Erding:Unter Opas Postern

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Einmal pro Woche besucht Vitus Eicher seinen Opa in Erding - "um ein bissl runterzukommen." (Foto: Christina Pahnke)

Der Erdinger Vitus Eicher ist die Nummer eins im Tor des TSV 1860 München, dem Lieblingsverein seiner Familie

Von Sebastian Fischer, Erding

Vitus Eicher möchte das am liebsten nicht verraten, er lacht ins Telefon in Bad Häring, wo sich der Torhüter gerade mit den Fußballern des TSV 1860 München auf die kommende Saison in der zweiten Fußball-Bundesliga vorbereitet. Man kann sich vorstellen, wie Eicher errötet, er sagt: "Kein Kommentar." Aber sein Großvater Josef verrät es dann doch. Ja: In seinem Wohnzimmer in Erding hängen fünf Poster von seinem Enkel.

Die Stadt Erding hat wieder einen Bundesligaprofi, und dass er Vitus Eicher heißt, ist eine besondere Geschichte. Philipp Bönig, 35, hat für den VfL Bochum und den MSV Duisburg gespielt und ist in diesem Sommer aus Budapest zu seiner Familie nach Altenerding zurückgekehrt, noch sucht er einen Verein. Stefan Lex, 25, in der vergangenen Saison mit dem FC Ingolstadt in die Bundesliga aufgestiegen, betont gern, dass er kein Erdinger, sondern ein Eittinger ist. Eicher, 24, ist in Erding zu Hause. Seine Geschichte ist außergewöhnlich, weil sie voller Fußballromantik ist: Sie erzählt den Weg eines Fans ins Tor des Lieblingsklubs seiner Familie. Sie ist auch besonders, weil ihr Held sie am liebsten ganz zurückhaltend erzählt, ohne sich selbst zu wichtig zunehmen. Was in einem Geschäft, das nach großen Effekten hascht, eine Ausnahme ist.

"Wir wollen den Ball flach halten", sagt sein Vater Manfred. Er war selbst früher Torwart beim FC Langengeisling, hat seinen Sohn irgendwann mitgenommen zum Platz Am Weiher und ihn trainiert, drei Jahre lang, bis zur E-Jugend. Als Vitus Eicher zehn Jahre alt war, ein Jugendtrainer des TSV 1860 ihn sah, wie er sprang und Bälle fing, da begann ein Familienprojekt. Über seine Gefühle während der letzten Saison, der Relegation gegen Holstein Kiel, dem Bangen um den Klassenerhalt, den Sieg in letzter Sekunde, sagt Eicher: "Die Familie leidet mehr als der Spieler." Die Familie hat dann mit ihm gejubelt nach dem Schlusspfiff. Er war ja auch wegen ihr hier.

Der Weg zwischen Erding und München kann lang sein, wenn man ihn als Kind jeden Tag zurücklegen muss. Sechs Uhr aus dem Haus, neun Uhr zurück. Alle haben ihn mal gefahren, besonders oft der Opa. Josef Eicher ist seit sechzig Jahren Sechziger, er schaut jedes Heimspiel, kommt zum Training. Die Zeit für Löwenfans ist ja gerade nicht leicht, es geht mehr um Vorstandsfehden als um Fußball, doch für Josef Eicher war sie wohl noch nie so schön. "Ich bin stolz", sagt er, wenn die Menschen beim Bäcker ihn auf seinen Enkel ansprechen.

Vitus Eicher hatte es bei Sechzig lange nicht leicht, kämpfte gegen starke Konkurrenz, spielte nur in der Regionalliga. Zu Beginn der letzten Saison saß er mit Mitspielern in einem Taxi und lästerte über den Verein. Der Taxifahrer verriet es dem Klub, der Torwart wurde vorübergehend suspendiert. "Das war die unangenehmste Phase meiner Karriere, jeden Tag wegen so etwas in der Zeitung zu stehen", sagt er. Doch er lernte draus, sein Vater sagt: "Zuletzt hat er sich enorm weiterentwickelt." Nun werden andere Geschichten über ihn geschrieben, von Eicher, der Nummer eins, mit der sich die Fans identifizieren können.

Die Nummer eins bleibt dabei ganz der alte Vitus. Nach Erding fährt er regelmäßig, "um ein bissl runterzukommen". Das Hinspiel des FC Langengeisling in der Kreisligarelegation hat er angeschaut und sich geärgert, dass er zum Rückspiel, zur Aufstiegsfeier, im Urlaub war. Zuletzt traf er seine Freunde beim Altstadtfest und sprach über alles außer Fußball. "Einmal die Woche kommt er her", sagt sein Opa. Dann sitzt Vitus Eicher auf dem Sofa und ist zufrieden. Die Poster hinter ihm, die sind ihm egal.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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