Ein Tag, wie die "Stiftung Lesen" in Mainz und vermutlich auch viele Kinder ihn sich wünschen, könnte so beginnen: "Heute lese ich Dir etwas vor", kündigt der Papa morgens dem Siebenjährigen an. "Vielleicht etwas mit Dinos?", fragt er den Sohnemann. "Oder lieber die Wilden Kerle!" Dass dabei auch seine Augen leuchten, hat damit zu tun, dass in jedem Vater zeitlebens ein kleiner Junge steckt.
Als Papa noch klein war, liebte er je nach Alter Ritterabenteuer, Karl May, Robinson oder Harry Potter. Heute sind diese Schmöker zwar nicht vergessen, aber das Repertoire an Kinder- und Jugendliteratur ist viel größer geworden. Und die Pädagogen schauen sehr genau, welche Bücher für welches Alter empfehlenswert sind, was Mädchen und was Jungen besonders anspricht. Denn schließlich schafft Lektüre nicht nur Wissen, sie prägt, wie jedes andere Medium auch, das Rollenverhalten.
Wichtiger als die schönste Geschichte ist, dass der Vater vorliest und nicht immer nur die Mutter. Gerade für Jungen ist das ein tolles Vorbild, argumentieren die Pädagogen der Stiftung Lesen, die zum Welttag des Buches am 23. April, dem Todestag von William Shakespeare und Miguel de Cervantes, ein Projekt auf den Weg gebracht haben: "Mein Papa liest vor!"
Lesen und Vorlesen, so Claudia Roth, Projektmanagerin der Stiftung, seien ein wichtiger Schlüssel zur Bildung. Vorlesen bilde, fördere das Gespräch, helfe bei alltäglichen Problemen und vertiefe die Bindung zu den Eltern, heißt es im Text der Ausschreibung. Trotzdem: Ein Drittel der Eltern lese den Kindern gar nicht oder nur unregelmäßig vor. Bei den Vätern sei es mehr als die Hälfte. Gerade den Jungen fehle damit ein Rollenmodell. Mit Unterstützung des Bayerischen Familienministeriums will die Stiftung deshalb die männliche Vorleselust fördern. Und zwar dort, wo sich Männer (und auch Frauen) bevorzugt aufhalten: in der Firma.
In den nächsten Wochen wird die Stiftung in Bayern Betriebe mit mehr als hundert Mitarbeitern ansprechen und das Projekt vorstellen. Etwa 5000 Unternehmen werden kontaktiert, sagt Roth. Aus dem Landkreis Ebersberg ist bisher keines dabei. Der Weg zum Vorlese-Papa ist einfach. Über das firmeneigene Intranet erhalten die Mitarbeiter wöchentlich eine Geschichte, die sie gratis herunterladen können.
Die Lektüre wird nach unterschiedlichen Altersgruppen ausgewählt und berücksichtigt kulturelle Unterschiede. Zu den empfohlenen und lebensnahen Texten für Dreijährige zählt zum Beispiel die Mäusegeschichte "Waschen? Nein!" Gleich in vier Sprachen und als DVD zu haben ist das für Vierjährige geeignete Buch "Fünf freche Mäuse machen Musik" von Chisato Tashiro; Zehn- und Zwölfjährige mögen eher den Krimi "Mission Clockwork - Gefahr für das britische Empire" von Arthur Slade. Dazu gibt es ein Dossier mit Tipps. Zum Beispiel, dass weibliche Konkurrenz hier nur schadet. Besser, die sonst fürs Vorlesen zuständige Partnerin ist nicht dabei. Wer sich zu den fortgeschrittenen Vorlesern rechnet, bekommt Ideen an die Hand: etwa zur Geschichte einen Reim, ein Lied oder ein Spiel erfinden. Der beste Rat ist aber vielleicht der: "Vergessen Sie jede Theorie - wenn nötig, auch diese Vorlese-Tipps! und lesen Sie los."
Bei Ebersbergs "Lesepaten" rennt die Stiftung da offene Türen ein. Alt-Landrat Hans Vollhardt, der an der Grund- und Mittelschule ehrenamtlich Schülern vorliest, sagt: "Bei uns in der Familie ist es von jeher Tradition, dass die Väter vorlesen. So habe ich das bei meinen Kindern gehalten und heute macht mein Sohn es bei den Enkeln."
Informationen zu dem Projekt gibt es unter www.stiftunglesen.de/mein-papa-liest-vor