Dauerbaustelle Müllerstraße:Das Chaos-Haus

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Dreck, Lärm und gekappte Leitungen: Das Anwesen Müllerstraße 45 ist seit zwei Jahren eine wüste Dauerbaustelle - die Mieter sind entnervt.

Bernd Kastner

Wer zu den Zettls will, muss findig sein. Man muss den rechten Weg finden, und das ist nicht einfach, selbst wenn man schon vor der Hausnummer 45 in der Müllerstraße steht. Müllerstraße ist Glockenbach, ist trendig und begehrt, aber dieses Haus ist das Gegenteil. Unten, im Erdgeschoss, wo einst der Laden von "Schlafzimmer Stephan" war, ist nichts mehr. Viele hundert Quadratmeter Leere, eine tote Baustelle. Nur an den Schaufenstern tut sich was: Plakate werden hingeklebt und abgerissen, Fetzen bleiben; Fenster sind mit Brettern vernagelt, Mülltonnen stehen davor, Unrat sammelt sich.

Auf dem Weg in ihre Wohnung: Wenn Siegrid Zettl nach Hause will, muss sie einen langen Marsch durch das halbe Anwesen Müllerstraße 45 zurücklegen. Die Baustelle geht nun in den dritten Winter. (Foto: Foto: Rumpf)

Das Anwesen hat Vorder-, Mittel- und Hinterhaus. Hans und Siegrid Zettl leben seit 51 Jahren im Vorderhaus, erster Stock, und der Weg zu ihrer Wohnung geht so: Links rein in die Einfahrt; wenn dort Autos der Baufirmen stehen, und es sind oft fünf und noch mehr, muss man sich durchzwängen. Linker Hand das Klingelschild, 44 Knöpfe hat es, doch nur in etwa jeder dritten Wohnung lebt noch jemand.

Die Zettls haben gewarnt: Den Eingang des Vorderhauses darf man nicht benutzen, zu gefährlich. Man geht über den kleinen Innenhof zum Mittelhaus, durch Pfützen, Kies und Matsch. Im Halbdunkel führt ein Gang zum Treppenhaus. Vorbei an den Briefkästen, von 15 sind neun verklebt, da verlischt das Licht. Kabel hängen von der Decke, verschwinden in den Wänden, die Schritte knirschen leise, das kommt vom Staub und vom Dreck.

Kopf einziehen!

Erster Stock. Rechter Hand eine angelehnte Tür, sie war mal Wohnungstür. Jetzt ist sie der Beginn des Durchgangs zurück ins Vorderhaus. Rot-Weiße Bänder weisen den Weg durch Räume mit rohem Mauerwerk, ein Band liegt am Boden, eines hängt, man muss die Mitte finden. Weiter über Bretter, Bretter lehnen auch an der Wand, dann vier Holzstufen nach oben. Die Wand ist durchbrochen hier, man steht in der nächsten Wohnung. Die war schon fast fertig, die Wände schon geweißt, das Bad völlig neu, aber die Wohnung ist nur noch Durchgang. Stufe hoch, nächstes Zimmer, nächste Stufe, Kopf einziehen! So niedrig ist der Ausgang ins Treppenhaus.

Jetzt ist man im Vorderhaus, irgendwo hier wohnen die Zettls, und es wird klar, warum das Treppenhaus hier tabu ist. Geradeaus ist der Abgrund. Die Treppe runter ins Parterre ist neu gemacht, aus Beton, aber von einer Sicherung, einem Geländer oder nur einem Band, ist nichts zu sehen, wie auch an vielen anderen Tagen, sagen die Bewohner. Rechts geht's weiter gen Zettls. Über federnde Bretter vorbei am neuen Aufzug, der noch nie in Betrieb war. Links ab, zwei Stufen hoch, über eine Art Bretter-Brücke, zwei Stufen runter, hier also wohnen die Zettls.

Seit zwei Jahren ist das Haus Baustelle. Man kann nicht sagen, dass sich hier nichts tut. Das Anwesen verändert sich ständig, anfangs kam es vor, dass Steine von oben runterfielen, einige auf Autos. Das Dach wurde abgerissen, ohne Genehmigung, die Behörde stoppte die Arbeiten. Keller wurden aufgebrochen und leer geräumt, Speicherabteile auch.

Es gab Tage, da stand das Dixi-Klo der Arbeiter auf dem Gerüst an der Müllerstraße, über den Köpfen der Passanten, direkt unterm Fenster der Zettls. Man würde es nicht glauben, wenn es die Mieter nicht fotografiert hätten. Hans und Siegrid Zettl sind, zurückhaltend formuliert, wütend. Herta Haspel, Iphigenie Kantzeloglou, Eyreen Prochnow und Vera Hahn sind es auch. Sie haben sich in einem Wohnzimmer im Hinterhaus versammelt und berichten, was sie so erleben.

Vor dem Fenster steht ein Gerüst, darauf Dreck und Schutt, es wird offenbar schon lange nicht mehr benutzt. Als das Haus verkauft wurde vor zwei Jahren, da hat sich noch niemand was gedacht. Schließlich war der neue Eigentümer die Firma Basic, die im Erdgeschoss einen neuen Biomarkt einrichten wollte, und eine GbR um den Basic-Gründer Johann Priemeier. Bald aber gingen die Eigentümer und ihre Beauftragten durchs Haus, drängten die Mieter zum Gehen. Geld gegen Auszug. Intern wurde eine Entmietung mit 20.000 Euro bewertet. Soviel ist eine leere Wohnung offenbar mehr wert auf dem Markt, wenn man sie als Eigentum verkauft.

Dann aber entzweiten sich die beiden Haupteigentümer, Basic entließ Priemeier als Vorstand. Ausgerechnet in der Müllerstraße 45 aber hängen die beiden noch zusammen: Beide sind Miteigentümer - Basic seit Beginn zu einem, Priemeier inzwischen zu zwei Dritteln - beide sind also Vermieter, weshalb sich Basic formal all das zuschreiben lassen muss, was in diesem Haus passiert. Auch wenn die Firma selbst mit den Wohnungen nie zu tun hatte, das managt ihr Ex-Vorstand. Und über die Zukunft des Ladens verhandle er weiter mit Basic, lässt Priemeier wissen. Basic äußert sich auf Nachfrage nicht zu dem Anwesen.

Nicht nur Staub, Dreck und Lärm

Auf der Baustelle ging über Monate gar nichts voran, und besser geworden, sagen die Bewohner, sei bis heute fast nichts. "Die nehmen keine Rücksicht auf uns Mieter", schimpft Frau Kantzeloglou. Nicht nur Staub, Dreck und Lärm seit zwei Jahren. Bewohner berichten vom Licht im Hof und in den Treppenhäusern, das über Wochen nicht funktioniere, manche greifen zur Taschenlampe für den Weg zu ihrer Wohnung. Vom Fernsehempfang sei man abgeklemmt gewesen, das Wasser werde immer wieder ohne Vorankündigung abgestellt.

Weil alles offen stehe, seien die Heizkosten enorm gestiegen, an vielen leeren Wohnungen fehlen die Türen, überall ziehe es empfindlich. Das Hinterhaus ist nur durch einen Weg, der durch den rückwärtigen Laden führt, zu erreichen. Zwischen Stahlstreben führt er hindurch, wirkt wie ein Tunnel, in jeder Ecke könnte ein ungebetener Gast lauern, den Bewohnern ist unwohl. "Ich habe noch nie ein so dilettantisches Vorgehen erlebt", sagt Christian Fletcher, Anwalt der Zettls. Der Eigentümer scheine "überfordert" zu sein.

Johann Priemeier hatte sich 2007 im SZ-Interview selbstkritisch gegeben. Ob er nicht reichlich unprofessionell vorgegangen sei? "Das ist richtig. Der Grund liegt in meiner Unkenntnis im Immobilienbereich. Ich bin kein Immobilienmann und will auch keiner werden." Doch er versprach, fortan alles besser zu machen. Vor eineinhalb Jahren war das. Jetzt lässt der Vermieter seinen Pressesprecher sprechen. Den hat er im Frühjahr engagiert, um den Kopf frei zu haben für andere Dinge im Leben eines Geschäftsmannes. Der Sprecher sagt, dass er gar nicht verstehen könne, warum sich die Zeitung dieses Hauses annehme, solche Baustellen gebe es doch zigfach in München.

Dann spricht der Sprecher über die Handwerker als solche: Er selbst warte auch schon seit einem halben Jahr, dass er in seinem Reihenhaus die bestellte Duschabtrennung bekomme. Ein halbes Jahr! Diese Handwerker! Und mit solchen habe es halt auch der Herr Priemeier zu tun. Der Sprecher lobt seinen Auftraggeber ("Der Herr Priemeier ist ein ganz lauterer Kaufmann."), und betont, dass es der frühere Generalunternehmer sei, der "so schlampig gearbeitet" habe.

Das sagt auch der neu engagierte Bauleiter, er ist freischaffend tätig und will seinen Namen ungern in Zusammenhang mit der Müllerstraße genannt wissen: "Es schaut ziemlich wüst aus." Er nimmt kaum ein Blatt vor den Mund, das kann er auch, denn er ist erst seit September zuständig: "Es ist erstaunlich, wie weit man ein Objekt ins Negative bringen kann." Der Bauleiter berichtet von undichten Dächern in Mittel- und Hinterhaus, durch die es reingeregnet habe. "Wir versuchen händeringend, die Substanz in den Griff zu kriegen."

Er erzählt vom "Leitungschaos" in dem Haus, über Jahrzehnte sei gestückelt und geflickt worden, beim Wasser, bei der Antenne. "Das Haus an sich war einfach schlecht." Er tue alles, um den Bewohnern zu helfen, bis Jahresende das Dach dicht und das Vorderhaus fertig zu kriegen. "Ich versuche, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Dass es sehr dreckig ist, haben Sie gesehen." Ja, er verstehe den Frust der Mieter, "die Wohnsituation ist keine angenehme", doch die Bewohner zeigten viel Verständnis. Aber andererseits: "Wenn man sich entscheidet, entgegen jedem Rat, auf einer Baustelle zu leben ..." Er vollendet den Satz nicht.

Eyreen Prochnow ist die Jüngste in der Wohnzimmer-Runde im Hinterhaus, sie ist vor vier Jahren eingezogen. Nicht, weil sie eine stylische Wohnung in einem In-Viertel wollte, sondern weil sie bezahlbar war, zehn Euro der Quadratmeter. Jetzt habe ihr Priemeier eine der renovierten Wohnungen im Vorderhaus angeboten, für 16 Euro. Da lacht die Mieterin: Als ob sie sich das leisten könne.

"Nur ein kleiner Trost"

Priemeier lässt ausrichten, dass dieser Betrag nie Thema gewesen seien. Und die Preise für die vermieteten Wohnungen würden "nur moderat steigen", betont der Eigentümer, man tue alles, damit die alten Mieter bleiben könnten. Der Sprecher schreibt auch das: Herr Priemeier zeige "sehr viel Mitgefühl, was das momentane Leben zwischen Bauschutt und offenen Leitungsschächten angeht".

Die 20-prozentige Mietminderung sei "nur ein kleiner Trost". Kurz darauf lässt Vermieter Priemeier die Bewohner "zum vorweihnachtlichen Stammtisch" in ein Wirtshaus einladen, er selbst komme auch. "Renovierungsarbeiten sind etwas Fürchterliches", schreibt die Hausverwaltung. "Bevor alles in neuem Glanze erblüht", wolle sich Herr Priemeier bei einem "gemütlichen" Abendessen für die Geduld bedanken.

Es ist finster geworden, während die Mieter vom Leben im dritten Baustellen-Winter berichteten. Der Weg nach draußen führt wieder durch Dreck und Pfützen. Man erkennt nur noch schemenhaft, was an diesem Abend im Hof neben dem Klingelschild mit dem Totenkopf so alles liegt: Ein alter Kinderwagen, eine ausgehängte Tür, ein Gepäcktrolley vom Flughafen. Darauf ein alter Farbeimer, halb gefüllt mit gefrorenem Wasser, darin ein abgebrochener Flaschenhals und eine unversehrte Flasche, Marke Tegernseer Hell, leer.

© SZ vom 18.12.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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