Designerin Anna Heinrichs:Dandy-Mode fürs Schlafzimmer

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Alle Pyjamas sind im Damen- oder Herrenschnitt gefertigt. Ergänzt werden sie durch eine Serie aus Nachthemden, Boxershorts und Hausmänteln. (Foto: Dirk Bader)

Die Münchner Designerin Anna Heinrichs gehört zu den hoffnungsvollsten Talenten in der deutschen Mode-Szene, obwohl sie sich auf ein einziges Kleidungsstück spezialisiert hat. Sie entwirft Pyjamas - mit Tapetenmuster.

Von Anne Goebel

Horror vacui, die Angst vor der Leere: Für ein Modelabel ist das schon ein ungewöhnlicher Name, noch dazu, wenn die Stoffe so farbenfroh sind wie bei Anna Heinrichs. Eine Marke, die das Schaudern im Titel führt - und dann Blütenmuster? Wer sich auf einen Kaffee mit der jungen Designerin aus München trifft, die dunkle Kleidersäcke aus ihrem Auto zerrt, um möglichst viel von ihren Sachen vorzeigen zu können, merkt ziemlich schnell: Hinter jedem Detail steckt hier ein Konzept, ein Gedanke.

Die 30-Jährige kommt mit iPad sowie einem Stapel französischer Kunstpostkarten an den Tisch, und es beginnt ein kleines Seminar. Sie erläutert die Parallelen zwischen Paul Signac und ihrer Sommerkollektion. Sie deutet auf Blätterranken und erklärt, dass Horror vacui in der Malerei eine Fülle an Ornamenten bezeichnet. Weil aber all der Überbau nicht ausreicht für die Tatsache, dass Anna Heinrichs als eines der hoffnungsvollsten Münchner Talente in der deutschen Designerszene gilt, kommt noch diese Spur Aberwitz ins Spiel. Die Mode liebt Verrücktheiten, die mit heiligem Ernst betrieben werden. Und Anna Heinrichs entwirft mit Ausdauer, Akribie und Hingabe ein einziges Produkt: Pyjamas.

Ikonen des Dandytums

Keine Frage, dass legere Hauskleidung in edler Aufmachung eine lange Geschichte hat: Von der Robe de chambre des Rokoko bis zum stilechten Dressing gown eines Gentleman, auch den Märchenkönig Ludwig II kann sich jeder Münchner gut vorstellen im extravaganten Schlafrock. "Und natürlich Lord Byron, das berühmte Bild", sagt Anna Heinrichs - das Gemälde mit dem Dichter der Romantik im burgunderroten Morgenmantel gilt als Ikone des Dandytums, obwohl zu seiner Zeit der Begriff noch gar nicht geläufig war. Dennoch ist es für eine Jungdesignerin kaum naheliegend, sich auf ein modisches Randphänomen zu konzentrieren: Kleidung für zu Hause. Oder es ist einfach ein kluger Schachzug.

Anna Heinrichs studierte, ganz solide, Rechtswissenschaften, die Begeisterung für besondere Stoffe ließ sie aber nicht los. (Foto: Dirk Bader)

Und der Erfolg gibt Anna Heinrichs ja auch recht, die in plissiertem Rock und strengem schwarzem Top immer neue Hosen und Oberteile in fließender Seide aus den Verpackungen schält. Die in Zartgrau und Pastell gehaltene Kollektion "Cloud", die Serie "Montis" mit grafischem Bergpanorama-Muster in Schiefer und Preiselbeerpink: Keine Geringere als Christiane Arp, Chefredakteurin der deutsche Vogue, ist bei ihrer deutschlandweiten Suche nach vielversprechendem Nachwuchs auf die Kreationen der Münchnerin aufmerksam geworden. In diesem Juli durfte Anna Heinrichs eine Auswahl im Vogue-Salon zeigen, der zweimal jährlich stattfindenden Talentschau der Modezeitschrift während der Fashion Week in Berlin.

Finesse der Schneiderkunst

Das gleicht schon einem kleinen Ritterschlag, und vor allem werden die ausgewählten Labels über mehrere Saisons begleitet. Das ermöglicht langfristig die wichtigen Kontakte zu Agenturen und Händlern. "Es war schon toll", sagt Anna Heinrichs über die Berliner Tage, und es klingt ein bisschen ungläubig wie bei einer Studentin, die gerade ein begehrtes Stipendium für Rom oder New York ergattert hat.

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Außergewöhnlich sind die Horror-Vacui-Pyjamas zweifellos, die im Damen- oder Herrenschnitt gefertigt sind und ergänzt werden durch eine Serie aus Nachthemden, Boxershorts und Hausmänteln. Die stoffbezogenen Knöpfe, die aufwendig paspelierten, also mit farblich passenden Bordüren eingefassten Kanten und Knopflöcher: Die Designerin scheint gerade in die Prachtstücke für den Hausgebrauch alle Finesse der hohen Schneiderkunst stecken zu wollen.

Und darin liegt eine wahrscheinlich ziemlich zeitgemäße Auffassung von Luxus, die hier zur Grundlage einer geschickten Geschäftsidee wurde und auch der Vogue-Jury kaum entgangen sein wird. Seit Jahren erlebt die Modebranche eine Besinnung auf hochwertige Klassiker, die im überhitzen Shoppingtheater aus permanenter Verfügbarkeit und überteuerten Markentrophäen das Gefühl echter Exklusivität vermitteln. Das Aufleben der Maßateliers, die Rückkehr zu handgenähten Schuhen oder Taschen, zur gediegenen Gentleman-Attitüde - dazu passen perfekt Anna Heinrichs' dekorative Schlaf- und Hausgewänder aus der Münchner Häberlstraße, für die der geneigte Kunde eine stolze Summe hinlegen muss.

Anna Heinrichs gilt als eines der hoffnungsvollsten Münchner Talente in der deutschen Designerszene - sie entwirft Pyjamas wie diesen hier. (Foto: Dirk Bader)

Dafür sieht er dann beim Gabelfrühstück in tiefblauem Paisleymuster aus wie Oscar Wilde daheim in der Londoner Tite Street. Wobei Heinrichs, die ihre langen Haare offen trägt, von Anfang an auch auf weibliche Klientel gesetzt hat - und das Model in ihrem Kollektions-Lookbook gleicht ganz sicher nicht zufällig einer viktorianischen Schönheit mit der blassen Haut und dem kupferroten Schopf. Ein Hauch von Dorian Gray, von morbiden Jugendstilmusen scheint über dem Katalog zu liegen.

Alles passiert im Schlafzimmer

Bleibt die Frage nach dem Beginn: Wacht man eines Morgens auf und beschließt, die schönsten Pyjamas der Stadt zu entwerfen? Anna Heinrichs schüttelt den Kopf und greift nach einem der Kunstbände, die sie mitgebracht hat, wobei die Sache mit dem Aufwachen so falsch gar nicht ist. Skizzieren, Stoffproben zusammenstellen, Prototypen nähen, das geschieht derzeit noch alles in ihrem Schlafzimmer der kleinen Wohnung in der Nähe des Goetheplatzes. Ein Horror-Vacui-Atelier gibt es nicht, von einem Showroom ganz zu schweigen. Dafür steht das Label mit den bisher zwei Kollektionen noch zu sehr am Anfang, also wird eben das Apartment umfunktioniert.

Das Buch, in dem Heinrichs blättert, zeigt die farbintensiven Bilder des russischen Malers Boris Kustodijew, der sie mit seinem Faible für Interieurs und Ornamente schon als Jugendliche begeistert habe. Die Wandlung der Juristin Anna Heinrichs zur Modeschöpferin hat nämlich einiges mit ihrer Herkunft und Geschichte zu tun - sie gehört zu den Quereinsteigern, die nicht selten mit mehr Experimentierfreude und Detailversessenheit auffallen als die Absolventen arrivierter Designschulen. Und vor allem mit mehr Leidenschaft.

Eine kontinuierliche Liebelei

Kein spontaner Einfall also, die Gründung von Horror Vacui, sondern eine kontinuierliche Liebelei. Vor zwanzig Jahren kam die Tochter deutschstämmiger Eltern mit ihrer Familie aus Kiew in die Bundesrepublik. Sie wuchs in einem kulturinteressierten Umfeld auf, der Vater pochte auf Lektüre der Klassiker, man liebte Malerei, Musik, schöne Dinge. Mode, der kunstvolle Umgang mit Textilien, sagt sie, habe sie immer fasziniert, "aber mich an einer Schule zu bewerben, das habe ich mich nicht getraut."

Stilistisch ergänzt werden die modischen Schlafanzüge durch eine Serie aus Nachthemden, Boxershorts und Hausmänteln. (Foto: Dirk Bader)

Sie studierte, ganz solide, Rechtswissenschaften, die Begeisterung für besondere Stoffe ließ sie aber nicht los. Beim Auslandssemester in Mailand stahl sie sich in die Modenschauen großer Häuser, die beruflichen Verbindungen ihrer Mutter zur Bekleidungsindustrie nutzte sie, indem sie sich stapelweise Stoffproben bestellte. "Einfach weil ich sie so schön fand". Vor allem die üppig bedruckte Baumwollware der Londoner Traditionsfirma Liberty gefiel ihr, und als sie sich vor ein paar Jahren aus einer Laune daraus einen Schlafanzug nähte, wollten plötzlich ihre Freundinnen auch einen haben. Dann die Bekannten ihrer Mutter. Dann die Freunde der Freundinnen. So entstand die Idee, auf der eigenen Begeisterung und derjenigen der Beschenkten eine Marke aufzubauen.

Ob sie funktionieren wird, ist natürlich alles andere als gewiss, aber Anna Heinrichs hat einige Vorteile auf ihrer Seite. Produziert wird in der Ukraine, die Familie unterstützt sie, sie tingelt unermüdlich auf Messen. Und das Gefühl, sagt Anna Heinrichs mit einem sehr langen Blick auf den grün geflammten Stoff eines Sommerpyjamas, habe sowieso von Anfang an gestimmt. "Seit ich in die Mode eingestiegen bin, wusste ich: Im Grunde ist es genau das. Und schon immer gewesen." Überflüssig zu sagen, dass sie ihre Seidenstücke, zu Jeans oder einem schlichten Shirt, auch auf der Straße trägt.

© SZ vom 08.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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