Erding:Das Böse im Blick

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Zwei Krimis, die in Hitlers Berlin spielen, hat der Walpertskirchener Autor Harald Gilbers bereits veröffentlicht - mit weltweitem Erfolg. Ein Besuch in seiner bescheidenen Wohnung

Von Tahir Chaudry

In einer viel zu engen Dachgeschosswohnung, die mehr den Anschein einer Videothek und Bücherei als eines Lebensraumes erweckt, lebt und schreibt der Schriftsteller Harald Gilbers. Es ist überraschend aufgeräumt in der Wohnung eines Mannes, dessen Kopf fieberhaft arbeitet, während er für seine Recherchen unzählige Primärquellen, Tagebücher, alte Zeitschriften und Geschichtsbücher wälzt, ein jedes öffnet, durchblättert, liest oder überfliegt und stapelt. Doch Gilbers ist so ordentlich und akkurat, aber in seinem Element doch irgendwie unbändig und kraftvoll. Wie seine Romane.

In dem eher verschlafen daherkommenden Walpertskirchen lebt der 47-jährige Gilbers, den seine Arbeit als Theaterregisseur in München hierher verschlagen hatte. Die Kriminalromane des vom Niederrhein stammenden Autors werden heute in mehr als sechs Sprachen gelesen. Rezensenten feiern seine bisherigen Bücher "Germania" (2013) und "Odins Söhne" (2015) als authentisch, fesselnd und scharfsinnig. Kurz gesagt geht es in seinen Werken um die Ermittlungen eines äußerst erfolgreichen, von der Gestapo reaktivierten jüdischen Kommissars im Bombenhagel am Endes des Zweiten Weltkrieges. Die Dichte der atmosphärischen Bilder und die damit verbundene sinnliche Erlebbarkeit des Geschehens lassen nur erahnen, wie anspruchsvoll und aufreibend die Schaffensphase für Gilbers gewesen sein muss.

Dabei ist das Schreiben für Gilbers kein freizeitlicher Genuss, der in Schlappen, grüner Cargohose und schwarzem T-Shirt dasitzt. "Ich hasse es zu schreiben und bin froh, wenn ich es nicht tun muss", gesteht er. Gleichwohl liebt er das Spiel mit dem Leser: "Der Moment, wenn man glaubt, mir auf die Schliche gekommen zu sein, spiele ich mit Klischees, täusche an, durchbreche Muster und sorge für eine Überraschung". Dennoch geht es ihm beim Schreiben nicht nur um Spaß, sondern auch um seinen Lebensunterhalt. Um permanent "flüssig" zu bleiben, muss er nämlich einen Nebenjob machen. Seit Jahren schreibt er bei einem Börsenbrief mit, der sich auf aufstrebende Märkte und Schwellenländer spezialisiert hat. "Die Leute glauben, dass man als Buchautor ganz viel Kohle verdient. Dem ist nicht so", sagt er. Man bekomme die Lizenzen nur zwei Mal im Jahr bezahlt und sechs Monate können "eine verdammt lange Zeit" sein.

Soldaten des nationalsozialistischen Regimes durchschreiten 1940 das Brandenburger Tor. Wenige Jahre später liegt Berlin in Trümmern. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Und dennoch: Gilbers liebt Hilde und Oppenheimer, seine Protagonisten, und will am liebsten immer weiter machen. "Die beiden Charaktere sind in meinem Kopf so klar definiert und lebendig, dass ich sie einfach nur auf meine gedankliche Bühne stelle und ihre Darbietung mit notiere", sagt er. Gleichzeitig füttern die tiefgehenden Recherchen seine unbändige Neugier. Ein Schreibfluss sei bei seinem Stoff schlichtweg unmöglich, da auf jeder zweiten Seite die historischen Umstände geprüft werden müssten. Auf der Suche nach optischen Eindrücken hat Gilbers eine besondere Beziehung zu Berlin aufgebaut. Dass es ihm gelingt, das Ambiente so authentisch darzustellen, liegt daran, dass er die Schauplätze besucht und die Feinheiten in der Stimmung und Atmosphäre akribisch nachzeichnet.

Warum er gerade den Zweiten Weltkrieg als Rahmen für seinen Krimi wählte, liegt an den Bildern, die lange Zeit in seinem Kopf schwirrten, nachdem er Filme und Bücher über das Dritte Reich gesehen und gelesen hat. Doch ihn interessierten nicht so sehr die Zahlen und Fakten, sondern die privaten Geschichten, etwa die Frage, wie es wohl ist, ein Leben zu führen, während die Stadt bombardiert wird. In der Schule empfand er das Thema als totlangweilig, weil dort "nur der Ablauf der Geschehnisse heruntergerasselt" wurde. Gilbers selbst hätte sicher den idealen Lehrer abgegeben; nicht die Schlaftablette von Lehrer, sondern derjenige, der mit seiner Faszination ansteckt, der Inhalte lebendig und verständlich vermittelt, mit seiner etwas dünnen und rauchigen Stimme im Ohr bleibt und reihenweise Hobbyhistoriker produziert.

Derzeit stellt er seinen dritten Krimi fertig. "Es stört sogar, wenn ein Auto draußen vorbeifährt, wenn jemand unten Musik hört, alles stört", sagt er über seine Arbeit. Für ein halbes Jahr lebt er "in einer Blase", am liebsten fernab aller Zivilisation. Die romantische Vorstellung eines Schrifstellerdaseins hat in der Realität einen Nachteil: "Es ist sehr, sehr einsam. Den sozialen Kontakten tut es nicht gut, weil man nicht abschalten kann und ständig fokussiert ist, weil man an Problemlösungen und an den Aufbau der nächsten Szene arbeitet", sagt Gilbers. An der Rohfassung schreibt er am Stück seit sechs Monaten in der Isolation - man merkt es ihm an. Bevor Gilbers auf Fragen antwortet, führt er seine Handflächen langsam zusammen, gönnt sich eine kurze Pause, atmet tief ein, sein Blick ist plötzlich angestrengt. Erst dann folgt die Antwort - eindeutig reflektiert und ausführlich.

Vierzehn Jahre lang habe er sich bereitwillig selbst ausgebeutet, "mit Theaterregie kann man nur schwer Geld verdienen", erklärt er. Neben und noch lange nach seinem Studium hatten Gilbers die Ratlosigkeit und die Frage geplagt: was tun mit einem Studium der Anglistik und Geschichte? Und dann, eines Tages, beim Kofferschleppen am Flughafen, wo er nebenher jobben musste, kam Gilbers eine zündende Idee. Was anfänglich als Drehbuch für ein Theaterstück gedacht war, sollte nun ein richtiger Kriminalroman werden, da sich nämlich herausgestellt hatte, dass "kein Produzent bei halbwegs normalem Verstand" sein Vorhaben finanzieren würde.

Gilbers hatte bereits ein ganzes Jahr mit der aufwendigen Recherche für "Germania" verbracht. Über ein weiteres Jahr hatte er gebraucht, um ihn aufzuschreiben. Jetzt suchte er nach Literaturagenturen und schickte ihnen sein fertiges Manuskript. "Innerhalb von zwei Wochen war ich überraschenderweise unter Vertrag und dachte: jetzt geht's los. Aber Fehlanzeige". Drei Jahre lang vegetiert sein Roman ungelesen auf den Schreibtischen der Verlage vor sich hin. Sie hätten Berührungsängste mit der thematischen Konstellation von Nationalsozialismus und Krimi gehabt, glaubt er. "Während ich mir vornahm, einen weiteren Roman zu schreiben, wechselte meine Agentin zu einem größeren Arbeitgeber und nahm mich als Klienten mit", erinnert sich Gilbers. Kurze Zeit später liegt sein im Verlag Droemer und Knauer erschienener erster Kriminalroman in den Buchhandlungen - mit einer Auflage von 15 000 Exemplaren.

Man könnte diese Einstellung, "es nicht zu sehr zu wollen", als sein persönliches Erfolgsgeheimnis betrachten. Harald Gilbers hat immer einen Film drehen wollen, es aber nie geschafft. Hingegen ein Buch zu schreiben, das habe er nie gewollt, das aber habe geklappt. Zwar sei der Drang, inhaltsreiche Geschichten zu erzählen, da gewesen, aber nie der weithin verbreitete Wunsch, Schriftsteller zu werden. "Mit wenig finanziellem Aufwand eine abendfüllende Geschichte mit langen Erzählstrukturen darstellen, genau deshalb habe ich Theater gemacht." Aber auch da habe es Grenzen gegeben. Daher seien Romane das beste Medium für seinen komplexen Stoff. Mit Erfolg. "Germania" ist mittlerweile in der fünften Auflage erschienen und Gilbers' Romane sind besonders in Frankreich und Japan begehrt. "Ich schreibe zwar noch am dritten Band, aber habe schon weitere Exposés abgegeben - der vierte und fünfte Band wird kommen", kündigt Gilbers an.

Im vierten Roman will sich Gilbers mit den Flüchtlingsproblemen von 1946/47 beschäftigen, die viele Parallelen zu den heutigen Reaktionen der Bevölkerung auf die Geflüchteten aus Syrien und Irak aufweisen. Gilbers sieht noch mehr Ähnlichkeiten zur aktuellen Situation und steht vor dem Rätsel, wie Menschen in die Fänge von Geisteskranken geraten können und befürchtet künftig eine zunehmende Radikalisierung. In Zeiten der großen Koalition könne die "Dagegen-Bewegung" von AfD und Pegida die einzige Alternative für viele Menschen darstellen und somit an Bedeutung gewinnen. Gilbers sagt: "Wie denkende Menschen dieser widersinnigen Rassentheorie anhängen können, ist für mich nicht nachvollziehbar." Der spannendste Denkansatz für ihn, der von zeitloser Gültigkeit ist, ist der Vergleich zwischen einem Serienkiller und dem staatlichen Töten: "Bei mir wird ein Amateur gejagt, während die wirklichen Bösewichte an den Schalthebeln der Macht bleiben".

© SZ vom 25.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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