Ausgesetztes Baby in Erding:Nur eine Handvoll Hinweise

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Auf dieser Bank am Ende der Otto-Hahn-Straße wurde der Wäschekorb mit dem Säugling abgestellt. Die Inhaberin des benachbarten Hotels "Glaskuppel" fand das Baby, das in eine Decke gewickelt war, gegen sechs Uhr morgens. Das Kind wurde ins das Klinikum Erding gebracht. (Foto: Daller)

Die Suche nach der Mutter des vor einem Hotel ausgesetzten Neugeborenen verläuft bislang ergebnislos. Der kleine Simon ist auf einer Säuglingsstation in Landshut und kommt demnächst zu einer Pflegefamilie.

Von Florian Tempel, Erding

Dem kleinen Simon, der am Dienstag in Erding vor einem Hotel im Gewerbegebiet Südwest gefunden worden ist, geht es gut. Er ist mittlerweile aus dem Klinikum Erding auf die Säuglingsstation des Kinderkrankenhauses in Landshut verlegt worden. Äußerlich fehlt dem wahrscheinlich am Montag in München heimlich zur Welt gebrachten Buben nichts. Nach seiner Mutter, die ihn in einem mit zwei Betttüchern ausgelegten Wäschekorb auf einer Holzbank vor dem Hotel abgelegt hatte, wird weiter gesucht. Bislang sind laut Auskunft eines Polizeisprechers "eine Handvoll Hinweise eingegangen", von denen aber nur zwei so konkret waren, dass ihnen intensiver nachgegangen werde.

Wie geht es mit Simon weiter? Das Jugendamt Erding hat bereits eine Mitarbeiterin zu seiner Fürsorge-Betreuerin bestellt. In einigen Tage wird er zu einer Bereitschaftspflegefamilie kommen. Im Landkreis gibt es acht solche Familien, die kurzfristig und übergangsweise Kinder aufnehmen. Danach wird Simon wohl in eine normale Pflegefamilie kommen. Wenn sich seine Mutter melden sollte oder sie gefunden wird, kann sie Simon unter Umständen später zurückbekommen.

Dass Neugeborene ausgesetzt werden, kommt selten vor. Da die Fälle nicht offiziell erfasst werden, hat das Kinderhilfswerk Terre des Hommes Presseberichte ausgewertet. Demnach werden in Deutschland jedes Jahr nur etwa acht ausgesetzte Neugeborene lebend gefunden. Die Zahl der neugeborenen Babys, die tot gefunden werden, ist laut Terre des Hommes mehr als doppelt so hoch.

In Erding gab es keinen vergleichbaren Fall

Im Landkreis hat es einen ähnlichen Fall wie den von Simon in der jüngeren Vergangenheit nicht gegeben. Der traurige Fall des Grünbacher Babys aus dem Jahr 2006 ist deutlich anders. Seine Mutter hatte es heimlich und alleine in ihrer Wohnung zur Welt gebracht und es in einer eiskalten Februarnacht in einen Pappkarton hinter einen Stromkasten an der Bundesstraße B 388 abgelegt, wo es erst nach zwei Tagen tot gefunden wurde. Die Mutter wurde 2007 wegen Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt. Auch der Fall des Flughafenbabys Franziska ist anders gelagert. Das Mädchen kam Ende Juli 2015 auf einer Toilette eines Parkhauses zu Welt und wurde dort von seiner Mutter in der Kloschüssel zurückgelassen. Laut Anklage hatte sie das Baby zuvor mit der Nabelschnur stranguliert. Franziska überlebte dank einer Wiederbelebung. Die Mutter steht derzeit wegen Totschlags in Landshut vor Gericht.

Vergleichbar mit dem Fall des kleinen Simon sind Kindesaussetzungen in München und im Landkreis Augsburg. Im August 2013 wurde ein neugeborenes Mädchen in einem Mietshaus im Münchner Stadtteil Moosach gefunden. Neben dem Kind lag ein Zettel auf den sein Name, Raquel, gekritzelt war. Die Mutter wurde bis heute nicht gefunden. Raquel lebt in einer Adoptionsfamilie. Im Juli 2014 wurde ein neugeborener Bub nachts von seiner Mutter in einer Sporttasche vor den Eingang einer Wohnanlage in Bobingen im Landkreis Augsburg abgelegt, wo er eine Stunde später gefunden wurde. Seine Mutter wurde 14 Tage später von der Polizei ermittelt.

Das Strafgesetzbuch hat einen eigenen Paragrafen für die Aussetzung von Kindern. Schon deshalb muss die Kripo nach der Mutter von Simon fahnden. Falls aber eine Frau in der Nähe abwartet, bis ihr Baby gefunden wird und sie damit sicher sein darf, dass ihm nichts passiert, macht sie sich nicht strafbar. Ob das womöglich im Fall des kleinen Simon so war, ist aber bislang völlig offen.

Es gibt verschiedene Angebote, die verzweifelte Frauen davon abhalten sollen, ihr Kind heimlich zu gebären, auszusetzen oder gar zu töten. In Erding gibt es die Schwangerenberatung und die Adoptionsvermittlung beim Landratsamt. Die Adoption eines Babys kann schon vor der Geburt geregelt werden. In München gibt es für Frauen, die keine Beratungsstelle aufsuchen, eine sogenannte Babyklappe in einem Kloster. Babyklappen sind jedoch umstritten, da die Pflichten der Betreiber in wesentlichen Punkten nicht klar geregelt sind. Eine Babyklappe verhindert zudem nicht, dass eine Mutter ihren Säugling alleine zur Welt bringt und sich sowie ihr Kind dadurch in Gefahr bringt. Vor zwei Jahren wurde deshalb das Gesetz zur "vertraulichen Geburt" verabschiedet. Seitdem kann eine Mutter ihr Kind in jedem Krankenhaus gebären, ohne ihren Namen zu nennen. Allerdings nimmt eine Beratungsstelle die Daten der Frau auf. Ein vertraulich geborenes Kind hat nach 16 Jahren die Möglichkeit, die Personalien der Mutter zu erfahren, falls diese nicht weiterhin besondere Umstände geltend macht. Im Landkreis gab es nach Auskunft des Landratsamtes bisher keine vertrauliche Geburt.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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