"Das tut mir weh":Schule als Lehr- und Abfütterungsanstalt

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Das Luisengymnasium droht als Ganztagsschule zu scheitern, weil schon bei der Mensa gespart wird.

Christian Rost

Als das städtische Luisengymnasium 2005 zu einer echten Ganztagsschule ausgerufen wurde, war die Begeisterung groß. Für dieses Schuljahr lagen sogar 163 Anmeldungen für 90 Plätze vor. Wenige Tage vor Schulbeginn ist nun von den Plänen kaum mehr etwas übrig.

Weil das Gymnasium aus allen Nähten platzt und die Stadt für Umbauten nicht genügend Geld zur Verfügung stellt, kann das Ganztagsangebot nicht wie geplant ausgeweitet werden. Lediglich für die unteren Jahrgangsstufen gilt es noch - doch auch hier ist die Zukunft fraglich.

Anders als vorgesehen, werde die Ganztagsform bis auf weiteres höchstens bis zur sechsten und nicht bis zur achten und neunten Jahrgangsstufe angeboten, informiert Schulleiter Peter Kemmer in einem Rundschreiben die Eltern.

"Das tut mir weh"

Der Schritt zurück fällt Kemmer schwer: "Das tut mir weh." Eltern und Lehrer, die sich für die Umsetzung des Projekts begeistert und engagiert haben, sind enttäuscht und verärgert.

Externe Unterstützer der Schule - eine Stiftung, eine Gruppe Architekten und ein Dokumentarfilmer - kritisieren den fehlenden politischen Willen für eine echte Ganztagsschule bei der Stadt.

Der Knackpunkt ist die viel zu kleine Mensa an der Schule, in der nicht genügend Schüler verköstigt werden können. Im aktuellen Schreiben des Schulleiters heißt es, die Stadt sehe sich "aufgrund fehlender finanzieller Spielräume leider nicht in der Lage, den Umbau unserer Mensa so zu gestalten, dass wir das Ganztagsgymnasium bis zur achten oder neunten Jahrgangsstufe anbieten können".

Die jetzige Mensa werde lediglich im Sommer 2007 umgestaltet und etwas vergrößert und nicht im Bereich der benachbarten Läden realisiert, wie von der Schule und vielen externen Fachleuten für notwendig erachtet, so Kemmer.

"Wegen des weiterhin bestehenden Engpasses bei den Räumen werden wir das Ganztagesgymnasium auf Dauer höchstens bis zur Jahrgangsstufe sechs anbieten können. Erst die Erfahrungen des kommenden Schuljahres zeigen, ob auch dies überhaupt möglich ist."

"Nicht absehbar"

Das Schulreferat ist zwar der Auffassung, dass "die 6. Jahrgangsstufe nicht in Frage steht". Referatssprecherin Eva Maria Volland räumt aber ein: "Was nächstes Jahr sein wird, ist noch nicht absehbar."

Nach Ansicht Kemmers ist die Mensa nicht nur von der Fläche her zu klein, auch die Aufteilung der Schüler während des Mittagessens auf mehrere Räume bereitet Schwierigkeiten.

In jedem Raum wird eine zusätzliche Aufsicht benötigt. Darüber hinaus gibt es an der Schule keine dringend benötigten Aufenthaltsräume für die Schüler zwischen den Unterrichtsstunden.

Die Münchner Architektin Annette Fest bezweifelt deshalb, dass sich das Ganztagsschulkonzept überhaupt weiter umsetzen lässt. Sie war Lehrbetreuerin einer Gruppe Innenarchitektur-Studenten der Fachhochschule Rosenheim, die ohne Honorar ein Konzept für den Ganztagsbetrieb am Luisengymnasium ausarbeiteten.

Unter dem Arbeitstitel "Lebensraum Schule" ging es neben Varianten für die Mensa, Cafeteria, den Eingangs- und Lehrbereich insgesamt um neue Aspekte des Schulbetriebs.

Mieten sind wichtiger

Das Ziel war trotz der beengten Lage eine räumliche Öffnung der Schule im denkmalgeschützten Theodor-Fischer-Altbau und dem schmucklosen Anbau am Hauptbahnhof. Zudem sollten "Freiräume für Bewegung, Rückzug und soziales Lernen" geschaffen werden.

"Ganztagsschulen müssen diesen Lebensbereichen, die bislang ihren Platz im Privatleben hatten, Raum geben", ist Fest überzeugt. Der reine Frontalunterricht müsse sich zu selbstbestimmtem, projekthaftem Arbeiten hin entwickeln können. "Trotz reduzierter Jahrgangsstärken erfordert dies mehr Platz."

Die Stadt war von dem Gestaltungs-Konzept angetan, wollte aber selbst der Mensa-Erweiterung nicht zustimmen. Eine an das Schulgebäude angegliederte Ladenzeile mit sechs Geschäften hätte dafür zur Verfügung gestellt werden müssen.

Laut Bernhard Schuder von der Planungsabteilung am Schulamt habe der Stadtrat wegen des "allgemeinen Sparzwangs" nicht auf die Mieteinnahmen der Läden verzichten wollen.

Drei Mieter belegen die Flächen. "Die Mensa dort wäre sicher die schönere Lösung, doch auch die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel für Ganztagsschulen sind verbraucht", sagt Schuder. Dazu, so Stadtschulrätin Elisabeth Weiß-Söllner, müsse die Stadt den Großteil der 62 Millionen Euro Investitionskosten für das achtjährige Gymnasium schultern, weil sich der Freistaat vor den Kosten drücke.

"Flexible" Lösungen

Die Verlegung der Mensa hätte 1,6 Millionen Euro gekostet und der Schule im Keller zusätzliche Räume gebracht. Der Umbau der kleinen Mensa ist mit knapp einer Million Euro veranschlagt.

Entgegen der Meinung des Schulleiters geht das Schulreferat davon aus, dass sich der Ganztagsbetrieb dennoch realisieren lässt. Man müsse auf flexible Lösungen setzen: Während die unteren Jahrgangsstufen im Keller verköstigt würden, könnten sich die älteren Schüler an der Caféteria aufhalten, schlägt Schuder vor. Möglich sei überdies ein Mehr-Schicht-Betrieb.

Bedenken, dadurch werde die Mittagspause unendlich gedehnt und letztlich der Stundenplan aus den Fugen geraten, will das Referat nicht gelten lassen. Die Schulleitung werde dies organisieren können, ist man überzeugt. Oberstudiendirektor Kemmer kann allerdings nur versprechen, dass "wir nach Lösungen suchen".

Solche Notlösungen sieht Architektin Fest als "äußerst problematisch" an. "Das Eintrichtern von Unterrichtsstoff und zwischenzeitliche Abfüllen hungriger Mägen greift zu kurz und wird den Anforderungen unserer Gesellschaft an eine verantwortliche Schulbildung nicht gerecht", sagt sie. In der Ganztagsschule eigne man sich die soziale Kompetenz an, betont Fest - "oder eben nicht".

Als "empörend und ärgerlich" bezeichnet den "Rückpfiff vom Ganztagskonzept" Dagmar Leupold vom Elternbeirat. Sie will dies bis zur nächsten Sitzung des Gremiums am 20. September als ihre Privatmeinung verstanden wissen: Denn bereits die Debatte um die Einführung der Ganztagsschule sei emotionsgeladen gewesen, teils seien Schüler deswegen wieder abgemeldet worden.

Und turbulent gehe es am Luisengymnasium wegen der parallel laufenden G9- und G8-Formen ohnehin zu. Die neue Entwicklung trage sicher nicht zu mehr Kontinuität bei. "Wer die Leidtragenden sind, wissen wir ja", mahnt Leupold.

Irritiert

Irritiert ist auch die zu BMW gehörende Eberhard-von-Kuenheim-Stiftung. Die "Einrichtung zur Förderung unternehmerischen Denkens und Handelns" hat das Gymnasium auf dem Weg zur rhythmisierten Ganztagsschule unterstützt, "weil uns interessiert, weshalb es so schwierig ist, hierzulande eine Ganztagsschule einzurichten", berichtet Projektleiterin Gisela Grammes.

Sie musste erkennen, dass der politische Wille fehlt: Da die Schule den Betrieb ohne eigenes Budget nicht selbst gestalten könne, sei die Idee nicht umzusetzen, resümiert Grammes. Der Ganztagsschulverband hatte die Stadt noch gewarnt: Falls das Konzept trotz fehlenden Platzes umgesetzt werde, "nehmen die Kinder die Schule irgendwann auseinander".

In anderen Ganztagsschulen seien sogar Discos eingerichtet worden - Schüler, die sich den ganzen Tag dort aufhielten, müssten sich austoben können.

Dass "eine große Idee schon an grundlegenden Dingen wie einer Mensa scheitert", erstaunt den Filmemacher Torsten Wenk. Der Ludwigsburger wollte am Luisengymnasium einen funktionierenden Ganztagsbetrieb dokumentieren, nahm aber dann Abstand.

Er hatte sich das völlig anders vorgestellt: "Es sieht dort aus wie an jeder anderen Schule auch", sagt Wenk. Das Filmprojekt mache deshalb keinen Sinn. "Im Konzept für die Schule fehlt die Nachhaltigkeit völlig."

© SZ vom 12.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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