Erding:Die verbindende Kraft der Sprache

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Masoud Mohamad, Jahrgang 1989, ist in al-Malkia nahe der syrisch-türkischen Grenze aufgewachsen. (Foto: Peter Bauersachs)

Masoud Mohamad hat an der Volkshochschule Deutsch gelernt und gibt nun selbst Arabischkurse

Von Jan-Hendrik Maier, Erding

"Ich bin stolz wie Oskar auf diese jungen und zielstrebigen Erwachsenen", sagt Eleni Lehner, Leiterin des Programmbereichs "Sprache, Integration, Kinder-Uni" der Volkshochschule Erding (VHS). Nach nur sieben Monaten hatten im Juli des vergangenen Jahres 16 Flüchtlinge das von Arbeitgebern geforderte Deutschniveau B1 erreicht, drei weitere Niveau A2. Für Lehner eine "echte Überraschung", da unter den Kursteilnehmern sowohl Hochschulabsolventen als auch Menschen waren, die in ihrem Heimatland nur wenige Jahre zur Schule gegangen sind. "Die Gruppe hat ein Paradigma gesetzt", sagt Lehner. Ayman Alfanad Alokab (siehe Interview) und Masoud Mohamad seien zwei "beispielhafte Erfolgsgeschichten". Alokab arbeitet mittlerweile als Vermessungstechniker - und Mohamad gibt Arabischkurse an der VHS Erding.

Rückblick, Damaskus im März 2011: Masoud Mohamad demonstrierte mit Kommilitonen friedlich gegen Präsident Baschar al-Assad: "Wir wollten in Freiheit leben und dem Regime zeigen: Genug! Nicht weiter!" Kurze Zeit später wurde er verhaftet, nach drei Wochen wieder freigelassen. Als im Herbst 2011 die ersten Bomben auf die syrische Hauptstadt fielen, sammelten er und seine Freunde Antibiotika und Babymilch, die sie in kleinen Mengen heimlich an Frauen und Kinder verteilten. Doch die Gefahr, entdeckt zu werden, wurde immer größer. Nach etwa acht Monaten erreichte ihn ein Anruf, dass zwei seiner Freunde verhaftet worden waren. "Mir war sofort klar, ich muss weg. Ich hatte keine Gelegenheit, mich von Vater und Mutter zu verabschieden." Am selben Tag flüchteten seine Eltern und seine sechs Geschwister zu Verwandten in den Nordosten des Landes. 72 Stunden später rief sein Vater ihn an und teilte ihm mit: "Es wird jemand zu dir kommen. Du machst, was dieser Mensch sagt!" Mehr Informationen bekam er nicht. Auf die Flucht angesprochen, wird der heute 26-Jährige still. "Natürlich leidet man ohne Ende. Aber ich bin doch nur eine von zwölf Millionen Geschichten. Jede Frau, jedes Kind hat eine andere."

Am 27. Juni 2013 erreichte Masoud Mohamad die Münchner Bayernkaserne. Nach der Erstaufnahme lebte er von Oktober 2013 an mit weiteren syrischen Asylbewerbern in alten Klassenzimmer-Containern hinter dem Korbinian-Aigner-Gymnasium. "In dieser Zeit hatte ich nach außen nur Kontakt zu den deutschen Behörden. Das war schlimm." Die Situation änderte sich im Januar 2014 mit dem Umzug nach Isen. Die täglichen Besuche von Ehrenamtlichen des Isener Helferkreises für Flüchtlinge gaben ihm neuen Mut und Zuversicht. "Sie sind wie eine zweite Familie und haben gemacht, was sie nur konnten. Als ich nach Isen kam, begann ich mich in Deutschland wohlzufühlen." Vor allem die Teilnahme am Deutschkurs an der VHS Erding war für ihn ein wichtiger Schritt in Richtung Selbstbestimmung: "Ohne Sprache bist du blind. Ich wollte jede Chance nutzen, um mit den Menschen deutsch zu sprechen."

Masoud Mohamad lernte so gut Deutsch, dass Eleni Lehner ihm anbot, im Herbst an der VHS einen Arabischkurs für Anfänger zu geben. "Ich war mir erst nicht sicher, ob ich das könnte, aber weil mir Frau Lehner vertraute, habe ich es gemacht." Sein Arabischkurs war voll belegt, seit Februar läuft die zweite Stufe. "Ein paar Teilnehmer haben nach meiner Geschichte gefragt. Wir sind wie eine Familie. Sie haben Verständnis für die Situation in Syrien und viel Sympathie für uns."

Auch Masoud Mohamad hat nicht aufgehört zu lernen. Derzeit wartet er auf das Ergebnis des Tests Deutsch als Fremdsprache, die Voraussetzung für ein Studium. Er möchte später als Dolmetscher für Englisch, Arabisch und Deutsch seine zweite Heimat mit Syrien verbinden. Von 2006 bis 2012 hat er bereits in Syrien Englische Literaturwissenschaften studiert. Zunächst vier Semester in der von Aleviten und Christen geprägten Hafenstadt Latakia. "An der Uni fühlten wir uns als eine Gruppe - ohne Rücksicht auf die Religion oder Konfession. Wir feierten und spielten gemeinsam Fußball." 2008 wechselte er nach Damaskus, wo er nebenbei mit seinem Bruder ein Geschäft für Damenkleidung führte. Als sprachbegeisterter Student schrieb er damals alle paar Tage einen Essay auf Arabisch. Inzwischen sind es noch zwei oder drei im Jahr. Wegen der ungewissen Situation seiner Eltern kann er kaum einen klaren Gedanken fassen. "Die Angst, es könnte etwas passieren, ist belastend. Haben sie genug zu essen? Wie geht es für sie weiter? Noch kommen sie dort aus, aber es gibt nirgendwo wirkliche Sicherheit." Seine fünf Schwestern haben im Irak Zuflucht gefunden. Etwa einmal im Monat, wenn das Mobilfunknetz steht, telefonieren sie. Auf sein Heimatland blickt er mit gemischten Gefühlen. Er will keine Nachrichten mehr über den Bürgerkrieg hören. Die Lage macht ihn traurig. "Wie konnte das nur passieren? Da sind meine Freunde. Einige mussten fliehen oder wurden getötet, von anderen habe ich keine Nachricht."

Der Aufbruch nach Deutschland war für Masoud Mohamad die einzige Chance, Gefangenschaft und Tod zu entkommen. Einen Kulturschock hat er nicht erlitten: "Die Unterschiede sind nicht so groß. Ich bin in einer toleranten Religion, Kultur und Tradition aufgewachsen, in der es nicht wichtig ist, ob du in die Moschee gehst oder den Ramadan hältst." Integration bedeutet für ihn, die Traditionen der "neuen" Gesellschaft anzunehmen, aber auch die eigenen zu bewahren. Eine Rückkehr in die arabische Welt schließt er nicht aus: "Ich will in Freiheit leben und mich weiterbilden, um in Zukunft Syrien zu unterstützten. Wir alle, die gegangen sind, können unser Land eines Tages wieder aufbauen." Hat er einen Ratschlag für Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen? "Lernt so früh wie möglich Deutsch. Ohne die Sprache habt ihr keine Kontakte und kein normales Leben."

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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