Die Sieger der Kommunalwahl - eine Analyse:Macht der Mitte

Lesezeit: 4 min

Nach der Kommunalwahl - Warum das sonst vom Aussterben bedrohte rot-grüne Bündnis das Wir-Gefühl der Großstädter besetzt.

Joachim Käppner

Die drei Herren betraten den Raum mit der Selbstsicherheit von Preisboxern nach einem k.o.-Sieg in der ersten Runde. Freundlich nahmen sie Huldigungen entgegen, grimmig lächelten sie, wenn die Rede auf den gedemütigten Gegner kam, und sie versäumten in keiner Weise, den eigenen Weg zum Knock-out jenen zu empfehlen, deren linke Gerade technisch noch einige Wünsche offen lässt.

Münchens OB Christian Ude (SPD) regiert München wieder mit einem rot-grünen Bündnis. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Als Christian Ude, Ulrich Maly und Thomas Jung vergangene Woche in der Münchner SPD-Zentrale erschienen, waren drei Oberbürgermeister zu sehen, die, wie Hausherr Franz Maget jubilierte, "uns gezeigt haben: Die CSU ist zu schlagen". Ude, München: 66,8 Prozent. Maly, Nürnberg, 64,3. Jung, Fürth, 80,1! Jung erzählte von den 91 Prozent, die er im besten Stimmbezirk geholt habe, und witzelte: "Davon kann selbst der russische Präsident nur träumen."

Was hat der bloß, was ich nicht habe? So lautet von alters her die Litanei des verlassenen Liebhabers. Und die SPD, in Wiesbaden so fulminant gescheitert, scheint sonst vom Wähler verlassen. Was hat die SPD in Bayerns Großstädten, was sie in den Ländern (und auf dem Land) nicht hat?

Ein Wahlergebnis wie in München setzt sich, im Abstand von einer Woche betrachtet, aus vielen Mosaiksteinen zusammen. Das Gesamtbild aber ist klar erkennbar: Der SPD und den Grünen ist es hier gelungen, die Mitte zu besetzen.

Die Mitte, das ist ein Schlüsselbegriff aus den ersten Schröder-Kanzlerjahren. In der Mitte der Gesellschaft, so lautete nach vielen dürren Jahren der Opposition das Motto der SPD, und nur in der Mitte sei die Kohl-CDU zu schlagen; und dort siegte Schröder 1998.

Unvergessen sind seine Worte zu Franz Müntefering, als der den Slogan "Die Mitte ist rot!" plakatierte. Schröder ironisch: "Aber die Mitte ist doch blau, Franz!"

Die dehnbaren Wahrheiten der Andrea Ypsilanti sind Ude ein Gräuel. Mit der Linkspartei oder von deren Gnaden würde er niemals regieren, hat er vor der Wahl gesagt - und anders als die hessischen Genossen auch gemeint. Nichts hätte ihm in einer im Herzen konservativen Stadt mehr geschadet als der Ruck nach links.

Und kein Ergebnis hat Ude solche Genugtuung bereitet wie jenes in Sendling, wo er selbst 68,9 und Rot-Grün immerhin 57,5 Prozent der Stimmen einfuhren. Gerade Sendling, wo die CSU sich als Stimme der Bürger, der schweigenden Mehrheit, eben der Mitte andiente.

Hier, im eher kleinbürgerlichen Milieu bei der Großmarkthalle, sollte die große Moschee entstehen, ein Lieblingsprojekt Udes. Ihm erwuchs in den "Bürgern für Sendling" ein lautstarker, stets präsenter und gut aufgestellter Gegner, der auf Bürgerversammlungen mühelos Mehrheiten mobilisierte und dessen Antrieb die Furcht vor dem Fremden ist.

In Sendling lässt sich klar ablesen, warum die Strategie des Herausforderers nicht aufgegangen ist. Heute sagt Ude, nicht ohne boshaften Unterton: "Das Duell Ude-Gauweiler war sicher spannender als das Ude-Schmid. Aber dafür kann ich ja nichts."

Anders als einst Peter Gauweiler ritt der junge CSU-Kandidat Josef Schmid keine wilde Attacke am rechten Flügel. Er wählte die Mitte als Kampfplatz. Es gibt ja nicht nur Sonnenseiten des Rathausbündnisses: fehlende Kinderbetreuungsplätze, öde Neubaugebiete, hohe Gewerbesteuer, nicht unerhebliche Schulden.

Aber es war die Moschee, die Schmid schon früh zu ganz anderen Festlegungen zwang. Er musste Rücksicht auf den mächtigen rechten Flügel der Partei nehmen. Gegen den Willen der Bürger paukt Rot-Grün ein linkes, weltfremdes, gefährliches Multikultiprojekt durch - so die CSU-Lesart, wobei sich Schmid, wie bei anderen Themen auch, noch ein Türchen offenhielt, ob eine Moschee vielleicht doch irgendwann irgendwie möglich wäre. Die Verwechslung von Ressentiment und wirklichem Bürgerwillen in Sendling war spektakulär.

Ude und Rot-Grün haben das in München sehr ausgeprägte Wir-Gefühl der Großstädter erfolgreich okkupiert. Auf geschickte Weise sammelt der Oberbürgermeister "gesellschaftliche Bündnisse" um sich, in denen die tragenden Gruppen der Stadt und nebenbei auch seine Parteigänger gut vertreten sind.

Seine Strategie gegen die Privatisierung der Stadtwerke und anderer kommunaler Einrichtungen dient auch dem Zweck, den Bürger möglichst eng an seine Stadt zu binden: Wer, wie der FDP-Kandidat Michael Mattar, die Stadtwerke verkaufen will (bei Schmid wusste man es wieder nicht so genau), der nimmt uns etwas fort.

Damit war Ude überaus erfolgreich. Sein Leitbild ist in München wie im Deutschen Städtetag die handlungsfähige, fürsorgliche, auch sozial verantwortliche Stadt. Ein umfassendes Netzwerk an Hilfen, Beratungsstellen und Sozialeinrichtungen federt diesen Kurs ab - jeder, der hier eine Wende will, wird mit dem Vorwurf sozialer Kälte leben müssen.

Die Grundlage dafür legte schon Georg Kronawitter, als er 1990 eine Koalition mit der CSU in den Wind schrieb und sein seinerzeit verteufeltes Rathausbündnis mit den Grünen einging: "Die CSU erfüllt unsere zentralen Forderungen für die Mieter nicht. Das ist für uns der Knackpunkt!"

Aus der Mitte war Ude durch wüste Attacken nicht zu verdrängen - und gerade dadurch nicht. Die Moschee-Kampagne hat Schmid keinerlei Gewinn gebracht, die Plakatkampagne zur Jugendgewalt, eine Kopie der Kochschen Brachialwahlkämpfe, enormen Schaden. Er hat eine Besonderheit von Kommunalwahlen verkannt: Es gibt kaum einen besseren Ort für die bürgerliche Mitte als die Stadtgesellschaft, noch dazu eine, deren Wohlbefinden so groß ist wie in München.

"Die rot-grünen Schreckgespenster", hat Maly in München sehr treffend gesagt, "wirken nicht mehr, wenn unsere Mehrheiten so tief ins bürgerliche Lager hineinreichen." Die Themen der Stadt sind zu kleinteilig für die ganz großen Lagertheorien; Bebauungspläne, Durchführungsverordnungen, Lokalbaukommissionen, das ist eher eine Welt pragmatischer Kompromisse und nicht inszenierter Glaubenskämpfe.

Persönlich kann Schmid glaubwürdig Toleranz gegenüber Muslimen, neuen Lebensformen, schwulen Festumzügen bekunden; dass er, als moderner junger Vater, die Kinderbetreuung dringend ausbauen will, ist über Zweifel erhaben. Nur: Dem Menschen Schmid glaubt man, dem Politiker weniger - denn bis vor kurzer Zeit war es doch seine Partei, welche Frauen am liebsten am Herd, Türken am liebsten tief in der Türkei und Schwule am liebsten nirgendwo gesehen hätte.

Wenn die CSU in München die Mitte besetzen will, ist Schmid trotz des Wahldebakels der richtige Mann. Er hätte dann sechs Jahre Zeit, seine Partei zu drehen - Richtung Mitte. Erst dann wird er ein gefährlicher Herausforderer sein.

In der Schröder-Zeit hieß es in der SPD sarkastisch, des Kanzlers Strategie laute: Wo ich bin, ist die Mitte. Für Ude gilt das in gewissem Sinne auch. Und 2014 tritt er nicht mehr an.

© SZ vom 10.03.2008/ngh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: