Erding:Antreten zum Einkleiden

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In allen umliegenden Landkreisen gibt es für Asylbewerber Gutscheine oder Bargeld, mit denen sie in Textil- oder Schuhgeschäften einkaufen können. Nur in Erding setzt man auf eine sonderbare Prozedur

Von Florian Tempel

Die Aula des Korbinian-Aigner-Gymnasiums war am Dienstag eine einzige große Kleiderkammer, in der sich rund 190 Flüchtlinge mit Klamotten und Schuhen für die kalte Jahreszeit eindecken musste. Das Landratsamt sieht darin den "optimalen Weg, auch Familien mit Kindern im angemessenen Rahmen einzukleiden". (Foto: Renate Schmidt)

Die Winterjacke ist mindestens zwei Nummern zu groß für den dreijährigen Buben. Seine Mutter hat sie trotzdem genommen. Es gab keine in der passenden Größe. Aber ihr Sohn braucht doch eine Jacke - und Hosen, T-Shirts, einen Pullover, Schuhe, Socken, Unterwäsche, eine Mütze, Handschuhe. All das kann seine Mutter nicht einfach für ihn kaufen. Sie musste es am Dienstag in der Aula des Korbinian-Aigner-Gymnasiums für ihn aussuchen. So wie die Kleidung und Schuhe für sich selbst. Dienstag war Herbst-und- Winter-Einkleidetag für die rund 190 Flüchtlinge, die im Landkreis leben.

Am Morgen war ein auf Kleidung für Asylbewerber spezialisiertes Unternehmen mit einem Lastwagen vor den Haupteingang des Gymnasiums gefahren, randvoll mit Pappkartons mit Kleidung und Schuhen. Die Klamotten wurden in der Aula auf Tischen ausgelegt. Gelbe Preisschildern zeigten an, was was kostet: "Erwachsenenschuhe 35 Euro" oder "Kinderjeans 13,50 Euro".

Jeder Flüchtling hatte ein Schreiben vom Landratsamt erhalten, das ihm klar machte, wie viel Geld er hier und heute für Kleidung für die kalte Jahreszeit aufwenden dürfe. Einem Erwachsenen stehen 225,61 Euro zu, Kindern deutlich weniger. Eingeteilt zu bestimmten Uhrzeiten von 10 bis 18 Uhr hieß es für die Flüchtlinge aussuchen, was der ausgebreitete Fundus zu bieten hatte, dann zur Abrechnung und schließlich mit großen weißen Plastiktüten zurück in ihre Unterkünfte.

Der zentrale Einkleidungstag ist eine Erdinger Besonderheit im Umgang mit Flüchtlingen. In allen Nachbarlandkreisen gibt es solche sonderbaren Prozeduren nicht. In den Landkreisen München und Freising erhalten Flüchtlinge Gutscheine, mit denen sie in bestimmten Geschäften Kleidung und Schuhe erwerben können. In den Landkreisen Landshut und Mühldorf gibt es für Asylbewerber Gutscheine, mit denen sie in jedem Textil- oder Schuhgeschäft einkaufen können. Und im Landkreis Ebersberg erhalten die dort lebenden Flüchtlinge den Kleidergeldbetrag sogar bar ausgezahlt.

Die Flüchtlinge im Landkreis Erding wünschen sich das auch, Bargeld oder Gutscheine. Egal mit wem man spricht, ob Mann, ob Frau, ob Syrer, Pakistaner oder Nigerianer, keiner versteht, warum im Landkreis Erding nicht geht, was andernorts möglich ist. Und es gab ja doch im vergangenen Jahr auch im Landkreis Erding Einkaufsgutscheine. Im Frühjahr war das auf einmal anders. Es gab den ersten Einkleidungstag, nun den zweiten.

Mehrere Flüchtlinge haben im August gegen den auf Behördendeutsch "Bekleidungsgewährung" genannten Einkleidetag beim Landratsamt protestiert. In einem auf den 23. August datierten Schreiben, das zahlreiche Asylbewerber unterschrieben haben, heißt es: "Da wir die Erfahrung machen mussten, dass bei der letzten Einkleide-Aktion im Frühjahr viele Kleidungsstücke von minderer Qualität waren - schon nach einigen Waschvorgängen nicht mehr brauchbar, Schuhe mit sich lösenden Sohlen nach wenigen Wochen-, beziehungsweise nicht alle benötigten Kleidungsstücke oder Schuhe in der passenden Größe vorhanden waren, stellen wir Antrag auf Auszahlung des uns zustehenden Barbetrages für Bekleidung. Sollte dies nicht möglich sein, bitten wir um die Aushändigung von Einkaufsgutscheinen bei Erdinger Geschäften, wie es im Jahr 2012 noch praktiziert wurde." Das Landratsamt lehnte das ab.

Heinz Fischer, Stellvertreter im Amt von Landrat Martin Bayerstorfer (CSU), erklärte, die Rückkehr zum Einkleidetag sei notwendig gewesen, da sich Vertreter der Geschäfte, in denen 2012 noch Gutscheine eingelöst werden konnten, über das angeblich komplizierte Abrechnungssystem sowie "auch über das Auftreten der Asylbewerber" beklagt hätten und keine Gutscheine mehr akzeptieren wollten. Schwierigkeiten mit Gutscheinen für Flüchtlinge sind offenbar ein spezielles Erdinger Phänomen.

In den Nachbarlandkreisen weiß man in den dortigen Landratsämter nichts von derartigen Problemen. Fischer verwies weiter darauf, man dürfe kein Bargeld auszahlen, "weil nach wie vor das Sachleistungsprinzip in Bayern gilt". Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) hat das allerdings längst relativiert. So hat sie sich zum Beispiel in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk Anfang Juli dafür ausgesprochen, "dass Sachleistungsprinzip (. . .) zu flexibilisieren und immer mehr in Richtung Bargeld zu gehen". Es mache keinen Sinne, dass Bayern das "gallische Dorf" spiele, während 15 Bundesländer zur Bargeldauszahlung übergegangen seien.

© SZ vom 11.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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