Die neuen Glocken der Frauenkirche:Heiliger Bimbam

Lesezeit: 2 min

Domkapellmeister Nies spricht im SZ-Interview über die Akustik des Frauenkirchen-Geläuts und "Susannas" neue Schwestern.

Interview: Christian Mayer

(SZ vom 23.12.03) — Seit dem Mittelalter geben die Glocken der Frauenkirche dem Münchner Alltag eine feste Ordnung. 2004 wird sich im Nord- und Südturm einiges tun: Der Dom erhält drei neue Glocken, die gerade in Passau gegossen wurden.

Über das heilige Gebimmel, die Konsequenzen aus dem aktuellen Gerichtsurteil und die Bedeutung der Glocken sprachen wir mit Domkapellmeister Karl-Ludwig Nies.

SZ: Haben Sie in Passau auch ein Stoßgebet zum Himmel gesandt, als die drei Glocken gegossen wurden?

Nies: Es war ein spannender, freudiger Moment für mich. Nun werden wir die alte Harmonie wieder erreichen, wie wir sie bis zum Zweiten Weltkrieg hatten.

SZ: Aber nur wenn alles gut gegangen ist - immerhin ist die Geburt einer Glocke eine sehr heikle Angelegenheit.

Nies: Wir rechnen damit, dass wir zu Ostern 2004 wieder zehn Glocken haben. Glockengießen ist eine archaische Kunst, man kommt sich fast so vor wie in der Bronzezeit. Natürlich gibt es da ein Risiko, wenn das Metall in die Form gegossen wird und es zu Unregelmäßigkeiten kommt. Der Glockengießermeister glaubt aber, dass alles gut gegangen ist.

SZ: Werden wir Münchner einen klanglichen Unterschied hören, nachdem der Kran die Glocken neunzig Meter in die Höhe gewuchtet hat?

Nies: Sie werden merken, dass der Ton voller klingt, strahlender.

SZ: Zu hören sind die Glocken ja in weiten Teilen der Innenstadt.

Nies: Das liegt daran, dass die Türme so hoch sind, aber je weiter der Radius, desto weniger heftig empfindet man den Glockenschlag. Bei Kirchen, deren Glocken niedrig hängen, ist dies anders. Auch gibt es verschiedene Methoden, die Akustik zu beeinflussen. Die klassische Art ist, die Glocke mit dem Klöppel anzuschlagen und zum Schwingen zu bringen. Leiser ist das Anschlagen mit dem Hammer, um Stunden anzuzeigen.

SZ: Welche Glocken werden für die Zeitangaben am Dom betätigt?

Nies: Die Frauenglocke und unsere Susanna, ein Prachtstück aus dem Jahr 1490! In Fachkreisen gilt sie als schönste Glocke Süddeutschlands. Ein Meisterwerk gotischer Glockengießerkunst, 8000 Kilo schwer. Susanna war nie in Reparatur, und ebenso alt ist das Glockengestühl mit unseren fünf gotischen Glocken. Wie durch ein Wunder haben die Frauentürme den Krieg überstanden.

SZ: Und wie müssen wir Laien uns den technischen Vorgang des Läutens vorstellen?

Nies: Ehrenamtliche Glöckner, die eine Glocke mit Muskelkraft zum Schwingen bringen, gibt es seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir können die Elektronik von Hand betätigen, aber in der Regel läuft alles am Computer und ist schon fertig programmiert.

SZ: Das Anschlagen der Glocken ist heute leiser als früher, als der Dom den Rhythmus des Alltags vorgab.

Nies: Das stimmt, aber es liegt auch am Geräuschpegel in der Stadt. Wer in der Innenstadt lebt, nimmt das Läuten irgendwann kaum mehr wahr. Wir läuten ja nicht rund um die Uhr in einem fort, sondern verwenden die Glocken entsprechend ihrem eigentlichen Sinn: Sie sollen Zeichen sein, das zu Gott ruft. Einmal täglich wird die Abendmesse eingeläutet, und morgens, mittags und abends läuten wir mit einer Glocke zum Gebet. Sonntags läuten wir zum Hauptgottesdienst und zur Spätmesse.

SZ: Als Kapellmeister wählen Sie auch bei besonderen politischen Ereignissen die richtige Glocke aus.

Nies: Beim ökumenischen Gottesdienst zum 11. September 2001 habe ich mich für ein ernstes Motiv entschieden, mit tiefen Glocken. Bei freudigen Anlässen sind die Töne heller, da läuten wir mit allen Glocken. Die Menschen sollen am Ruf der Glocken spüren, wenn etwas Besonderes geschieht.

SZ: Über die Feiertage ist es etwas stiller in der Stadt, viele Menschen nehmen das Geläut wieder bewusst wahr.

Nies: Was die Glocken miterlebt haben, ist faszinierend: Krieg und Frieden wurden von Glocken begleitet, oder der Einzug Kaiser Karls V. in München. Nun werden sie bald wieder so klingen, wie sie der große Dommusiker Orlando di Lasso einst hörte. Sie werden wieder ihren alten, weichen Klang bekommen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: