Ausgehen!:Kunstwerke des Wohlgeschmacks

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München hat zwar viel von seinem Ruf als kulinarische Hauptstadt Deutschlands verloren, doch noch lässt es sich hier vorzüglich speisen.

Felix Mostrich

Weißt Du, wieviel Sternlein stehen am Münchner Himmelszelt? Im gültigen roten Michelin-Führer sind es gerade noch fünf Restaurant-Sterne, doch es waren schon mal mehr als doppelt so viele.

Jakob Stüttgen präsentiert in der neuen Terrine eine seiner Kreationen. (Foto: Foto: Rumpf)

Jahrelang hat München mit der Avantgarde der Grande Cuisine die Bundesrepublik kulinarisch missioniert: Witzigmann, Winkler, Wodarz, Koch, Ederer, Sabitzer, Böswirth - sie alle haben in München angefangen und zeitweilig sogar gleichzeitig auf Sterne-Niveau hier gekocht. Ihre Schüler sind über ganz Deutschland verteilt. Und auch ihre begabten Nachfolger haben die begonnene Tradition mit Anspruch weitergeführt.

Von diesem Überfluss ist heute nicht mehr sehr viel übrig. Städte wie Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart oder Köln haben, was den Beifall aus der gastronomischen Fachwelt angeht, München inzwischen überholt.

Unter dem weißblauen Himmel ragen zwar immer noch eine paar altberühmte Türme respektgebietend in die Höhe, doch von Neuanfängen auf hohem Niveau hört man seltener als von traurigen Schließungen. So ist man schon froh, wenn man personelle Rochaden zwischen einschlägigen Häusern vermelden kann und auf beiden Seiten frische Impulse entdeckt.

Mövenpick - alle riechen mit

Meisterkoch Wolfgang Nagler an seiner neuen Wirkungsstätte: in der Schauküche von Lutter & Wegner am Lenbachplatz. (Foto: Foto: Rumpf)

Irgendwie hat der Schweizer Gastro-Konzern nie so richtig in die ehemaligen Festräume des Künstlerhauses am Lenbachplatz gepasst. Vor allem das Venezianische Eckzimmer, der einzige im Original erhaltene Künstlerraum der Prinzregentenzeit in München, hatte höhere kulinarische Weihen verdient.

Vor ein paar Wochen hat nun das Berliner Weinimperium Lutter & Wegner, das sich auf legendäre Trinker wie E.T.A. Hoffmann beruft, die weitläufigen Räume übernommen. Volle Weinregale flankieren nun die Säle im Erdgeschoss; sie geben eine Ahnung von der fabelhaft reich und vielfältig sortierten Weinkarte des Hauses und laden direkt zum Verkosten ein. Im Restaurant im hellen Obergeschoss lenkt nichts mehr von der schönen Aussicht ab.

Ob es allerdings gut war, die Küche wie einen Show Room ins Lokal hinein zu öffnen, darf bezweifelt werden: Wenn dort etwas in der Pfanne brutzelt, riechen alle Anwesenden mit, egal was sie gerade Feines auf dem Teller haben.

Verantwortlich für die Küche in Weinstube und Restaurant ist ein Altbekannter der Münchner Gourmet-Szene, Wolfgang Nagler. Er hat zuletzt im Bistro Terrine in der Amalienpassage die kulinarische Tradition aufrechterhalten. Nagler scheint sich der Herausforderung durch das große Haus mit neuer Lust zu stellen. Mostrich hätte sich, was selten vorkommt, für jedes der erlesenen Gerichte von der Tageskarte entscheiden können.

Die feinherbe Rehconsommé prunkte mit kleinen rosafarbigen Rehfiletstücken und beißfesten Maultäschchen, die den Geschmack frischen Spinats bewahrt hatten (8 Euro). Interessant auch der Tafelspitz als Vorspeise: zubereitet wie Roastbeef und in rosig zarten, großen Würfeln auf Salat serviert (12). Das teuerste Gericht war ein Pot au Feu vom Seeteufel (21): zwei große, zarte Brocken vom Edelfisch, dazu Fenchel und Suppengemüse, feste Artischockenböden und dunkelgrün-würzige Pesto-Nudelflecken. Und der Wein? Selbst sehr gute Flaschenweine bleiben bei L & W erschwinglich: Ein üppiges Weißweincuvée aus dem Hitzejahr 2003 vom berühmten Schlossgut Diel (Nahe) kostet 26 Euro.

Terrine in neuer Gestalt

Wie im Künstlerhaus war auch im Bistro Terrine eine Renovierung fällig. Man hat die Chance genutzt zu einem richtigen Neuanfang. Nur noch "Terrine" heißt das vor wenigen Wochen eröffnete helle Lokal, in dem auf Bistro-Niedlichkeiten - auch in der Küche - verzichtet wird.

Die neue Mannschaft ist jung: Jakob Stüttgen als Chef de cuisine und Benjamin Karsunke als Sommelier - sie haben schon in der Weinhandlung Walter & Benjamin und dann im Restaurant Blauer Bock zusammengearbeitet - setzen mit geschickten Pointierungen Akzente in den oberen kulinarischen Zonen.

Schon beim Lesen der originellen Kombinationen, die alle meisterlich zelebriert werden, gerät der Kenner ins Schwärmen: Rotbarbe auf Artischockencouscous; gebratene Jakobsmuscheln auf Blumenkohlpüree mit Spuren von Sultaninen und Kapern; getrüffelte Rehmousse mit Hagebutten und Koriander; Kalbsbries und kleine Tintenfische auf Bohnenpüree; Saltimbocca vom Seeteufel auf Perlgraupen . . .

Drei Gänge kosten 45, vier Gänge 54 Euro. Der Wein bewegt sich auf entsprechendem Preisniveau: Ein vorzüglicher Auxerrois vom badischen Spitzenwinzer Bernhard Huber, der auf weiße Burgunderreben spezialisiert ist, kostet 35 Euro.

Speisen im Hotel

Die Münchner Gourmetszene ist auch deshalb verarmt, weil sich die großen Luxushotels nur noch mit gebremstem Ehrgeiz in die Konkurrenz einmischen. Ausnahmen waren immer die Hotels der Familie Geisel: Im Königshof wird nach wie vor mit viel Aufwand und Phantasie der Stern poliert, der vor Jahren über dem Haus aufgegangen ist. Und im Excelsior (Geisel's Vinothek) können junge Köche - bei deutlich bescheidenerem Anspruch - ihre Kreativität beweisen.

Auch das eleganteste Haus in der Innenstadt, das Mandarin Oriental, bemüht sich seit einigen Jahren um eine gehobene Küche, ohne deshalb gleich in die oberste Preiskategorie aufsteigen zu müssen. Vor einigen Monaten hat Mario Corti, vorher Sous-Chef beim Drei-Sterne-Koch Bourgueil in Düsseldorf, die Küche im Restaurant Mark's übernommen.

Der Ersteindruck: Im hochfeinen Ambiente lässt sich in entspannter Atmosphäre vorzüglich speisen - und das zu erträglichen Preisen: Für ein Drei-Gänge-Menü werden 40 Euro berechnet, selbst wenn es so himmlische Sachen enthält wie "Himmel und Erde von der Gänsestopfleber" oder Seewolf in duftender Trüffelsauce mit Schwarzwurzeln, Kunstwerke des Wohlgeschmacks, denen man die klassische Schulung anmerkt. Dafür heben die Weinpreise im Mark's leider mächtig ab.

Trainierte Gourmets werden also auch künftig in München nicht verhungern, doch vom alten Luxus ist man heute weit entfernt. Und das ist wohl auch gut so.

© SZ vom 17.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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