Erding:Den Tod im Gepäck

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Beim Archäologischen Sommer-Symposium in Erding stellen Forscher vor, was sie "eine Sensation" nennen: Sie beweisen, dass im sechsten Jahrhundert Menschen in Altenerding an der Pest erkrankten. Der weltweit zweite Nachweis seiner Art erlaubt weitreichende Schlüsse

Von Sebastian Fischer, Erding

Wie die Ratte so dort sitzt, sieht sie beinahe friedlich aus. Sie lugt hinüber zu den Gebeinen, die dort in Schutt und Asche liegen, als wäre sie unschuldig. Dabei ist die Ratte für den Tod der beiden Menschen verantwortlich. Dabei hat sie - vor rund 1500 Jahren - die Pest nach Erding getragen.

Natürlich ist die Ratte in der Vitrine im Museum Erding nicht das Original, sie ist ein ausgestopftes Abbild jenes Nagetiers, das einst mit infizierten Flöhen in seinem Fell die Menschen in Altenerding mit dem tödlichen Bakterium Yersinia pestis ansteckte. Doch die Skelette daneben - ein Mann, eine Frau - sind Originale aus dem Reihengräberfeld in Altenerding. Und dass in den Knochen und Zähnen nun die DNA des Bakteriums gefunden wurde und damit die Existenz der Beulenpest im Altenerding des sechsten Jahrhunderts bewiesen ist, sagt Professor Bernd Päffgen, Triumph klingt in seiner Stimme: "Das ist in dieser Klarheit eine Sensation."

Päffgen, der an der Universität München Vor- und Frühgeschichte erforscht und das Projekt "Erding im ersten Jahrtausend" leitet, hat schon am Montag bei der Eröffnung der Sonderausstellung 50 Jahre nach der Entdeckung des Reihengräberfelds davon berichtet, er wird das am Freitag wieder tun, beim Archäologischen Sommer-Symposium im Stadtmuseum. Dann stellt auch Andreas Rott seine Doktorarbeit vor: Der Biologe hat die Mehrfachgräber in Altenerding untersucht und mithilfe moderner Laboruntersuchungen den Befund der Justinianischen Pest nachgewiesen - einen von weltweit nur zwei.

Die Justinianische Pest war die erste Pestpandemie, die weite Teile Europas betraf, sie brach zur Zeit des oströmischen Kaisers Justinian in den Jahren 541 bis 544 aus. Ihre Verbreitung zwischen Nord- und Nordwesteuropa, dem Mittelmeerraum und Asien war in der Geschichtsschreibung bekannt. Dass es sich um die heute bekannte Beulenpest handelte und sie auch die Bajuwaren betraf, war mangels schriftlicher Belege lange nur vermutet worden und umstritten. Doch dann identifizierten Forscher aus München, Mainz und Arizona den Erreger in einem Gräberfeld in Aschheim und publizierten 2013 Untersuchungen, die als eindeutig gelten.

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(Foto: Renate Schmidt)

Vier charakteristische Gräber sind Teil der Sonderausstellung "50 Jahre Entdeckung und Erforschung des Reihengräberfelds von Altenerding".

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(Foto: Renate Schmidt)

Professor Bernd Päffgen gerät ins Schwärmen, wenn er von den Ergebnissen der Untersuchungen spricht.

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(Foto: Renate Schmidt)

Zu sehen sind außerdem Grabbeigaben...

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(Foto: Renate Schmidt)

...und Doppelgräber mit Pestnachweis.

Die Geschichte der Justinianischen Pest, die historischen Quellen zufolge 541 in Ägypten auftrat, beginnt mit der chinesischen Wanderratte - so erklärt es Päffgen. Sie nistete sich in Karren ein, auf denen Textilien und andere Handelswaren bis Konstantinopel transportiert wurden. Von dort fuhren Handelsschiffe nach Grado im heutigen Italien, von wo die Händler daraufhin über einen Pass in den Alpen bis nach Bayern gelangten. "Es muss irgendwo einen Markt gegeben haben, wo Händler die Ware feilgeboten haben", sagt Päffgen. Dann lacht er ob der dramatischen Wendung: "Sie hatten die Pest im Koffer."

Es lebten wohl damals ein paar hundert Menschen in Altenerding, darunter auch der Mann, 1,75 Meter groß, und die 1,60 Meter große Frau, beide etwa 20 Jahre alt, die nun im Erdinger Museum liegen. Sie waren verliebt und schlenderten zum Markt, so kann man sich das vorstellen. Und ihnen gefiel, was sie sahen: Ein Collier mit Perlenketten aus dem Mittelmeerraum, Scheibenfibeln, eine Almandine aus Sri Lanka, heidnische Amulette. All das trug die Frau bei ihrer Bestattung. "Sie hat die Dinge sicher gekauft", sagt Päffgen. Korrosionsprodukte weisen zudem daraufhin, dass sie drei verschiedene Gewänder trug.

Aus den Grabbeigaben leitet Päffgen die Handelswege ab. Deren Nachweis, der auf eine weit entwickelte Infrastruktur zwischen Bayern und Konstantinopel schließen lässt, bringt den Archäologen ins Schwärmen: "Die Welt", sagt er, "war viel vernetzter, als es in den Schulbüchern steht." Die Verbindung über die Alpen sei ein Beleg für die Schriftquellen, die besagen, dass die bajuwarischen Gebiete einst zum Ostgotenreich gehörten. Als Unterpfand wurden sie an Franken übergeben.

Wie stark Altenerding im sechsten Jahrhundert von der Pest heimgesucht wurde, können Rott und Päffgen nur vermuten. Rott hat sechs Doppelbestattungen von insgesamt neun untersucht, die in den Zeitrahmen der Justinianischen Pest fallen, außerdem vier weitere außerhalb des Zeitrahmens. Zwar konnten nur in einem Grab die Erreger nachgewiesen werden, doch das könnte auch am Verfall der Skelette liegen. Die höhere Anzahl an Mehrfachbestattungen im relevanten Zeitraum, sagt Rott, "ist ein Hinweis darauf, dass die Menschen nicht an Altersschwäche gestorben sind." Gräber mit mehr als zwei Skeletten wie in Aschheim gibt es in Altenerding jedoch nicht. "Die Epidemie könnte nicht ganz so stark gewesen sein", sagt Rott. Gerade untersucht er, ob die bestatteten Individuen miteinander verwandt waren. "Es sieht so aus, als ob das eher auszuschließen ist", sagt er - was wiederum den Schluss nahelegt, dass alle gemeinsam bestatteten Personen mit dem Erreger infiziert waren.

Dass sich die Pest ausbreitete, dafür spricht laut Päffgen auch der naive Umgang der Altenerdinger mit der Seuche. "Die Leute waren mit der Pest überfordert", sagt er. Sie wuschen die Opfer, unwissend, dass die Beulenpest in die Lunge streuen und mittels Tröpfcheninfektion übertragen werden kann.

Andreas Rott hat sein Labor während der Arbeit nur mit spezieller Schutzkleidung betreten, die Bilder davon hängen auch in der Erdinger Sonderausstellung. Er musste sich dabei nicht vor der Pest schützen, sondern die Pest vor ihm. Denn nur einmal hätte er niesen müssen - und niemand hätte jemals die Geschichte von der Ratte erzählen können, die nach Erding kam, und die Pest mitbrachte.

© SZ vom 10.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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