Ein Leben zwischen Duldung und Abschiebung:Hauptsache, die Sprüche sitzen

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Valentina, 16, aus dem Kosovo und Suli, 17, aus China haben sich in einem Münchner Flüchtlingsheim kennengelernt. In Alexander Riedels Foto- und Filmdokumentation "Draußen bleiben" spielen sie sich selbst.

Christoph Kappes

Wenn Valentina sich in Alexander Riedels Dokumentarfilm "Draußen bleiben" selbst spielt, klingt das so: "(Zu einem vorbeigehenden Mädchen) Blöde Fotze, schau nicht so! (Zu Riedel) Mann Alex, will doch nicht darüber reden, mit dem Aufenthalt! Wir haben drei Monate Verlängerung bekommen." Riedel: "Es gab zuletzt keinen Versuch mehr, euch abzuschieben?" "Im Moment nicht, weil meine Mutter sich in Behandlung, also sie wird ja behandelt, medikamentisch, oder wie das heißt, keine Ahnung. Und sie ist halt, wie nennt man das, sie ist psychisch in Behandlung." Ein Junge geht vorüber - Valentina: "Gibt's was zu schauen? Selber das Maul, du kleiner Zipfelklatscher, geh und spiel Fußball. (...) Wieso ist meine Situation schlimm? Ich find' sie nicht schlimm."

Suli (l.) bewundert Valentina, denn sie ist mutig. Aber manchmal macht sie sich auch Sorgen um die Freundin: Valentina ist zu unruhig. Sie will nicht auf bessere Zeiten warten, sondern ihr Leben selbst in die Hand nehmen. (Foto: Foto: Alexander Riedel)

Valentina ist in Deutschland nur geduldet, vor elf Jahren ist die mittlerweile 16-Jährige mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus dem Kosovo geflohen, über Aufenthalt oder Abschiebung wird alle paar Monate neu entschieden. Der Filmemacher und Fotograf Alexander Riedel hat Valentina auf einem Bolzplatz im Münchner Westen gefunden, gesucht hat er nach "Verweigerern, Schulverweigerern". Aus Riedels Recherche nach einem "jugendlichen Lebensgefühl" und Valentinas ungebremstem Bedürfnis, jemanden darzustellen, die mehr ist, als nur eine Geduldete, entstanden die Fotoserie "Draußen bleiben", die von heute an in der Seidlvilla zu sehen ist, sowie der gleichnamige Dokumentarfilm, Riedels Abschlussfilm an der HFF.

Valentina ist Anführerin der Harras-Ladies

Es sind vor allem die Fußballszenen, in denen Riedel und sein Kameramann Martin Farkas, der förmlich an den Beinen der Kickerinnen zu kleben scheint, eindrücklich machen: Draußen, außerhalb der Enge der Flüchtlingsunterkunft, fühlt sich Valentina frei. Hier hat sie sich einen Platz erkämpft, als Anführerin der Fußballgang "Harras-Ladies". Sie ist die Spielmacherin, nicht nur auf dem Fußballfeld, auch am Straßenrand, auf Spielplätzen, an U-Bahnhöfen, am Harras, in Allach, in Milbertshofen.

Riedel lässt Valentina Raum und Zeit, in die verschiedenen Rollen ihres Alltags und wieder heraus zu schlüpfen. Bereits vor den Dreharbeiten, die im Sommer 2006 anfingen und bis Anfang 2007 dauerten, begleitete er Valentina mit dem Fotoapparat, insgesamt über einen Zeitraum von anderthalb Jahren. Damit gewann der 38-jährige Valentinas Vertrauen, wie er sagt. Er war zuerst allein gekommen, nicht gleich mit einem ganzen Team angerückt. Riedel wurde zu einer Art "Hoffotograf": Zuerst fotografierte er Valentina, ihre Familie, später ihre Mitbewohner in der Flüchtlingsunterkunft. Seine Digitalkamera mit dem kleinen Display machte die Runde wie ein Familienalbum.

Beim Fotografieren entwickelte Riedel eine genaue Vorstellung von der Ästhetik, die er später mit seinem Film schaffen wollte. "Verdichtung" nennt er das. "Draußen bleiben" ist kein puristischer Dokumentarfilm, er unterliegt einer klaren Dramaturgie, ist durchkomponiert, wirkt an manchen Stellen wie ein Spielfilm. Die langen Gespräche mit der Mutter verwarf Riedel im Schnitt, um sich ganz auf den Rhythmus Valentinas zu konzentrieren. Sie gibt den Takt vor.

"Und wenn wir nicht gestorben sind, dann leben wir noch bis heute"

Wer meint, da hart am Rande der Gesellschaft auf das echte Leben zu stoßen, das es einfach abzulichten oder zu filmen gelte, irrt ohnehin. Was sich in Valentinas Leben abspielt, ist in vielem wohl auch Pose: auf dem Schulhof, wenn Jungs da sind, in der Gruppe. Insofern doubelt die Kamerasituation den Alltag: Ob sich das nun vor den Augen von Gleichaltrigen oder eines Filmteams abspielt, ähnelt sich, Hauptsache, die Sprüche und die Klamotten sitzen.

Es ist zwar ein ständiges In-SzeneSetzen, allerdings nah am Abgrund. Auch das macht "Draußen bleiben" deutlich. Mit harten Schnitten zwischen MTV-Videos und trister Flurflucht im Flüchtlingsheim oder zwischen Disko und grau verwaschenem Himmel. Valentina kann über Gott und die Welt plappern, und dann sagt sie plötzlich, dass ihr Vater ihre Mutter misshandelt habe. Abbruch, Schweigen. "Fertig." Ein Abbrecher ist auch Anthony, ein Schulfreund, der immer wieder sein Handy zückt, ihm Rap-Beats entlockt und darüber reimt, immer wieder neu, immer wieder abrupt endend. "Alex, das nächste mal bin ich fertig", sagt er dann. Bis heute ist Anthony noch nicht fertig geworden.

"Und wenn wir nicht gestorben sind, dann leben wir noch bis heute", sagt Valentina im letzten Bild. Auch das ist so ein Spruch, der in dem Versprecher "bis heute" vielleicht das Wesentliche berührt: ein Lebensgefühl, das sich in der Spanne von wenigen Monaten bemisst, bis zur nächsten Entscheidung über Duldung oder Abschiebung. Vor zwei Monaten hat sich diese Spanne verlängert, Valentina und ihrer Familie wurde ein Jahr Aufenthalt bewilligt. Valentina will jetzt Altenpflegerin werden.

"Draußen bleiben". Vernissage heute um 19Uhr, Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b. Am 21. April, 19.30Uhr, Diskussionsveranstaltung. Der Film läuft am 3. Mai auf dem Dokfest, danach Kinostart am 8. Mai.

(SZ vom 17.4.2008/af)

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