Ausfallen tut sie nur, wenn niemand kommt:Rundum informiert

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Wer eine Innenstadtführung mit Walter Schachtner macht, erfährt über Erding alles, was man wissen muss - und noch ein bisschen mehr

Von Sophia Neukirchner

Walter Schachtner wartet am Schönen Turm auf die Gäste der ersten Stadtführung im neuen Jahr. Hier steht er an jeden dritten Sonntag im Monat, seit mehr als zwanzig Jahren. Gerade schien noch die Sonne, nun schneit es in dicken Flocken. Er tritt einen Schritt zurück unter den Torbogen vor dem Tourismusbüro, hier wird die Runde starten. Wie viele Menschen zu seiner Führung durch die Erdinger Innenstadt kommen, weiß er nicht. Vor einer halben Stunde hat sich eine Frau telefonisch angemeldet. Das hat ihn gefreut. Und es heißt für ihn auch, dass die Führung stattfinden wird, auch wenn es nicht mehr als die eine Frau werden sollten. Da habe er seinen Ehrenkodex. "Die Anzahl der Teilnehmer reichte in der Vergangenheit von null bis 42."

Heute sind es zwei. Bei dem kalten Wetter hatte Schachtner am Morgen eigentlich mit keinem einzigen gerechnet. Aber seine zwei Teilnehmer sind warm angezogen. Michael Klinger, der aus Dachau stammt, erklärt, warum er gekommen ist: "Ich wohne seit einem Jahr in Erding und habe es mir schon oft vorgenommen, aber nie geschafft. Ich möchte etwas über die Stadt erfahren, in der ich lebe. Die Turmschiebergeschichte interessiert mich besonders." Schachtner strahlt ihn durch seine große Brille an. Die Turmschieber werden zum Schluss drankommen.

Schachtners eigene Geschichte als Stadtführer geht so: Günther Pech, der Leiter des Stadtmarketings, suchte Ende der neunziger Jahre Bürger, die die Historie ihres Wohnortes spannend und informativ vermitteln konnten. Pech wollte den Campern auf dem Volksfestplatz, die regelmäßig in den Oktoberfest-Wochen kommen, auch etwas von der altbayerischen Herzogstadt Erding zu vermitteln. Mit dem Bau der Therme 1999 sah Pech dann endgültig Bedarf: "Stadtführungen gab es auch schon vorher, aber keine festen Ansprechpartner und kein regelmäßiges Programm." Schachtner kannte er aus der Kolpingfamilie. Ein idealer Kandidat, fand Pech: "Frei Sprechen konnte er schon immer gut und nebenbei hatte er noch viel Freizeit."

Mit 49 Jahren hatte Schachtner beschlossen, nicht mehr zu arbeiten. Er habe sich Vermögenswerte angehäuft, sagt er. Vorher war er beim Bezirk Oberbayern tätig, später noch einige Jahre als gesetzlicher Vertreter für hilfsbedürftige Menschen. Seit Pech ihn als Stadtführer gewonnen hat, hat er ein neues Hobby.

Zwei Stunden lebendiger Geschichte kosten bei Schachtner fünf Euro pro Person. Die erste Station der Führung ist der Taubenbrunnen im Heiliggeistspital-Innenhof. Vier Tauben für die vier christlichen Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit. "Das geht bei Managern zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus", sagt Schachtner und macht es gestisch vor.

Walter Schachtner hat einen Ehrenkodex: Eine Mindestanzahl an Teilnehmer gibt es bei ihm nicht - selbst wenn nur einer zur Stadtführung erscheint. (Foto: Renate Schmidt)

Weiter geht es unter den Resten der Stadtmauer hindurch über knirschenden Schnee an der Sempt entlang. Einmal hatte er eine Anfrage einer Reisegruppe, die wollte zuerst die Brauereiführung des Weißbräu besuchen und dann direkt im Anschluss seine Stadtführung. "Mir war von vornherein klar, dass das nichts wird", lacht er schallend. Eine halbe Stunde vor dem vereinbartem Termin bat man um Verschiebung, die Gruppe sei noch nicht wieder nüchtern.

Manchmal gibt Schachtner auch Führungen mit Dolmetscher. Er könne nicht so gut Englisch. Doch oft würden ausländischen Gäste nicht bei ihm anfragen. Häufiger aber Einheimische, die nach einer standesamtlichen Trauung etwas Besonderes für ihre Gäste wollen, oder Jubilare, die einen runden Geburtstag feiern. "Es gibt keinen Anlass, zu dem eine Stadtführung nicht passt." Auch bei Tagungen oder Vereinsausflüge wird ab und an eine Stadtführung gebucht.

Unter dem Schönen Turm hindurch geht es Schachtner hinter und zurück in die Innenstadt: "Früher fuhren kirchliche Würdenträger von Landshut durch Erding, wenn sie nach München wollten. Um ihnen einen gebührenden Empfang zu bieten, baute man den Schönen Turm auf die Landshuter Straße." Geschichten über Prominente und Persönlichkeiten interessieren noch immer. Zum Beispiel über die Kabarettistin Monika Gruber, die seit einigen Jahren wieder in Erding lebt. Oder über Oberamtsrichter Johann Baptist Cantler, der im 19. Jahrhundert im Rathaus gewohnt hat, als es noch kein Rathaus war. "Wenn er die Treppe runtergefallen ist und am Kopf geblutet hat, bat er seine Haushälterin um Bier, schließlich müsse man den Flüssigkeitsverlust ausgleichen - so ein Kerl war das."

Zwischen Klaus' Bürobedarf und dem Tourismusbüro zeigt die schwere alte Holztür der kleinen Spitalkirche unscheinbar auf den Gehweg. Schachtner öffnet sie. Michael Klinger ist erstaunt: "Ich wusste gar nicht, dass die Tür aufgeht." - "Heute schon." Mützen ab und rein. Der Atem gefriert beim Sprechen über die Stifter der Kirche und die Bedeutung der Gemälde über dem Altar. Schachtner erzählt noch ein paar Anekdoten; über eine Führung mit einem Bundeswehrobersten vom Fliegerhorst und einen 69-Jährigen, der an einem Glockenseil hing.

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(Foto: H. Krause/oh)

Ein Rest der Erdinger Stadtmauer hinter dem Heiliggeisthof.

Im Rathaus wohnte einst der kauzige Richter Cantler.

Der Stadtturm zwischen Schrannenhalle und Stadtpfarrkirche.

Die Lange Zeile, links das Widnmannsche Palais.

Schachtner weiß zu allem etwas, zu jeder Stelle, an der man vorbeikommt, fällt ihm etwas ein: Der Schrannenplatz war jahrhundertelang einer der größten Umschlagsplätze für Getreide in ganz Bayern. Am Kleinen Platz stand früher ein Schlachthaus - als kleiner Junge habe er dort noch selbst die großen Ochsen bestaunt. Über den Maler Carl Spitzweg, der in der Stadtapotheke gelernt hat, weiß er genauso zu berichten wie über Erdinger Unternehmen - über die Therme, den Reisebuchungsgiganten Amadeus, das Gewandhaus Gruber, den Erdinger Weißbräu und natürlich über die Entstehungsgeschichte des Flughafens München. Dazu gibt es allgemeine und spezielle Fakten und Infos, über die Vollbeschäftigung im Landkreis, welches Gebäude bald wie umgebaut wird und welchen Einfluss das wohl auf die Schwedenspiele haben wird. Nach einer Führung mit Schachtner weiß man auch, in welcher Erdinger Wirtschaft es die größten Portionen gibt und wo die meisten Stammtische.

Über die Lange Zeile geht es weiter durch das Widnmannpalais zur letzten Station, der Stadtpfarrkirche St. Johannes mit ihrer eine Million Euro teuren Orgel und einem Altar, in dem eine geschmücktes Skelett liegt - St. Prosper, ein Katakombenheiliger, extra aus Rom importiert. Zum Abschluss gibt es dann endlich die Turmschiebergeschichte zu hören. Noch eine Frage: Was wurde zuerst erbaut, die Kirche oder der Turm? "Das kann man nicht so genau sagen", sagt Schachtner schmunzelnd, "da war ich nicht dabei."

Das Resümee der Teilnehmer nach dem Rundgang ist positiv. "Es war sehr interessant und kurzweilig, empfehlenswert bei jeder Witterung", sagt Michael Klinger. Und: "Er ist schon ein Unikat"

Die nächste Innenstadtführung mit Walter Schachtner findet am 19. Februar statt. Start, wie immer, um 14 Uhr am Schönen Turm.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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