Eklat beim Papstbesuch - Ratzinger verärgert:Frau Engl stört die Harmonie

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Der Eklat beim Besuch von Johannes Paul II. in München / Gastgeber Ratzinger ist verärgert

Von Monika Maier-Albang

Als Johannes Paul II. 1980 zum ersten Mal Deutschland bereist, ist der Besuch bis ins Detail auf Harmonie getrimmt. Doch dann passiert in München, auf der letzten Station der Reise, genau das, was die Organisatoren vermeiden wollten: Die 29-jährige Sozialpädagogin Barbara Engl, Diözesanvorsitzende beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), tritt auf der Theresienwiese vor den Papst hin und spricht vom "Eindruck vieler Jugendlicher", dass "die Kirche ängstlich an den bestehenden Verhältnissen festhält", davon, dass sie "zu den Fragen der Jugendlichen, zu Freundschaft, Sexualität und Partnerschaft zu sehr mit Verboten reagiert". Viele Jugendliche könnten nicht verstehen, führt Engl aus, "warum die Kirche trotz Priestermangels so unumstößlich am Zölibat festhält" und warum keine "stärkere Beteiligung der Frauen am kirchlichen Amt möglich ist". Dann kehrt Engl zurück zum Text, den die Bischofskonferenz abgesegnet hatte. Der Eklat ist perfekt und der gastgebende Kardinal, Joseph Ratzinger, verärgert.

Noch am selben Abend hält der Pressereferent des Bistums, Curt Genewein, Engl vor, sie habe "getrickst", obwohl das nicht stimmt. Eine ganze Reihe von Domkapitularen habe sich "furchtbar aufgeregt", erinnert sich Prälat Georg Schneider, damals Seelsorgereferent und für die Jugendverbände zuständig. Engl bekommt Briefe aus der ganzen Welt - bitterböse, in denen sie als "unsere Schande" bezeichnet wird, aber auch aufmunternde von Pfarrern, die den Jugendlichen für die kritischen Fragen danken. Barbara Engl, die heute Engl-Schneider heißt und Geschäftsführerin des christlichen Pallotti-Hauses in Freising ist, muss den Ärger ausbaden. Dabei war der Text, den sie verlas, von Jugendlichen aus der Diözese gemeinsam mit Vertretern des BDKJ-Bundesverbandes entworfen worden. Kardinal Ratzinger hatte ihn vorab gesehen, hatte durchgesetzt, dass die kritischen Punkte als Fragen formuliert wurden. Die geänderten 17 Zeilen schicken die Jugendvertreter ans Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, dort aber bleiben sie im Papst-Trubel liegen. Die Journalisten bekommen nur den ersten, unbedenklichen Teil von Engls Rede und sind erstaunt, als die BDKJ-Vorsitzende "ganz ruhig", wie Schneider sagt, ihre Kritik vorträgt. Der Papst versteht jedes Wort, schweigt aber dazu, was in der Bistumsleitung die Befürchtung nährt, er könne beleidigt sein. Dabei friert der Papst nur erbärmlich im eisigen Novemberwind, und die Zeit, die bis zum Aufbruch bleibt, ist zu knapp für eine Erwiderung.

Die trägt Weihbischof Ernst Tewes einige Wochen später aus Rom in die Bistumsleitung. Der Papst habe "über die Worte nachgedacht, aber er war überhaupt nicht verärgert", erinnert sich Schneider. Sechs Monate später bedankt sich sogar Kardinalstaatssekretär Casaroli im Namen Johannes Pauls II. in einem herzlich gehaltenen Brief für die Anregungen. Auch Ratzingers Ärger verpufft allmählich, zu einem Gespräch mit den Betroffenen nimmt er sich trotzdem keine Zeit. Schneider spricht im Rückblick dennoch von einem Bischof, der für Jugendliche weit mehr Verständnis aufgebracht habe als für Erwachsene, die seine Meinung nicht teilten. "Und dabei war das eine andere Jugend als heute, sehr politisch und aufmüpfig."

Ruhiger mögen sie sein, die Themen aber sind dieselben geblieben. Allerdings sah es lange Zeit so aus, als hätten die Jugendlichen diesmal keine Möglichkeit, ihre Anliegen vor den Papst zu tragen. Die Verbände hätten sich ein Mittagessen mit dem Papst gewünscht, hätten gern die Abendvesper im Dom gestaltet. Doch die Antwort der Organisatoren war stets ablehnend nach dem Motto: Ihr seid nicht dran, ihr hattet eure Papstbegegnung beim Weltjugendtag in Köln. Im Erzbischöflichen Jugendamt in München hatte sich so mancher gefragt, ob die Oberen im Ordinariat nachtragend sind.

In letzter Minute aber sieht es nun doch noch so aus, als würden die Jugendlichen ein Mini-Treffen mit dem Papst bekommen. Stimmen die Sicherheitsleute zu, wird die Kolpingjugend nach der Vesper im Münchner Dom dem Papst ein riesiges Buch übergeben. Es enthält 5000 Wünsche und Glückwünsche an ihn. Die Botschaften wurden gesammelt beim Weltjugendtag in Köln, die Einträge stammen aus der ganzen Welt. Zensiert hat sie niemand.

© SZ vom 14.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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