Ambitioniertes Theaterprojekt:Biedermann ist überall

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Zum 25-jährigen Bestehen ihres Vereins bevölkern die Mitglieder des Ebersberger Kulturkreises selbst als Schauspieler die Bühne. Gezeigt wird Max Frisch.

Rita Baedeker

EbersbergNormalerweise kennt man Markus Lugmayr als Kirchenmusiker, der mit Engelsgeduld einen ganzen Chor mit Orchester dirigiert. Im Augenblick scheucht er jedoch das Hausmädchen Anna herum, wird mit jeder Minute lauter, unwirscher. Ziemlich peinlich, wie sich der Hausherr da angesichts eines perfekt mit Tafelsilber und Kerzenleuchter gedeckten Tisches aufführt. Findet jedenfalls der Schauspieler und Regisseur Alexander Netschajew, der gerade mit Darstellern des Kulturkreises Ebersberg eine Szene aus "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch probt. Er hätte das Ganze allerdings gern noch einen Tick heftiger, komischer . . .

Lugmayr nimmt innerlich Fahrt auf, seine Gestik wird emotionaler. Und dann schreit er seinen nächsten Satz so laut heraus, dass es die Zuschauer fast von den Stühlen hebt: "ein schlichtes und gemütliches Abendessen habe ich gesagt!" Weg also mit dem vornehmen Plunder. Netschajew ist zufrieden.

Anlässlich seines 25-jährigen Bestehens wird der Kulturkreis Ebersberg Frischs "Lehrstück ohne Lehre" im Mai aufführen. Lugmayr spielt die Titelrolle, den Haarwasserfabrikanten Gottlieb Biedermann. Angelika Kratzer vom Vorstand hat die Rolle der Babette Biedermann. Die Brandstifter sind mit Martin Zimmerer und Florentin Will besetzt. Das Hausmädchen Anna wird von Christa Schmidmaier verkörpert. Sepp Schromm ist der geheimnisvolle "Dr. phil". Und dann spielen noch Maria Weininger (Polizistin) und Barbara Körner (Frau Knechtling) sowie der zwölfköpfige Feuerwehrchor mit, der gerade zur Bühne marschiert - in ausrangierten Uniformen der Freiwilligen Feuerwehr Ebersberg. "Die lagen lange im Keller", sagt eine der Darstellerinnen, knöpft sich die Jacke mit dem roten Emblem zu und stülpt sich den Helm auf den Kopf.

Um sich bei den Gaunern, denen Biedermann entgegen aller Vernunft Obdach gewährt, einzuschleimen, lädt er sie zum Abendessen ein, zu einem einfachen Mahl unter Freunden. Also weg mit Messerbänkchen, Weinkühler und Kristall. "Was wir brauchen, ist Menschlichkeit, Brüderlichkeit", erklärt Biedermann der verblüfften Perle. "Es gibt ganze Völkerstämme, die ohne Servietten leben." Wie zu Hause sollen sich die Verbrecher bei ihm fühlen. Dabei kündigen die doch unmissverständlich an, dass sie Feuer legen wollen. Nur will Gottlieb Biedermann das in seiner Einfalt nicht wahrhaben und beschwört seinen eigenen Untergang herauf.

Eigentlich müsste Anna davonlaufen vor diesem Irren. Genau das, so Netschajew, solle sie spielen. Der Regisseur, der in Ebersberg mit Patrick Süskinds "Kontrabass" aufgetreten ist, macht vor, wie sie sich bewegen, vor dem Hausherrn zurückweichen soll. Als Profi achtet er auf jede Nuance. Lugmayrs Ton wird indes immer schriller. Als Biedermann steigert er sich hinein in die Verbrüderungsorgie, dramatisiert Kleinigkeiten und verdrängt dabei die tödliche Gefahr.

Auch Angelika Kratzer hat eine Rolle, bei der es auf Feinheiten ankommt. Als Babette schafft sie nicht bloß eine Gans für das Festmahl herbei - der Vogel wurde von Barbara Larasser genäht -, sie muss auch eine Frau mimen, die nur ganz allmählich den Wahnsinn begreift, in dem ihr Gatte gefangen ist. Die Idee, dieses Stück einzustudieren, erzählt sie, sei ihr während einer Busfahrt gekommen. "Nach all den braunen Geschichten, die man hört, will der Kulturkreis ein politisches Signal setzen", sagt Kratzer, die sich vollkommen für das Projekt engagiert. "Nachts wache ich auf und fange an zu zitieren", sagt sie und lacht.

Frisch hatte das Stück unter dem Eindruck der Kommunistischen Machtübernahme 1948 in der Tschechoslowakischen Republik verfasst. 1952 schrieb er dieses als Tagebuch angelegte Werk im Auftrag des Bayerischen Rundfunks um in ein Hörspiel. Vier Jahre später machte er daraus ein Drama. Um nicht als politisch einseitig missverstanden zu werden, fügte Frisch noch ein Nachspiel hinzu: Darin erscheint Biedermann als deutscher Spießbürger, der sich mit den Nazis verbrüdert. "Biedermann ist zeitlos", sagt Kratzer. "Es gibt auch heute Gefahren, die wir angehen sollten, sie aber aus Bequemlichkeit verdrängen."

Alexander Netschajew sieht in dem Stück eine Abrechnung mit dem Bürgertum, eine Parabel, die er mit den Mitteln der Komödie, möglichst ohne erhobenen Zeigefinger, erzählen möchte. Bei dieser Inszenierung sei es jedoch seine wichtigste Aufgabe, Menschen ohne Theatererfahrung zum Spielen zu bringen. "Die stehen doch wie nackt und bloß auf der Bühne und müssen erst über ihren Schatten springen." Dafür agieren die Laien allerdings schon ganz schön routiniert.

Ich sehe den Biedermann als Mahnung", sagt Markus Lugmayr. "Jeder von uns hat etwas von ihm." Seinen Text hat der Ebersberger intus. Viel schwieriger sei es, später auf der Bühne alles parat zu haben, an alles zu denken. "Aber das bin ich von der Musik gewohnt."

Gespielt wird am Freitag, Samstag und Sonntag, 18. bis 20. Mai, jeweils um 20 Uhr im Alten Kino. Karten im Vorverkauf gibt es unter Telefon 08092/202 55.

© SZ vom 18.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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