Bayerische Dialekte:Fülle der Wohllaute

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Der Bayerische Wald ist nach wie vor ein sprachliches Biotop, das sich als einigermaßen resistent erweist gegen die Einflüsse der deutsch-denglischen Einheitssprache. Kaum ein anderer Dialekt bietet eine solche Vielfalt an Ausdrücken und Tönen.

Dass dieses Kulturgut höchste Beachtung verdient, hat der Lehrer Michael Kollmer, der am Gymnasium in Viechtach (Landkreis Regen) unterrichtete, früh erkannt.

Sepp Obermeier aus Konzell demonstriert den Waidler-Dialekt. (Foto: Foto: oh)

Schon 1949 promovierte er über die Phonologie der Ortsdialekte. Nach seiner Pensionierung widmete sich der 2001 verstorbene Kollmer noch stärker den Dialekten des Bayerischen Waldes.

Dazu teilte er den Bayerwald von Wegscheid bis nach Waldmünchen und von Passau bis nach Regensburg in 21 Mundartgebiete ein und setzte der "Waidlersprach" in einem dreibändigen und 1800 Seiten umfassenden dialektologischen Werk ein Denkmal.

Kollmers berühmtes Silbenfolgegesetz belegt, dass das Althochdeutsche bestimmte Lautungen in den Bayerwaldmundarten geprägt hat. Damit kann ein Germanistikstudent in Bremen aufgrund der Endsilben in althochdeutschen Wörtern wie grabo (Graben), apful (Apfel) machon (machen) und graban (graben) die mundartliche Aussprache eines offenen oder geschlossenen "o" rekonstruieren: Grom, Opfe, mocha und gròm.

Waren früher die ertragsarmen Bayerwaldhügel alles andere als wirtschaftlich blühende Landschaften, so verhinderte zumindest ihr sprachlicher Artenreichtum eine mittelbairische Einheitssprache.

Wird einem "viel zuviel Gefühl" attestiert, so verschmäht man bereits im vorderen Bayerwald das zum Einheitsbairischen avancierte, leicht zu artikulierende Münchnerische "vui zvui Gfui" und bevorzugt das anspruchsvollere "veij zveij Gfeij", das in Regen schließlich als "väi zväi Gfäi" nasaliert wird.

Überhaupt gewinnt man in diesem Landstrich den Eindruck, als ob die Einheimischen die Nasen- und Stirnnebenhöhlen virtuos als Resonanzkörper einsetzten.

Die "schönen grünen Blumen" blühen in Blaibach bei Bad Kötzting als "schöüne gröüne Blöüme" und in Bodenmais am Fuße des Arber mit einem offenen "ai" nicht minder schön: "schaine graine Blaime".

Dort erschließt sich einem auch die sprachmelodisch prägnanteste und wohl komplizierteste Art der Nasalierung. Während im Mittelbairischen der Satz "Einige gehen hinauf, einige hinaus und einige hinunter" eher unmelodisch mit "Oa gengan nauf, oa naus und oa nunta" umgesetzt wird, glaubt man im Bayerwald eine Mischung aus Französisch und Portugiesisch zu vernehmen: "Ooi gengand oi, ooi eu und ooi ooui!".

Sepp Obermeier vom Förderverein Bairische Sprache und Dialekte ist fest davon überzeugt, dass die Schüler aus diesen Mundartgebieten im Französisch-Diktat intuitiv die korrekte Rechtschreibung anwenden, weil sie vom außergewöhnlichen Vokalreichtum ihres Idioms profitieren.

Laut Kollmer prägen mehr als 24 Zwielaute und 16 Selbstlaute die Bayerwald-Mundarten, wogegen das Standarddeutsche mit gerade einmal drei Zwielauten und fünf bis acht Selbstlauten arm dran ist.

Eine Kuriosität ist im Raum Waldmünchen (Woldmicha), dem nordbairischen Übergangsgebiet zum Oberpfälzer Wald, zu beobachten. Das althochdeutsche lange "ô" (grôs) wird laut dem Dialektologen Bernhard Stör dort nicht zum nordbairischen normalen Steigdiphtong "ou" sondern als abweichende Modeerscheinung zu einem "au" und aus dem althochdeutschen langen "ê" in "Schnee, Zehe und weh" (ahd. snê, zêhe, wê) wird mundartlich abweichend ein "ai" gesprochen.

Angesichts der Aufwertung der Dialekte durch das Kultusministerium dürfte es also nicht mehr vorkommen, dass eine Waldmünchner Gymnasiastin in der Kreisstadt Cham vom Tanzpartner, der ihr auf die Zehen getreten ist, unerwartet in ihrem Schmerz allein gelassen wird, nur wegen dem mundartlich exotischen Stoßseufzer: "Au, doud mia mei graussa Zaiha wai!".

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