Interview:"Man hat mich mit offenen Armen empfangen"

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Seit gut 100 Tagen ist Robert Niedergesäß (CSU) Chef im Landratsamt. Einige Entscheidungen seines Vorgängers hat er bereits umgeworfen.

Von Barbara Mooser

Um ihn herum wird das Landratsamt noch kräftig umgebaut, doch sein Besprechungszimmer ist schon ganz gemütlich. Über dem Tisch hängt eine Landschaftsansicht von Joseph Loher, an der Wand steht eine schlichte Skulptur von Franz Wörle: "Durch Tore über Schwellen ist der Weg das Ziel", steht neben dem Kunstwerk aus rostigem Eisen. Robert Niedergesäß, 42, hingegen hat ein wichtiges Ziel bereits erreicht: den Einzug ins Landratsamt. Gut 100 Tage ist er nun bereits Landrat - Zeit für eine erste Zwischenbilanz.

SZ: Mal ehrlich - gab es schon mal einen Moment, in dem Sie sich ins Vaterstettener Rathaus zurückgesehnt haben?

Robert Niedergesäß:Nein, zurückgesehnt in dem Sinne nicht. Ich war aber zwischenzeitlich ein paar Mal dort und habe zum Beispiel "Botendienste" erledigt auf dem Weg zur Arbeit oder zurück, oder hatte dort Besprechungen. Ich habe mich zwölf Jahre dort jeden Tag sehr wohl gefühlt, aber seit 2. Mai bin ich jetzt jeden Tag sehr gerne im Landratsamt und fühle mich hier sehr wohl.

Ist der Job denn so schön, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?

Sogar noch schöner. Er ist sehr abwechslungsreich, es macht sehr viel Freude, jeden Tag der Arbeit nachzugehen. Es ist auch nichts völlig Neues im Vergleich zu bisher, es ist gewissermaßen eine Weiterentwicklung meiner Tätigkeit als Bürgermeister - und es macht Spaß.

Sie hatten ja gleich in den ersten Tagen im Amt mit ziemlichen Herausforderungen zu kämpfen - unter anderem hat die Regierung von Oberbayern damit gedroht, Flüchtlinge bei Ihnen im Landratsamt abzusetzen, falls Sie keine anderen Unterkünfte für Sie anbieten. Wie geht man mit so etwas um?

Ich bin es gewohnt, mit plötzlichen Herausforderungen umzugehen und habe hier sehr motivierte und kompetente Mitarbeiter angetroffen, die mich entsprechend unterstützen. Im Übrigen war auch im Leben eines Bürgermeisters täglich mit Überraschungen zu rechnen, das macht ja auch das Leben eines Politikers aus. Im konkreten Fall habe ich unter anderem Kontakt mit dem Regierungspräsidenten und auch mit unseren Bürgermeistern aufgenommen und besprochen, wie diese Situation zu bewältigen ist, das ist viel Kleinarbeit.

Sie haben gerade Ihre tollen Mitarbeiter angesprochen. Im Landratswahlkampf wurde das ja bisweilen angezweifelt, zumindest wurde den Mitarbeitern unterstellt, sich in der Zeit der Krankheit Ihres Vorgängers verselbständigt zu haben und ihre eigenen Wege gegangen zu sein. Wie haben Sie das empfunden?

Wie gesagt, ich habe vom ersten Tag an motivierte, engagierte und kompetente Mitarbeiter angetroffen. Das heißt aber nicht, dass man in der Sache immer einer Meinung sein muss. Und wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, dann muss man sich damit sachlich auseinandersetzen und Entscheidungen treffen. Ich bin auch nicht beratungsresistent, das erwarte ich umgekehrt auch von meinen Mitarbeitern. Ich denke, man hat mich mit offenen Armen empfangen, und wir haben die anstehenden Dinge gut angepackt. Natürlich kennt man nach 100 Tagen das Haus mit über 400 Mitarbeitern noch nicht in jeder Verästelung, und mit Sicherheit gibt es weiteren Optimierungsbedarf. Ich habe mittlerweile alle Abteilungen, Sachgebiete und fast alle Außenstellen besucht, um persönlichen Kontakt aufzunehmen.

Sie haben ja schon im Wahlkampf angekündigt, sich insbesondere mit der Naturschutzbehörde zusammensetzen zu wollen. Wie ist das Gespräch denn verlaufen?

Sachlich vernünftig, auch auf eine menschlich angenehme Art und Weise. Es gibt allerdings gerade in diesem Bereich ein paar Punkte, die ich explizit anders sehe, zum Beispiel das Thema Vorkaufsrechte, die in den vergangenen Jahren eher intensiv ausgeübt wurden. Hier vertrete ich eine andere Philosophie. Aber auch zum Beispiel bei der Anleinverordnung im Schwabener Moos, wo ich das, was ich im Wahlkampf angekündigt habe, umsetzen möchte, eine Lösung im Konsens ohne Verordnung. Wir haben uns im Juli einen halben Tag Zeit genommen, um interessante Naturschutzflächen anzuschauen. Wir diskutieren die Themen, letztlich muss ich als Amtschef auch Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen. Ich sehe mich auch als Scharnier zwischen Bevölkerung und Behörde, daher ist es mir wichtig, dass ich als gewählter Volksvertreter Entscheidungen treffe, die von den Bürgern nachvollziehbar sind.

Bei den vorangegangen Debatten im Kreistag hatte man allerdings nicht die Ansicht, dass Sie die Anleinverordnung im Schwabener Moos, die Sie gerade für zwei Jahre ausgesetzt haben, kritisch sehen. Hat sich da in Ihrer Einschätzung etwas geändert?

Nein! Der Antrag des CSU-Kreistagskollegen Martin Lechner lautete, die Anleinverordnung in Landschaftsschutzgebieten umzusetzen, und das Schwabener Moos ist kein solches Landschaftsschutzgebiet sondern ein Naherholungsgebiet. Man ging also in der Umsetzung über den beschlossenen Antrag hinaus, und hier setzt meine Kritik an. Im Übrigen hat die Untere Naturschutzbehörde damals in den Beratungen der Kreisgremien eher davor gewarnt, weil sie eine solche Verordnung sehr kritisch gesehen hat. In Markt Schwaben hat sich eine Interessensgemeinschaft mit mehr als 130 Bürgern gebildet, die eigene Ideen und Konzepte entwickelt hat. Solch ein kreativer Ansatz verdient eine Chance auf Umsetzung! Ich bin grundsätzlich kein Freund von Verordnungen und bevorzuge Lösungen im Dialog mit den Menschen. Selbstverständlich gehören in diesem Fall auch die Naturschutzverbände dazu.

Gerade von denen haben Sie wegen Ihrer ersten Amtshandlungen heftige Kritik geerntet. Wie ist das Verhältnis jetzt?

Wir hatten Ende Juli eine erste Sitzung des Naturschutzbeirates, dabei haben wir sehr intensiv gerade über das Thema Anleinverordnung diskutiert. Ich habe meine Meinung begründet, und wir werden den Dialog im Herbst weiterführen. Ich habe Verständnis, dass der Naturschutzbeirat über mein Vorgehen nicht begeistert war, weil er sich sehr lange mit diesem Thema beschäftigt hat. Aber auch hier sehe ich mich als Scharnier zwischen Bevölkerung, Behörde und Fachgremien und versuche, einen Ausgleich herbeizuführen. Ich habe eine klare Meinung und die vertrete ich auch.

Nicht nur im Naturschutz haben Sie eine frühere Entscheidung rückgängig gemacht, auch im Landratsamt haben Sie mit Rückendeckung des Kreistags eine Kehrtwende vollzogen. Der Sitzungssaal hier wird demnach doch nicht wie ursprünglich geplant verkleinert. Wie waren die Reaktionen darauf?

Aus dem Haus waren die Reaktionen insgesamt sehr positiv. Alle, die den Raum benötigen, sind dankbar, dass der Saal nicht unnötig verkleinert wird. Auch aus der Bevölkerung gibt es viele positive Rückmeldungen, wobei das Thema wegen der Kosten natürlich auch kritisch diskutiert wird. Man muss aber bedenken, dass diese Entscheidung für etwa vier Jahrzehnte trägt. Wie immer gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich bin der Meinung, ein Landratsamt ist auch ein Haus der Begegnung; für Sitzungen, für Besprechungen, für Veranstaltungen. Und Begegnung braucht eben Raum. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass es langfristig ein Fehler gewesen wäre, den Saal zu verkleinern. Die deutliche Mehrheit im Kreistag hat es genauso gesehen, mit 32 zu 21 Stimmen. Wir werden im Nachhinein dankbar sein, dass wir diesen mit 120 Quadratmetern nicht gerade üppigen Saal haben. Ob die Kreistagssitzungen künftig im Stadtsaal stattfinden oder doch wieder im Landratsamt, das ist noch offen. Aber man hat bei der letzten Sitzung im Sparkassensaal gesehen, dass wir auf 250 Quadratmetern ein wenig verloren gewirkt haben. Dann möge man sich das Ganze auf über 500 Quadratmetern Stadtsaal vorstellen. . . Dem Landratsamt tut dieser Sitzungssaal gut, schließlich möchte ich das Haus auch mehr für die Bürger öffnen.

Dass der große Saal weiter möglich ist, hat auch mit einer anderen Führungsphilosophie zu tun, wie Sie erklärt haben. Ihr Vorgänger Gottlieb Fauth wollte die Abteilungsleiter in der Nähe seines Büros; Sie hingegen wollen, dass die Abteilungsleiter bei ihren Mitarbeitern sitzen. Deshalb sind die Büros, die durch die Verkleinerung entstehen sollten, nun nicht nötig. Gibt es noch anderes, was Sie im Landratsamt grundsätzlich anders machen wollen?

Mein Vorgänger hat sehr vieles gemacht und weiterentwickelt, was nach außen gar nicht so durchgedrungen ist. Das Haus ist insgesamt gut entwickelt, aber natürlich bringt jeder Landrat seine eigene Handschrift mit.

Können Sie Beispiele nennen?

Wir sind zum Beispiel dabei, im Bereich Naturschutz und Bauabteilung die Entscheidungsstränge kompakter zu gestalten und haben aktuell einen Modellversuch gestartet, dass die Abteilungen sich zu Bauanträgen zusammensetzen und weniger Stellungnahmen hin und her schicken. Das vereinfacht und beschleunigt die Genehmigungsverfahren und spart Personalressourcen. Ich führe einen engen Dialog mit allen Mitarbeitern im Landratsamt und bin für alle Mitarbeiter vertraulich ansprechbar. Dabei nutze ich intensiv die elektronischen Medien, das ist für die Mitarbeiter ein neues Gefühl. Gleich am ersten Tag habe ich festgelegt, dass die E-Mails für mich auch ausschließlich bei mir ankommen. Diese Möglichkeit wird jetzt auch immer stärker genutzt. Ich möchte den Dialog mit den Abteilungen und Sachgebieten intensivieren und Mitarbeiter durch gezielte Schulungen motivieren. Für die Mitarbeiter ist es wichtig, einen Chef zu haben, der da ist, Verantwortung übernimmt, sich hinter seine Mitarbeiter stellt und entscheidet.

Man hat auch den Eindruck, dass Sie den Ehrgeiz haben, sehr schnell auf Bürgeranfragen zu reagieren. Denken Sie, dass Sie dieses Tempo durchhalten können?

Ich finde es einfach schön, wenn ich dabei helfen kann, Lösungen zu finden. Man sagt ja immer, ein Landrat sei nicht so bürgernah wie ein Bürgermeister. Das habe ich bisher nicht festgestellt. Was das Tempo betrifft: Das habe ich in Vaterstetten zwölf Jahre ganz gut durchgehalten und hoffe, dass ich es auch hier weiter so schaffe. Das ist mein Anspruch!

Neue Akzente wollen Sie auch im Kreistag setzen. Unter anderem haben Sie angekündigt, die guten Ideen, die auch Vertreter anderer Parteien im Wahlkampf geäußert haben, umzusetzen.

Ich war ja selbst in Vaterstetten mit einer breiten absoluten Mehrheit immer sehr aufgeschlossen für die Ideen und Vorschläge der anderen Fraktionen und galt als Konsensbürgermeister. Wir sind als Kommunalparlament - egal, ob Gemeinderat oder Kreistag - ja ein Verwaltungsorgan der jeweiligen Verwaltung und kein Parlament mit Regierung und Opposition. Wir sind alle angetreten und gewählt, um für den Landkreis und seine Bürger das Beste zu bewirken. Natürlich ist es in einem Gremium ohne klare Mehrheit, wie das im Kreistag der Fall ist, noch notwendiger, gut zusammenzuarbeiten. Das liegt mir aber und das habe ich immer schon so gepflegt, insofern bin ich für jeden kreativen Vorschlag dankbar. So wie ich das empfinde - und ich hoffe, die anderen sehen das ähnlich - herrscht ein gutes Miteinander zwischen den Fraktionen, was ich auch weiterhin pflegen möchte. Natürlich gibt es nicht immer Einigkeit in der Sache, das wäre in einem demokratisch gewähltem Gremium auch nicht normal und nicht gut. Durch einen guten Stil des Miteinanders kann man eine gute Basis schaffen, um gemeinsam den Landkreis voranbringen zu können.

Könnte es sein, dass Sie durch diese Strategie den Parteien die Ideen auch ein bisschen wegnehmen im anstehenden Kommunalwahlkampf?

Man wird sehen, wie sich das in den nächsten Monaten entwickelt. Natürlich bringt jeder seine Ideen und Anträge ein, die auch aus den Wahlkämpfen stammen, auch ich. Beim Kommunalwahlkampf 2014 fällt aber die spannende Landratsentscheidung weg und es konzentriert sich auf die Sitzverteilung im Kreistag, die auch von guten Kandidaten abhängt. Ich hoffe, dass wir auf einer vernünftigen Basis durch den Wahlkampf kommen, auch wenn sich dort das eine oder andere zuspitzt, was normal ist. Wichtig ist, dass wir danach wieder vernünftig zusammenarbeiten.

Inwiefern werden Sie selbst in den Wahlkampf eingreifen?

Selbstverständlich werde ich die CSU-Liste, der ich normalerweise als Spitzenkandidat voranstehen würde, unterstützen und mich aktiv in den Wahlkampf einbringen. Ich bin einer, der gerne Wahlkämpfe führt und beim Wettbewerb um die besseren Ideen mitmacht, das gehört zur Demokratie. Wer in der Verantwortung steht, braucht auch eine starke Mannschaft, die einen trägt und in wichtigen Fragen berät. Jeder politisch Verantwortliche braucht ein Netzwerk, denn Politik ist Teamarbeit.

Denken Sie denn, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Kreistag verändern werden?

Ich denke, das wird immer weniger absehbar. Wenn man die Wahlkämpfe der letzten Jahre ansieht, sind es oft die Dinge, die plötzlich auf die Bühne treten und die wahlentscheidend werden können. Auch der Wahlausgang auf Landes- und Bundesebene kann beispielsweise Auswirkungen haben auf die Kommunalwahlen. Mir selbst hat bei der Stichwahl die Verwandten-Affäre um den unsäglichen Schüttel-Schorsch massiv geschadet, das war zwei Wochen vorher nicht absehbar. Im August 2013 Prognosen für den März 2014 zu treffen, ist also mehr als schwierig. Eine Kommunalwahl ist letztlich auch eine Persönlichkeitswahl, und es kommt daher auch darauf an, welche Persönlichkeiten die jeweiligen Parteien auf ihre Listen setzen.

Sie selbst haben einen sehr anstrengenden Wahlkampf geführt und sind dann gleich nahtlos ins Landratsamt gewechselt - werden Sie denn jetzt die Gelegenheit haben, sich ein bisschen zu erholen?

Wenn man zwei Kinder hat, davon eines schulpflichtig, ist man natürlich an die Schulferien gebunden, und der August ist in der Politik die "stade Zeit". Deshalb werde ich jetzt die Gelegenheit nutzen, mit meiner Familie zwei Wochen in den Urlaub zu fahren und Familienzeit zu genießen.

Was machen Sie gern im Urlaub - außer, sich der Familie zu widmen?

Die Zeit mit der Familie ist im Urlaub tatsächlich das Wesentliche, weil man doch sonst sehr wenig Zeit füreinander hat. Wir wollen deshalb die Zeit, die wir in einem Ferienhaus in Istrien verbringen werden, für uns vier nutzen. Die Kinder sind mit fünf und acht Jahren schon in einem Alter, wo man Ausflüge machen und Sehenswürdigkeiten besichtigen kann. Es wird also eine gemütliche Mischung werden. Ansonsten lebe ich in den Ferien gerne in den Tag hinein, gehe einkaufen oder lese einen Thriller.

© SZ vom 16.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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