"Die Widerständigen" am Filmfest:Tränen ohne Trost

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Ein Film, der sacht und energisch hineinzieht in eine Vergangenheit, die nicht vergangen ist: Katrin Seybolds hat "Die Widerständigen" über Frauen und Männer aus dem Umkreis der Weißen Rose gedreht.

Klaus Podak

Einmal, in einem Vortrag, zitierte Katrin Seybold Sigmund Freud: "Wenn einer spricht, wird es hell." Es gibt kaum einen schöneren Satz, um ihren neuen Film zu loben. Nur dass hier nicht nur einer spricht. Hell machen es, ruhig, gelassen, bewegt, überwältigt von Erinnerungen an das, was geschehen ist, Frauen und Männer, die in den Umkreis der Weißen Rose gehörten - und immer noch gehören. 92 Minuten fügen sich zu einem Werk ohne jeden Firlefanz, das nun auf dem Filmfest den Zuschauer zugleich sacht und energisch hineinzieht in eine Vergangenheit, die nicht vergangen ist.

"Die Widerständigen": Die Vergangenheit ist nicht vorbei. (Foto: Foto: Filmfest)

Schon der Titel des Films zeigt, dass hier etwas anderes entstanden ist als eine Art Guido-Knopp-Dokumentation mit unruhigem Gehampel: "Die Widerständigen. Zeugen der Weißen Rose". Das Wort "Widerständige" bezieht sich, unabhängig von Tageskämpfen, auf eine Charaktereigenschaft. Ein Widerständiger besitzt und bewahrt die Haltung der Unbeugsamkeit. Diese Haltung ist ständig präsent, bereitet Widerstand vor, wann immer er als Handlung notwendig wird.

Wahrscheinlich bilden wir uns alle ein, schon viel, vielleicht zu viel über die Weiße Rose, über Hans und Sophie Scholl, über ihre Aktionen und über ihren Tod unter dem Henkersbeil zu wissen. Das ist ein Irrtum. Davon überzeugt uns dieser Film schnell. Katrin Seybold ist nicht darauf aus, uns das allseits Bekannte noch einmal von anderen Zungen wiederholen zu lassen.

Es geht zwar um Erinnerungen, aber doch nicht nur, sondern auch um eine neue Perspektive. Es sind die Freunde der Widerstandskämpfer, die berichten. Indem sie sich an Vergangenes erinnern, erzählen sie über Gegenwart, über sich selbst, über ihre Beständigkeit. Reiche Gegenwärtigkeit ist es, die im Zuschauer starke Gefühle hervorruft. Unausweichlich entsteht die Frage: Wie hätten, wie würden wir uns verhalten in so schrecklichen Situationen, im Widerstand gegen brutal regierende Verbrecher? Wären auch wir unbeugsam geblieben? Hätten wir diesen Mut gezeigt auch angesichts des Todes?

Bewegend, wenn Traute Lafrenz-Page, damals die Freundin Hans Scholls, erzählt, was sie alles getan hat, wie sie alles erlebt hat in jenen Tagen der Konspiration. Wenn Fritz Hartnagel sich genau daran erinnert, dass er Sophie Scholl gefragt hat: "Bist du dir darüber im Klaren, dass dich das den Kopf kosten kann?" Und Sophie Scholl antwortete: "Ja, darüber bin ich mir im Klaren." Oder wenn der Halbbruder des ebenfalls ermordeten Christoph Probst in einer Kirche nach der Hinrichtung auf die Zeile stößt: "Er ist nicht tot."

Wenn Traute Lafrenz-Page immer noch auswendig aufsagen kann, was in einem der Flugblätter aus dem Prediger Salomo zitiert worden ist mit Versen, die so viel von der Haltung der Freunde zusammenfassten: "Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne; und siehe, da waren Tränen derer, so Unrecht litten und hatten keinen Tröster; und die ihnen Unrecht taten, waren zu mächtig, dass sie keinen Tröster haben konnten. Da lobte ich die Toten, die schon gestorben waren, mehr denn die Lebendigen, die noch das Leben hatten."

Mehr als zehn Freunde hat Katrin Seybold in langjähriger Arbeit aufspüren und dazu bewegen können, vor der Kamera zu sprechen. Nicht alle von ihnen leben noch. Auch dieser Umstand erinnert daran, wie wichtig es war, diesen Film zu machen. Die Zeugnisse derer, die oft nur durch Zufall überlebt haben, wirken stärker als historisierende Dokumentationen es können.

Ein leiser, starker, dem aufmerkenden Zuschauer unvergesslicher Film ist entstanden, in dem auf jede Rekonstruktion, auf jede nachträgliche Besichtigung von sogenannten Schauplätzen verzichtet wurde. Ohne ihnen durch Schnitte ins Wort zu fallen, lässt Seybold allein die Kräfte der Erinnerung wirken. Die ohne Fragen ins Bild gesetzten Gesprächsteile der unterschiedlich das damalige Geschehen vergegenwärtigenden Freunde werden nur knapp unterbrochen durch Fotos, die zum großen Teil aus dem Besitz der Zeitgenossen stammen. Es entsteht nie der Eindruck eines Interview-Films. Wir erleben mit Lebensgeschichten gefüllte Bekenntnisse, die von keiner historischen Patina in falsche Glanzstücke verwandelt worden sind.

Diesem durch Klarheit und Bescheidenheit beeindruckenden Werk wünscht man den Erfolg, den es sich in den Kinos kaum erobern wird. Denn wir alle sind verdorben durch die krachende Aufdringlichkeit Hollywoods und des Fernsehens, die lärmend Quoten sammeln. Es geht auch, viel eindringlicher, anders. Dafür ist Katrin Seybolds Film "Die Widerständigen" ein Beweis. Dafür ist ihr zu danken.

"Die Widerständigen" läuft auf dem Filmfest am Mittwoch, 25. Juni, 21.30 Uhr im Maxx 4.

© SZ vom 25.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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