Erding:"Es ist eben weit verbreitet"

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Erlauben oder nicht? Der Konsum von Cannabis beschäftigt auch die Erdinger Richter und Polizisten. Zu der derzeit laufenden Debatte haben sie eine klare Meinung

Von Mathias Weber, Erding

So muss es nicht losgehen, so kann es aber losgehen: Ein junger Mann, 27 Jahre alt, steht in Erding vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, mehre Cannabispflanzen auf seinem Balkon angepflanzt zu haben. Er kifft, seit er 15 ist: Nachdem er seine Ausbildung abgeschlossen hatte, sein Arbeitsvertrag dann aber nicht verlängert wurde, bekam er Depressionen. Er nahm Medikamente, kiffte aber daneben auch, täglich, ungefähr ein Gramm. Weil er Schlafstörungen habe, wenn er nicht rauche, sagte er vor Gericht. Und dann setzte er vor einigen Monaten das Rauchen eine Woche aus - und es habe ihm nicht gut getan. Als ihm dann Hartz IV gestrichen wurde, ging er ins Jobcenter, nahm ein Messer mit und bedrohte dort Mitarbeiter. Ein Schock - passiert ist damals zum Glück nichts.

Nur ein Einzelfall? Oder Symptom einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr dem Cannabis-Konsum hingibt? Denn Schätzungen zufolge konsumieren zwei bis vier Millionen Deutsche regelmäßig Cannabis. Auch in Erding: Thomas Pölsterl leitet die Erdinger Suchtberatungsstelle Prop und behandelt auch immer wieder Menschen mit Cannabis-Problematik; im vergangenen Jahr waren es mehr als 95 Personen, die Hälfte von ihnen war unter 21. Er hat einen Überblick über den Konsum im Landkreis und glaubt, dass hier nicht mehr und nicht weniger gekifft wird wie auch anderswo - "es ist eben weit verbreitet." Vielleicht sogar im ländlichen Raum noch mehr als in der Stadt, glaubt Prop-Chef Pölsterl: "Weil es dort weniger Abwechslung gibt, und man Cannabis dort genauso leicht bekommt wie überall." Cannabis habe eben kein schlechtes Image, gerade bei jungen Menschen, und er sagt auch, dass viele Konsumenten sehr verantwortungsbewusst mit der Droge umgehen.

"Aber das juristische Risiko unterschätzen viele", sagt Pölsterl. Zwar ist der Konsum von Cannabis nicht verboten, der Besitz aber schon. Vielen Menschen ist klar, dass Cannabis eine Droge wie jede andere ist und abhängig machen kann, und doch irgendwie harmlos wirkt. Gerade beherrscht die Debatte das Land, ob es mittlerweile nicht eine Legalisierung von Cannabis geben sollte: Um Millionen Menschen aus einem rechtlichen Graubereich heraus zu holen, um Steuereinnahmen zu generieren, um Polizei und Gerichte zu entlasten.

Denn die haben einiges zu tun mit der Droge, auch im Landkreis Erding: Regelmäßig greifen Streifenbeamte Konsumenten auf, die einige wenige Gramm in der Jackentasche haben. Strafbar machen auch sie sich schon, aber bei so genannten "geringen Mengen", sagt Josef Vogl von der Erdinger Kriminalpolizei, würden die Strafverfahren - gerade bei Ersttätern - in der Regel gegen ein Bußgeld eingestellt.

Vogl leitet das Kommissariat 4 bei der Erdinger Kripo, das sich mit Rauschmitteldelikten befasst. Die richtig schweren Fälle - also zumeist Cannabis-Handel, -Schmuggel und -Herstellung - kommen dann zu ihm. Von mehr als 1000 Ermittlungsverfahren im vergangenen Jahr, sagt Vogl, seien rund 60 Prozent Cannabis-Fälle gewesen. Und die Dunkelziffer sei wohl noch viel höher: "Auf eine Straftat, bei der die Polizei ermittelt, kommen zehn unbekannte Fälle", schätzt er.

Auch dem Erdinger Amtsgericht machen die Drogen viel Arbeit. Gefühlt, sagt Richter Stefan Priller, machten die Cannabis-Fälle zehn Prozent aller seiner Betäubungsmittelverfahren aus. "In der Regel ist es so, dass es sich um Kleinkriminalität handelt", sagt er, "Leute, die ein bisschen was weiter verkaufen." Hauptsächlich sind das dann Menschen bis 30, Heranwachsende, "aber es gibt schon auch mal den Kiffer-Opa", sagt er lachend. Und leider seien auch viele dabei, die immer wieder auffällig werden, die selbst konsumieren und süchtig sind.

In einer Sache sind sich Richter Priller und Kriminalpolizist Vogl einig: Eine Legalisierung von Cannabis lehnen sie ab. Vogl hält schon das Argument, dass durch eine Legalisierung die Behörden entlastet würden, für hanebüchen: Strafverfolgung dürfe man nicht daran messen, ob es viel Arbeit macht - Gesetze müssten durchgesetzt, Verbrechen verfolgt werden, und handle es sich auch nur um Bagatelldelikte. Vogl und Priller sprechen aber auch aus Erfahrung. Beide haben während ihres Berufslebens zu oft gesehen, welche Folgen Cannabis-Konsum haben kann. Priller zum Beispiel ist auch Leiter der Strafvollstreckungskammer und zuständig für Frauen, die im Maßregelvollzug sind; Frauen, die schwere Straftaten zu verantworten haben und therapiert werden. "Wenn ich mir diese Biografien ansehe", sagt er, "dann haben diese Frauen immer mit Cannabis angefangen. Und dann ging's weiter mit härteren Sachen." Kriminalpolizist Vogl sieht das ähnlich: "Wenn man Cannabis frei gäbe, dann würden viel mehr ausprobieren und auch hängen bleiben." Strafrichter Priller sagt eindringlich: "Meine ganz individuelle Sicht der Dinge bringt mich dazu zu sagen: lieber nicht legalisieren."

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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