Ausbeuten anderer Volkswirtschaften bedeutet. Ich bin ja dafür, dass man bei uns Menschen hilft und ihnen eine Ausbildung gibt. Ich habe nur etwas dagegen, dass wir unser derzeitiges Asylrecht vermischen mit einem Einwanderungsgesetz. Es wird kein anderes Land geben, das ein großzügigeres Asylrecht hat als Deutschland. Wer verfolgt wird, kann jederzeit zu uns kommen und soll auch zu uns kommen. Es stehen aber Leute in ihrer Heimat und halten Plakate hoch mit der Aufschrift "Merkel hilf uns, sonst kommen wir nach Deutschland". Wer kann es sich denn aus Syrien, dem Irak oder Eritrea leisten nach Deutschland zu kommen? Wir ziehen die komplette Elite ab. Wer soll dann dort irgendwann wieder etwas aufbauen? Wie soll denn da eine Volkswirtschaft entstehen?

Es ist immer die Frage, ob diese Diskussion in der Notlage die richtige Diskussion ist.

Helfen wir den Menschen, die zu 40 000 in den Lagern in der Türkei sind und im Dreck leben? Ich höre nichts davon. Die sind auch für die Schleuser uninteressant. Wer weiß denn schon, wie das alles organisiert ist? Ich glaube nicht, dass die Schleuser selbständig unterwegs sind. Ich glaube daran, dass die Mafia einen großen Anteil an dieser Tätigkeit hat.

Von Ihnen stammt der Ausspruch "keine Anreize schaffen" - Flüchtlingen also möglichst wenig Bargeld zu geben. Jetzt schwenkt nicht nur Innenminister de Maizière, sondern sogar der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg auf diese Linie ein. Fühlen Sie sich bestätigt?

Ich habe Ministerpräsident Horst Seehofer einen Brief geschrieben und einen Antrag gestellt beim Bezirksparteitag, den Kommunen die Wahlfreiheit zu geben, ob sie Bargeld oder Sachleistungen bevorzugen. Der Antrag wurde einstimmig angenommen und ich gehe davon aus, dass auch der Landesparteitag das so mit riesengroßer Mehrheit beschließen wird. Bargeld schafft falsche Anreize. Das ist meine Überzeugung.

Sind Sie der Meinung, dass die Flüchtlinge uns helfen können?

Selbstverständlich können sie das. Aber das darf nicht bedeuten, dass jeder, der uns helfen kann, auch kommen sollte.

Sie sprachen von einer billigen Ausrede, um an billige Arbeitskräfte zu kommen.

Natürlich ist das so. Wenn die Großindustrie, nicht Handwerksbetriebe wie bei uns, ständig davon redet, dass Fachkräftemangel herrscht, dann kann mir doch keiner erzählen, dass die Flüchtlinge dieses Potenzial sind, um diese Lücke zu schließen.

Warum nicht?

Ja, sind das lauter Fachkräfte, die zu uns kommen? Das ist querbeet ein Bevölkerungsdurchschnitt.

Die meisten sind sehr lernwillig.

Das sollen und dürfen sie auch sein. Nach drei Monaten dürfen sie arbeiten. Wie werden sie denn beschäftigt? In erster Linie als Ein-Euro-Jobber. Die großen Firmen sagen, wir haben momentan Fachkräftemangel. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, gibt es bereits jetzt Möglichkeiten der Zuwanderung. Die Unternehmen bitten dann: Also, liebe Allgemeinheit, jetzt bildet die mal schnellstens aus, damit sie uns zur Verfügung stehen. Aber wir können natürlich nicht den vollen Preis bezahlen. Bis die angelernt sind, dauert das natürlich seine Zeit. Ich garantiere Ihnen, von denen bekommt keiner einen Tariflohn, der unseren Erwartungen entspricht.

Was halten Sie denn von den Forderungen, die Zugänge zur Ausbildung müssten vereinfacht werden?

Natürlich ist das richtig. Aber es ist heuchlerisch.

Was kann der Landkreis Erding an Flüchtlingen verkraften?

Ich weiß es nicht. Ich bin als Leiter einer Unteren Staatsbehörde gefragt, das zu tun, was notwendig ist und das werden wir tun. Da werde ich mich nicht verweigern. Ich war einer der ersten Freiwilligen, der der Regierung von Oberbayern im Bereich der Notunterkünfte seine Hilfe angeboten hat. Innerhalb von zehn Tagen haben wir das mit der Berufsschulturnhalle hinbekommen und da bin ich richtig stolz darauf. Das, was wir unterzubringen haben, das müssen wir stemmen, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Wie war denn die Reaktion bei der Bürgermeisterdienstbesprechung? Waren die Kollegen schockiert? Oder hatten sie nur ein schlechtes Gewissen? Die Quote gab es ja inoffiziell schon immer.

Manche finden gute Erklärungen, das hilft ihnen aber auch nicht weiter. Wir machen ja auch niemandem einen Vorwurf. Es ist die Feststellung: Diese Gemeinde hat noch keine Flüchtlinge aufgenommen. Es gibt aber auch Aussagen, eine syrische Familie hätten wir ja genommen, aber die haben wir nicht bekommen. Diese Familie können sie sofort haben, wir haben sicher einige Fehlbeleger.

Die Fehlbeleger, also anerkannte Flüchtlinge, werden angerechnet? Das haben wir aber schon anders gehört.

Die Fehlbeleger rechne ich natürlich dazu. Sonst wäre das ja unanständig den Gemeinden gegenüber, die bisher sehr viele untergebracht haben. Denen kann ich nicht sagen, Gemeinde, du bist zuständig für Obdachlosigkeit, jetzt sind das deine Flüchtlinge, schau zu, wo du sie unterbringst. Wie soll der Bürgermeister das seinem Gemeinderat erklären, wenn es andererseits Gemeinden gibt, die noch gar keine Flüchtlinge aufgenommen haben? Und wo sollen denn die Fehlbeleger auch hin? Die kriegen auf dem freien Markt doch keinen Wohnraum zu bezahlbaren Preisen. Es gibt in dem Preissegment ja nahezu nichts und Asylbewerber haben es in diesem Bereich noch deutlich schwerer.

Dem Landratsamt wird immer wieder der Vorwurf der mangelnden Flexibilität gemacht, etwa wenn es um die Bezahlung von Fahrkarten geht.

Wir haben am Landratsamt maximale Flexibilität, so weit das vonseiten des Gesetzes auch nur einigermaßen gedeckt ist. Man müsste ganz konkrete Fälle nennen, wo was nicht bezahlt wird. Da bin ich um jeden Fall dankbar, weil ich mir sicher bin, dass wir das sehr schnell regeln können. Ich will nicht sagen, dass wirklich alles einhundertprozentig funktioniert. Das werden wir nicht erleben. Aber die Hilfsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist auch im Landratsamt sehr groß.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: