Ehemalige Dr.-Sommer-Expertin Margit Tetz:Von der Bravo auf die Yoga-Matte

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Margit Tetz war 17 Jahre lang "die Expertin vom Dr.-Sommer-Team" und half Jugendlichen, mit der eigenen Sexualität klarzukommen. Nach einem kurzen Fernsehintermezzo entschied sie sich, ihr Leben noch einmal umzukrempeln.

Judith Liere

Es gibt eine Zeit im Leben, in der man voller Fragen ist, die man sich nicht zu stellen traut. Anders als im Kindergartenalter, wo man Vater und Mutter mit endlosen "Warum?"-Mantren in den Wahnsinn treibt, sind in der Pubertät gerade die eigenen Eltern die letzten Menschen auf der Erde, an die man sich wenden will.

Margit Tetz: "Ich habe eine Neigung, dem Leben zu vertrauen, zu glauben, dass immer das kommt, was für mich gut ist." (Foto: Stephan Rumpf)

Viel zu peinlich wäre es, mit ihnen über all die Dinge zu reden, in einem in diesem Alter durch den Kopf gehen, Dinge, die den eigenen Körper, neu entdeckte Sexualität und allerlei andere seltsame Gefühle betreffen. Und auch manchen Eltern ist es peinlich, diese Fragen zu beantworten.

Aber es gibt ja das Dr.-Sommer-Team. Seit 1969 beantwortet das Jugendmagazin Bravo genau solche Fragen. Der Gründer der Rubrik, Martin Goldstein, ist vor wenigen Wochen gestorben. Eine seiner prominentesten Nachfolgerinnen ist Margit Tetz - 17 Jahre lang erklärte sie Jugendlichen in der Zeitschrift, am Telefon oder im Fernsehen, dass man nicht schwanger wird, wenn man zu zweit in der Wanne sitzt, dass man sich zu nichts drängen lassen soll und dass es keine Fragen und Gedanken gibt, für die man sich schämen müsste.

Obwohl Margit Tetz schon länger nicht mehr im Fernsehen als "Expertin vom Dr.-Sommer-Team" oder als "Die Jugendberaterin" auftritt, erkennt man sie sofort wieder, als sie beim Treffen in ihrer Wohnung in der Ludwigsvorstadt die Tür aufmacht.

"Ja, diejenigen, die heute zwischen 25 und 45 sind, erinnern sich meist noch", sagt sie und lacht. Margit Tetz lacht viel und fröhlich, sie läuft beschwingt barfuß durch den langen Altbau-Flur. Sie ist 60 Jahre alt, sieht aus wie Mitte 40 und hat die Ausstrahlung einer selbstbewussten und übermütigen 25-Jährigen.

Seit knapp zehn Jahren arbeitet Tetz nun schon seit Yoga-Lehrerin, und das merkt man. An ihren fließenden Bewegungen, an ihrer entspannten Gelassenheit, am vielen Orange in der Wohnung und an den Buddha-Statuen, die sich in Zimmerecken und sogar im Balkonblumentopf finden. "Der lächelt so und erinnert mich daran, das Leben nicht so ernst zu nehmen", sagt Tetz.

Eine Einstellung, die sie schon lange begleitet: "Ich habe eine Neigung, dem Leben zu vertrauen, zu glauben, dass immer das kommt, was für mich gut ist. Ich musste mich nie abstrampeln, da habe ich Glück." Auch die Stelle beim Dr.-Sommer-Team kam damals einfach so auf sie zu. Tetz hat Sozialpädagogik studiert, psychotherapeutische Fortbildungen gemacht, Geld verdiente sie zunächst mit Kursen, die sie an der Volkshochschule gab - "Gedächtnistraining, alles mögliche" - und in einer Werbeagentur. 1986, da war sie 33, war ihr nach etwas Neuem, sie kündigte und ging am selben Tag noch zum Arbeitsamt, "um zu schauen, ob die was haben". Hatten sie - nämlich die Stelle bei der Bravo.

Zehn Probebriefe sollte sie für die Bewerbung beantworten. Gemeinsam mit ihren WG-Mitbewohnern suchte sie sich die Informationen zusammen. "Eine Frage war, wie sich ein verliebtes Pärchen treffen kann, bei dem sie aus Ostberlin und er aus Westberlin kommt. Das war so spannend und hat viel Spaß gemacht, auch, sich die Jugendlichen vorzustellen, wie sie da sitzen und schreiben. Das hat sich während meiner gesamten 17 Jahre im Dr.-Sommer-Team nicht geändert."

Am Anfang, erinnert sich Tetz, da war diese Rubrik in der Bravo noch ein echter Aufreger. Eltern schrieben erboste Briefe, man könne ihren Kindern diese Informationen nicht zumuten. "Aber je länger ich da war, umso mehr Briefe kamen, in denen Eltern sich bedankten, schreiben: ,Sie nehmen mir eine Aufgabe ab, die ich selber nicht leisten kann. Ich finde es so schwierig, mit meinen Kindern darüber zu reden.'" Eine Reaktion, die Tetz verständlich findet.

Es gehöre zur normalen Abgrenzung von Jugendlichen, dass sie mit ihren Eltern nicht über Themen wie Selbstbefriedigung, Schmerzen bei Sex oder Angst vor dem Ersten Mal sprechen wollten. "Früher hat sich das Thema Aufklärung ja oft in Bemerkungen wie ,Komm bloß nicht mit einem Kind heim!' erschöpft."

Auch in ihrer Jugend lief das nicht anders. Margit Tetz wuchs auf dem Land auf, in Rott am Inn, "mein Vater war noch mit dem Strauß per Du." Mit zwölf langweilte sie sich im Handarbeitsunterricht beim Häkeln und fragte die Lehrerin - "so eine kleine Unschuldige, Nette" - kurzerhand, wie das denn eigentlich so ginge, zwischen Mann und Frau. Die Lehrerin starrte sie entsetzt an, Antworten bekam sie keine, stattdessen wurde ein Elternsprechtag einberufen, und ihrer Mutter wurde eine rote Fibel über Aufklärung in die Hand gedrückt. "Die habe ich Jahre später bei ihr im Kleiderschrank entdeckt, sie hatte mir das vorher nie erzählt."

Auch Margit Tetz hat früher Bravo gelesen, an die damalige Dr.-Sommer-Seite erinnert sie sich nicht mehr. "Aber in der Zeitschrift Eltern gab es damals auch Aufklärungsseiten, die waren extra verschweißt, die habe ich gelesen."

Die Jugendlichen in den 1980er und 90ern hatten es durch das Dr.-Sommer-Team erstmal leichter, glaubt Tetz. "Sie hatten das Gefühl, sie wissen Bescheid. Die Umsetzung ist natürlich noch mal ein ganz anderer Schritt. Aber sie waren erst einmal zufrieden, wenn sie wussten, was man zum Beispiel beim Zungenkuss macht - auch wenn wir uns die Finger wund geschrieben haben, dass es immer darauf ankommt, dass man jemanden mag, Gefühle eine große Rolle spielen und dass es nicht um Rezepte geht."

Die wichtigsten Fragen, sagt sie, seien aber damals wie heute die selben. Bin ich normal, so wie ich bin? Gehöre ich dazu? Was, wenn ich mich doof anstelle? Das sei die Grundlage für alles, was die Jugendlichen wissen wollen. Dass mittlerweile alle Information über das Internet sofort auffindbar sind, sei nicht besonders hilfreich, findet Tetz. "Da stellt sich schnell Überforderung ein, das ist ein ungefilterter Zugang zu einer Erwachsenensexualität, die mit der Situation der Jugendlichen überhaupt nichts zu tun hat. Es ist absolut notwendig, auf eine jugendgerechte Weise an Sexualität herangeführt zu werden."

Damals habe während der Dr.-Sommer-Sprechzeiten ununterbrochen das Telefon geklingelt. "Das war rührend, dass die Jugendlichen sich trauen, da anzurufen. Es hätte ja sein können, dass da wieder jemand sitzt, der sagt: Warum interessiert dich das denn jetzt schon, oder: Dafür bist du noch zu jung. Es war ein toller Job!"

Doch als sie 50 war, kam das Leben wieder einmal auf sie zu und bot ihr etwas Neues an. Ein Jahr lang trat sie bei Prosieben als "Die Jugendberaterin" auf, eine inszenierte Sendung, in der Laiendarsteller fiktive Probleme verhandelten. Margit Tetz war nicht glücklich mit der Sendung, "das hatte leider nicht viel mit dem zu tun, was ich mir vorgestellt hatte. Die Show stand so sehr im Vordergrund, das hat mich wahnsinnig gemacht. Ich hätte so gerne meine Arbeit gemacht, direkt mit den Jugendlichen."

Stattdessen war ihr während der Zeit oft zum Heulen, sagt sie. "Wenn ich mir die Sendung noch mal im Fernseher angeschaut habe, hätte ich manchmal am liebsten mit dem Fuß reingetreten. Alle haben da immer so laut geschrien! Das kann man doch niemandem zumuten!"

Aber die Zeit ging vorbei, und natürlich hatte das Leben wieder ein neues Angebot. Tetz entschied sich, als Yogalehrerin und psychotherapeutische Beraterin zu arbeiten. "Zwei Bereiche, die durchaus ineinandergreifen und sich gegenseitig nähren können." Ihr Leben habe sich durch Yoga total verändert, schwärmt Tetz. "Ich nehme es intensiver wahr. Ich bin viel gelassener. Wenn ich heute auf dem Radl im Verkehr fluche, muss ich lachen."

Und so, wie sie vorher Jugendliche gestärkt auf den Weg geschickt hat, kümmert sie sich nun um ihre Yoga-Schüler. "Wenn am Ende der Stunde bei den Leuten im Kurs die Bäuche glucksen, weil sie so entspannt sind, dann macht mich das so froh. Dann denke ich: Was hab' ich für einen tollen Job! Dass ich das Instrument sein kann, das so etwas auslöst - besser geht's doch gar nicht, oder?" Da hat es sich offenbar gelohnt, dem Leben zu vertrauen und es einfach mal machen zu lassen.

© SZ vom 21.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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